„Es ist Zeit, für Freiheit zu streiten“, so das Motto des aktuellen Wissenschaftsjahres, vom BundesBildungsministerium (BMBF) vor über 20 Jahren ins Leben gerufen. Hilfe bei der Themenauswahl gab der 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Gut, darauf hätte man auch früher kommen können. Während Corona wurden Wissenschaftler immer wieder Ziel von Droh- und Diffamierungskampagnen: Wissenschaftsfeindlichkeit etablierte sich nicht nur in den Sozialen Medien, wo Forscher von unnachgiebigen Impfgegnern attackiert wurden – zugleich diskreditierten auch Massenmedien kritische Wissenschaftler. Fazit: Offenheit macht angreifbar.
Wie gelingt ein produktiver Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft? Mit Argumenten sollte man überzeugen, nicht üb
chaft? Mit Argumenten sollte man überzeugen, nicht überreden – theoretisch. Tatsächlich wil man die ungeteilte Aufmerksamkeit für die eigene Sicht, beim Schlagabtausch als Gewinner dastehen. Die Einbahnstraße ist der way to go. Viele Aspiranten in diesem Machtspiel sind jung, kontrovers und halten sich für kreativ. Wie etwa diejenigen, die im November 2023 im Lesesaal der Berliner Staatsbibliothek Lautsprecher versteckten, aus denen Propaganda schallte: Der „Genozid“ durch Israel müsse gestoppt werden! An wen ausgerechnet hier appelliert wurde? Unklar.Klar ist hingegen, dass eine solche Geschmacklosigkeit den Diskurs in der Sache untergräbt. Zu Recht ist, jüngst auch bei den Bauernprotesten, so viel vom Verfall der Protestkultur die Rede. Dahinter stehen Unfähigkeit und Unwillen, sich angemessen mit Gegenpositionen auseinanderzusetzen. Zu oft trifft diese Einschätzung auf akademisch sozialisierte Klimaaktivisten und Israelkritiker zu.Aktivisten sitzen nicht auf Podien, sondern sprengen sie„Abgesehen von dem Entsetzen, das mich angesichts des jüngst an deutschen Hochschulen ausbrechenden Antisemitismus befällt, denke ich, dass es den Aktivisten nicht an einer Debattenkultur mangelt.“ Die Worte des Wiener Philosophieprofessors Konrad Liessmann beruhigen zumindest im letztgenannten Punkt. Doch dann schiebt er hinterher: „Sind Aktivisten erst einmal in Aktion, ist es unmöglich, mit ihnen zu diskutieren.“ Denn die Aktion soll ja die Diskussion ersetzen: „Aktivisten sitzen deshalb nicht auf Podien, sondern sprengen diese. Das gehört zur Logik des Aktivismus.“Im laufenden Wintersemester beschäftigt sich das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) mit „Aktivismus und Wissenschaft“. An diesem Begriffspaar lasse sich das alte Muster „Elfenbeinturm versus Engagement“ erkennen. Die Verträglichkeit beider angesichts politischer Erwartungen und der kapitalistischen Bedingungen, denen Wissenschaft durchstaatliche Forschungsförderung und Drittmittel unterliegt (aber nicht zu entsprechen hat), ist prekär.Wer braucht „Plant Studies“?Bleibt die Wissenschaft auf der Strecke, fragt das ZfL, wenn immer mehr junge Menschen ihre akademische Entwicklung in den Dienst eines Aktivismus stellen? Linke Gruppen an den Unis verlangen, in den Hörsälen zu fachfremden Themen Stellung zu beziehen. Auf Seiten der Lehrenden oft: Stille. An so mancher Uni reagiert man nicht im Austragen von Differenzen, sondern durch interne Ausdifferenzierung. Ob „Plant Studies“ als neues Forschungsfeld der Geistes- und Kulturwissenschaften den Klimawandel einzudämmen vermag oder die Interdisziplinarität stärkt? Mit Blick auf mögliche Zerfallseffekte in der Wissenschaft durch ein Zuviel an Vielfalt im Fächer- und Disziplinenkanon ist Skepsis angebracht.Instrumentalisieren Aktivisten die Wissenschaft? Offensichtlich! Sie wollen keine wirkliche