Auf der verchromten Stoßstange des weißen Mercury Cougar aus dem Jahr 1971 blitzt einem ein Statement entgegen: „Fuck you, Greta!“ Darunter zwei Auspuffrohre, eins links, eins rechts. Besitzer Micha steht mit unaufgeregtem Gesichtsausdruck daneben. Er ist es gewohnt, auf sein amerikanisches Cabrio angesprochen zu werden. Besonders natürlich bei Oldtimer-Treffen wie diesem am Berliner Olympiastadion. Nicht nur die Größe und der Glanz geben Hinweise darauf, wie wichtig Micha sein Auto ist. Neben dem „Fuck you Greta“-Sticker findet sich hinter der Windschutzscheibe noch ein Schild, auf dem „Please do not touch“ steht: Bitte nicht anfassen. Auf einem anderen Aufkleber prangt der Slogan „Fridays for Hubraum“ in Großbu
Wo die wilden Kerle rasen: Wieso machen Verbrenner-Motoren glücklich?
Ersatzreligion Das Benziner-Auto ist symbolisch so stark aufgeladen wie kaum ein anderer Alltagsgegenstand. Ihre Fahrer sind wie Dinosaurier, die von ihrem künftigen Aussterben wissen. Was aber, wenn das eigene Glück am Benziner hängt?

Der Fahrer ist gerade ausgestiegen und wartet an der frischen Luft das Ende der Blockade der Letzten Generation ab
Foto: Sophie Green
tte nicht anfassen. Auf einem anderen Aufkleber prangt der Slogan „Fridays for Hubraum“ in Großbuchstaben.Greta Thunberg als HassobjektDas ist die Gegenbewegung zu Fridays for Future, die sich für den Erhalt von Verbrennungsmotoren einsetzt und in deren Foren Greta-Thunberg-Memes aller Couleur und Aggressionsstufen kursieren. Aktuell hat die Gruppe auf Facebook fast 462.000 Mitglieder. Videos von Grünenpolitiker*innen werden hier mit „Dumm, dümmer, die Grünen“ plus sieben umherkullernden Smileys kommentiert. Die Letzte Generation wird als „Terrororganisation“ bezeichnet. „Sei kein Penner, fahr Verbrenner“ ist die Antwort auf sämtliche Beiträge mit brennenden E-Autos.Von den mehr als 48,5 Millionen PKW, die am 1. Januar 2022 auf deutschen Straßen zugelassen waren, hatten 63,9 Prozent einen Benzin-Motor, 30,5 Prozent fuhren mit Diesel. Viele der Besitzer*innen dürften aus Bequemlichkeit noch nicht auf ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug umgestiegen sein. Oder aus Kostengründen. Aber es gibt auch eine Gruppe von Menschen, für die ist der Verbrenner so etwas wie eine Ersatzreligion: Der Benzingeruch, das Röhren und Vibrieren des Motors verheißen fossiles Glück. Es sind Leute wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, dem bei E-Autos „die Seele“ fehlt. Und es sind Leute wie Darius.Ein getunter Cartoon-PoloWenn die Ampel umspringt und der 25-Jährige beschleunigt, macht sich in der Magengegend das gleiche Gefühl wie beim Achterbahnfahren breit: Aufregung, Übelkeit und Juchzen. Während man selbst versucht, das Frühstückscroissant bei sich zu behalten und nicht unkontrolliert loszukichern, grüßt Darius alle paar Meter andere Fahrer*innen getunter Autos. Er benennt Autotypen und PS-Zahlen. Beim Fahren weicht er allem aus: Schlaglöchern, umherfliegenden Zeitungen und langsameren Fahrzeugen. Es fühlt sich an wie in einem Spiel. Viele Menschen schauen ihn an, drehen sich sogar um.Das ist kein Wunder, denn der Polo GT von Darius fällt auf. Er hat ihn im zweifarbigen Cartoon-Look aufwendig lackieren lassen, tiefergelegt und die Abgasanlage modifiziert, damit das Röhren des Motors lauter ist. Der Cartoon-Look liegt laut Darius in der Tuning-Szene aktuell im Trend. Dabei setzt man Farbakzente und grobe schwarze Linien so ein, dass der Eindruck entsteht, das Auto wäre hastig gezeichnet und aus einem Comic in die echte Welt gesetzt worden. Die Aufmerksamkeit, die das Auto durch Look und Sound auf sich zieht, macht Darius stolz. Auch wenn er sonst im Alltag nicht unbedingt auffallen möchte und optisch eher der Typ „anständiger junger Mann“ ist, genießt er die Blicke auf den Straßen sehr. Sein Auto ist für ihn identitätsstiftend. Damit ist er nicht allein.Sehnsucht nach UnabhängigkeitDie Soziologin und Mobilitätsexpertin Katharina Manderscheid von der Universität Hamburg sagt, das Auto werde in der westlichen Welt als Ausdruck eigener Identität genutzt, als Vehikel, um Individualität, Unabhängigkeit und Abenteuer zu erleben. „Das ist etwas, das sehr tief in die Gesellschaft verwoben ist und über Bilder, Romane, Liedtexte, Roadmovies und so weiter transportiert wird.