Streitkultur, das wäre schon fast Verrat. Und „die“ Wissenschaft spielt scheinbar mit. Man ordnet sich unter, um nicht auf der falschen Seite zu stehen, wo Karrierenachteile drohen. Zugegeben: Dissens bleibt in der Wissenschaft nicht ohne Folgen. Kaum hatte sich die Initiative Scientists for Future hinter Greta Thunberg gestellt, sahen andere besagte Freiheit der Wissenschaft in Gefahr und gründeten zu deren Schutz eine Vereinigung für Wissenschaftsfreiheit. Die öffentliche Infragestellung von Ergebnissen und Empfehlungen der Klimaforschung bleibt trotzdem unerwünscht.Ein Großteil der Aktivisten bedient ein Besserwissertum oder gibt sich als Performancekünstler. Die aktive Teilnahme an der Problemlösung ist weniger wichtig als die Aktion dahinter. Ihr Engagement verkommt zu einem Lifestyle, der auf eine gehörige Portion Selbstrepräsentation, Störaktionen und systematische Subjektivität setzt. Sie wollen sich Gehör verschaffen, nicht Wissen produzieren. Dabei ist inhärent Gutes zu erkennen oder um es, für den aktuellen Kontext leicht abgewandelt, mit Habermas zu sagen: In der „rebellierenden Studentenbewegung“ könne man Aktivisten erkennen, die das Potential haben, auf eine Repolitisierung der ausgetrockneten Wissenschaft hinzuwirken.Mehr als Selbstzweck, aber auch nicht reine PolitikberatungDenn wenn es einen konkreten Notstand und mit der Politik einen Ansprechpartner gibt, muss Austausch mit wissenschaftlichen Experten stattfinden. Nicht zur „Rettung“ – das riecht anmaßend – sondern zur fachlichen Einordnung. Wissenschaft um ihrer selbst Willen ist nichts als ein Selbstzweck. Wissenschaftliche Politikberatung alleine reicht indes auch nicht.Akademischer Aktivimus aber transportiert einen falschen Freiheitsbegriff. Forschung soll unabhängig vonstatten gehen. Wie definiert sich diese freiheitliche Position? Was verstehen wir überhaupt unter dem Begriff der Freiheit? Welche gilt es zu verteidigen? Auch das soll jetzt im Rahmen des Wissenschaftsjahres unter anderem durch Schulkinowochen ergründet werden – initiiert vom Bundesbildungs- und Forschungsministerium.Am Berliner Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) kannte man sich schon vor 15 Jahren aus mit wandlungsfähigen Identifikationsfiguren und selbstgewählten Definitionen. Auf der Fassade steht noch heute „Johannes-Agnoli-Institut für Kritik der Politik“. Agnoli, Idol der 68er-Bewegung und OSI-Professor, wollte Lehre und Agitation verbinden. Dass der Linksradikale als junger Mann Anhänger des italienischen Faschismus und bei der Waffen-SS war, interessiert kaum. Der Fachbereich hat die Beschriftung hingenommen.Performances statt fundierter KritikSehen Wissenschaftler ihre Rolle darin, Shitstorms zu vermeiden und sich selbst mit evidenzbasierten Stellungnahmen nicht gegen den Zeitgeist aufzulehnen? Einen Zeitgeist, der eine Art Aktivismus-Pflicht vorsieht? Sicher, Passivität mag persönliche Schäden verringern. Sie diffamiert aber wissenschaftliche Expertise an sich, wenn Resultate aus Angst vor unangemessenem Feedback zurückgehalten werden. Und es zerstört das gesellschaftliche Vertrauen in die Fachkompetenz der Handelnden.Vermutlich versuchen sich Aktivisten im Experimentieren mit performativem statt herkömmlichem Protest, da rhetorische Aushandlungen der Meinungshoheit ausgedient haben. Die Protestform „des Typus Dosensuppe auf van Gogh“ findet der Historiker Henning Trüper vom ZfL derweil „ästhetisch eher bestürzend“ – auch in der Reaktion: „Dass nämlich niemand darüber gelacht hat.“ Niemand schien zu sehen, dass es sich „geradezu um ein Zitat von Slapstick-Humor“ handelte.Placeholder authorbio-1