“ Eine derart starke symbolische Aufladung mit Bedeutung erfährt wohl kein anderer Nutzgegenstand. Zum Beispiel ist es undenkbar, dass „Fridgemovies“, in denen es um Kühlschränke als Sehnsuchtssymbol geht, sich ähnlicher Beliebtheit erfreuen würden. Und das, obwohl sie elementarer Bestandteil des modernen Lebens sind.In den „Fridays for Hubraum“-Gruppen scheinen Videos des ehemaligen Rallyefahrers Walter Röhrl am besten anzukommen. Dieser sinniert im Porsche-Shirt zum Beispiel über das Tempolimit. Es sei eine gefährliche „Zwangsweste“, die Leute dazu bringe, sich beim Fahren zu langweilen. Da Langeweile bekanntlich dumme Gedanken befeuere, würden Menschen eher dazu verleitet, unaufmerksam zu sein, was am Ende zu mehr Unfällen führe. Ironischerweise entstehen alle Röhrl-Videos selbst bei laufender Fahrt im Auto.Dinosaurier der GegenwartWas beim Tempolimit noch diskutiert wird, ist beim Antrieb beschlossene Sache: Das EU-weite Verbrenner-Aus ab dem Jahr 2035 steht mittlerweile fest, auch wenn die FDP sich und allen anderen Verbrennerfans mit der Nebelkerze E-Fuels noch ein Hintertürchen offen halten wollte. Dabei ist eindeutig, dass sich bei einer nachhaltigen Mobilitätswende etwas am Individualverkehr ändern muss. Rund ein Fünftel des CO₂-Ausstoßes in der EU ist auf Straßenfahrzeuge zurückzuführen, Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte der Emissionen verursachen private PKW. Bei Licht betrachtet sind Verbrenner-Fahrer*innen also im Grunde Dinosaurier, die den Meteoriten schon kommen sehen, der ihr Aus besiegeln wird. Das Problem: Was, wenn einen der Verbrenner glücklich macht? Wenn jetzt am Horizont das Aus fürs fossile Glück droht?Micha zum Beispiel ist ein Fan von speziellen Looks und saftigem Sound. Also dem von Oldtimern, speziell amerikanischen. Entgegen den aggressiv anmutenden Stickern auf seinem Auto wirkt er eher sanft. Er hat eine angenehm tiefe Stimme und lebt bescheiden in einer Einliegerwohnung knapp hinter der Berliner Stadtgrenze. In einer Vitrine sammelt er Modelle alter Flugzeuge. Auf der Sofalehne lehnt ein Foto von einer Rennstrecke. Michas Luxus als Rentner: regelmäßige Reisen in die USA und sein 52 Jahre alter Ford. Da der zu unpraktisch für den täglichen Gebrauch sei, nutzt er im Alltag einen modernen SUV. Der Ford kommt nur zu besonderen Anlässen aus der Garage. Wenn zum Beispiel mal wieder eines der Oldtimer-Treffen ansteht, bei denen Micha Stammgast ist. Alte Autos begeistern ihn, die Technik und das Aussehen. „Dieser Hüftschwung bei meinem hinten, das ist ’ne Sahne. Da kann man sich drin verlieben“, schwärmt er.Sound transportiert SymbolikEr sagt, alte Autos hätten noch Charakter. Ob er sich vorstellen könnte, auf ein Auto zu verzichten oder ein E-Auto zu fahren? „Überhaupt nicht. Irgendwann ist das auch wieder vorbei.“ Ohne Verbrenner würde ihm etwas fehlen: „Wenn der schön vor sich hin blubbert, das ist doch was anderes, als wenn der nur so ‚Bsssst‘ macht.“ Beim akustischen Auftritt wird in der Autoindustrie nichts dem Zufall überlassen. Sounddesigner*innen kümmern sich um das richtige „Plopp“ beim Türenschließen und das richtige „Brrrm“ beim Beschleunigen. Das ist auch bei E-Fahrzeugen der Fall, aber mit ihrer futuristisch leisen Klangrichtung transportieren sie nicht die gleiche Symbolik. Die Verknüpfung zwischen Sound und Leistungsstärke sei aber nicht naturgegeben, so Soziologin Manderscheid, sondern gesellschaftlich hergestellt. „Prinzipiell lässt sich das auch entkoppeln, sodass irgendwann ein E-Auto ähnlich symbolisch aufgeladen ist.“ Und emotional, so wie bei Darius.Tränen am UnfallortSein Auto sei sein Projekt, sagt Darius, seine Leidenschaft. Dann erzählt er von einem Unfall. Da sei ihm mal jemand volle Breitseite reingefahren, sein Auto sei fahruntauglich vom Unfallort geschleppt worden. Als er es so oben auf dem Abschleppwagen gesehen habe, seien ihm fast die Tränen gekommen. Mit einem doppelten „Nie“ beteuert er, dass derartige Gefühlsausbrüche bei ihm in keinem anderen Lebensbereich vorkommen. „Ich glaube, ich würde nicht mal heulen, wenn man mir ins Bein schießt.“ Darius zeichnet offenbar gern dramatische Szenarien. So beteuert er auch, dass er erst aufhören würde, Auto zu fahren, wenn man ihm beide Hände abnehmen würde. Es gibt einfach keine Alternative für ihn. „Ich stehe lieber eine Stunde im Stau, als 30 Minuten mit den Öffentlichen zu fahren.“ Ihm ist der persönliche Raum wichtig, dass es keine Leute gibt, die ihn nerven könnten, und dass er auf niemanden angewiesen ist. Außerdem macht ihm Autofahren einfach Spaß. „Verbrenner natürlich“ lautet sein Motto.Wie der Wandel gelingen kannKatharina Manderscheid bestätigt, dass das Auto keineswegs nur ein Objekt zum Fahren ist. Vielmehr müsse man das Konzept Auto eher auf einer affektiven Ebene verstehen. „Das Auto ist für viele Menschen ein erweiterter Privatraum.“ Das Festhalten daran habe nicht viel mit rationalen Gründen zu tun: „Ein Auto steht im Schnitt 23 Stunden am Tag auf der Straße.“ In einer Stadt wie Berlin gebe es effizientere und günstigere Fortbewegungsmittel, die weniger Raum einnähmen. „Wenn es nicht um diese starke Aufladung mit emotionalen Bedeutungen ginge, wäre das Auto schon lange obsolet“, so die Professorin. Auf die Frage, was genau er mit seinem „Fuck you Greta“-Aufkleber ausdrücken wolle, sagt Micha: „Das ist zum Spaß. Ich hab den gesehen, hab gelacht und ihn bestellt.“ Aber „Fridays for Hubraum“?Er wisse gar nicht, dass es da überhaupt eine Facebook-Gruppe gibt. Er hat nämlich gar kein Facebook. Mit dem Sticker verhalte es sich ähnlich wie mit seinem „Fridays for Freibier“-Shirt: Das habe er, ohne damit eine politische Botschaft senden zu wollen. Dabei finde er die Anliegen von Fridays for Future grundsätzlich richtig. „Ist ja gut, lass sie machen“, sagt er in fast großväterlichem Ton. Nur sein Auto könnten sie ihm eben nicht verbieten. Er selbst reduziere seinen CO₂-Fußabdruck auf anderem Wege. „Ich trage ein T-Shirt auch noch, wenn da irgendwas zerledert ist. Nicht immer nur neu, neu, neu.“ Genau so sei das eben auch mit dem Auto: Statt etwas Neues ressourcenintensiv produzieren zu lassen, fährt er eines, das 52 Jahre alt ist. Diese Rechnung würde auch wunderbar aufgehen. Gäbe es da nicht seinen Alltags-SUV.Wilhelm II. lag falsch – mal wiederManderscheid stimmt zu, dass es grundsätzlich im Sinne der Nachhaltigkeit ist, Dinge lange zu benutzen. Für jeden Verbrenner jetzt ein E-Auto herzustellen, das wäre Unsinn. „Die E-Autos werden uns nicht aus der Klimakrise fahren.“ Trotzdem dürfe der Verbrenner keine Zukunft haben. Bei der Verkehrswende ginge es um mehr als den Austausch des Antriebs und darum, unser jetziges Autosystem durch ein neues Autosystem zu ersetzen. Sie müsse grundsätzlicher gedacht werden. Besonders in den Städten müsse man Fahrradwege und das öffentliche Verkehrsnetz ausbauen. Auch Sharing-Dienste und On-Demand-Verkehr könnten hilfreich sein. Das private Auto sollte hingegen eine geringere Rolle spielen. Dass damit nicht alle einverstanden sind, sei normal. „Die Idee, dass man alle gleichzeitig mitnimmt, ist eine falsche Annahme.“ Solche gesellschaftlichen Transformationsprozesse würden in Wellen ablaufen. Anfangs gebe es eine Gruppe von Vorreiter*innen, die dann ihr Umfeld beeinflussen. Außerdem ist die Skepsis gegenüber neuer Technik vermutlich so alt wie die Technik selbst. „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“, soll Wilhelm II. gesagt haben. Die Veränderung kann also kommen, auch wenn manche noch nicht daran glauben.Micha will immerhin den „Fuck you Greta“-Sticker bald abnehmen. Zu groß ist seine Angst, dass ihm sonst jemand sein Auto zerkratzt.