Israel/Palästina: Die deutschen Universitäten und der Nahost-Konflikt
Debatte An deutschen Hochschulen gibt es Streit über deren offizielle Äußerungen zu Israel und Palästina, weiß Markus Steinmayr. Er lehrt selbst an der Fakultät für Geisteswissenschaften in Duisburg/Essen – und kritisiert postkoloniale Positionen
Es wäre wohl besser, das Ganze von Angesicht zu Angesicht im Hörsaal zu diskutieren, anstatt auf Instagram
Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Die Reaktionen der Referate für Öffentlichkeitsarbeit an Universitäten auf den Terrorangriff der Hamas waren breit vernehmbar und erstaunlich uniform. Alle stehen, wie die Universität Potsdam, „fest in Solidarität mit unseren israelischen Partnern“. Und doch lässt sich an den Unis derzeit ein heftiger Streit über die politische Kommunikationskultur beobachten.
Für eine Universität gelten das Mäßigungsgebot und die Neutralitätspflicht in parteipolitischer Hinsicht. Ersteres verpflichtet Angehörige und Mitglieder der Universität dazu, bei politischer Betätigung und Kommunikation außerhalb wie innerhalb des Dienstes diejenige Zurückhaltung zu wahren, die sich aus der Stellung gegenüber der Ges
er der Gesamtheit (schließlich dient man dem Gemeinwohl) ergibt. Das gilt nicht für Studierende, da sie in keinem Treue- oder Arbeitsverhältnis zur Universität stehen.Mäßigungsgebot und NeutralitätspflichtDas Mäßigungsgebot steht somit in engem Zusammenhang mit der Neutralitätspflicht, die vor allem für die Parteipolitik, aber auch für die Unterstützung sozialer Bewegungen gilt. In seiner Amtsführung an der Universität darf man daher politische Partizipation oder Haltungen und Amtsgeschäfte nicht miteinander in Beziehung setzen oder sein Amt zur Verbreitung partei- oder bewegungspolitischer Ansichten missbrauchen. Eine Universität macht sich eben nicht gemein – weder mit den Guten noch mit den Bösen.So musste die Hochschule für bildende Künste in Hamburg sich von ehemaligen Gastprofessoren, ehedem Kuratoren der umstrittenen „documenta fifteen“, distanzieren, so das Hamburger Abendblatt. Die zwei hatten das Video einer pro-palästinensischen Demo geteilt, auf der deutlich antisemitische Töne zu vernehmen waren.Auseinandersetzungen an der Universität PotsdamIst nun aber die öffentliche Erklärung der Solidarität mit Israel auf der Internetseite einer Uni eine politische Positionierung, die dem Mäßigungsgebot zuwiderläuft und die Neutralitätspflicht verletzt? Dieses Risikos war sich meine Hochschule, die Universität Duisburg-Essen (UDE), wohl bewusst, als sie auf Instagram direkt unter ihre Solidaritätserklärung mit Israel den Satz „Unser Post ist kein allgemeiner Kommentar zur politischen Situation in Israel und Palästina“ setzte: An der Universität Potsdam kam es laut Tagesspiegel zu heftigen Auseinandersetzungen über die Solidaritätserklärung mit Israel.Dieser Konflikt nötigte den Präsidenten dazu, sich nicht nur von der unbedingten Solidarität zu distanzieren, sondern Solidarität mit Israel deutlich kritischer, pro-palästinensischer und weniger einseitig zu formulieren. Dieser Wechsel der Tonalität, den nicht wenige als Kotau vor postkolonial imprägniertem Aktivismus empfunden haben, bescherte ihm wiederum einen Shitstorm aus Politik und Verbänden. Eben als solch „allgemeiner Kommentar zur politischen Situation in Israel und Palästina“ ist die Solidaritätserklärung meiner Universität auf Instagram interpretiert worden. User*in „bisho997“ schreibt: „Ich dachte diese Seite wäre eine reine Uni-Seite, die sich nicht (in) Politik einmischt. sowas zu posten ist die schlimmste Idee, die diese Uni je hatte!!!“ Irgendetwas scheint die Solidaritätserklärung mit Israel zu triggern. Aber was?Die Folgen von Angela Merkels Staatsräson-SatzNüchtern betrachtet, sind die vielen Solidaritätsadressen der Unis, die ja Teil des öffentlichen Dienstes sind, die Folge von Angela Merkels Satz, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Merkel ist der Auffassung, die Sicherheit und das Existenzrecht Israels seien ein übergeordnetes Interesse des deutschen Staates, der im Begriff „Staatsräson“ zum Ausdruck kommt. „Staatsräson“, zeigt die politische Begriffsgeschichte, ist ein „bedingungsloser Imperativ staatlicher Selbsterhaltung“, so Herfried Münkler 1987 in Im Namen des Staates. Das hieße übertragen auf Merkels Satz, Israels Sicherheit ist Teil der staatlichen Selbsterhaltung der Bundesrepublik. So sind wehende Israelflaggen und Solidaritätsadressen Ausdruck der identitären Selbsterhaltung der BRD.Man könnte nun die Re-Politisierung der Staatsräson, die durch Merkels Satz ja gerade unmöglich werden sollte, als Ziel vieler Reaktionen auf die Solidaritätsadressen beschreiben. Die Diskussion endet, so sehen es manche, bei der Infragestellung der Existenz Israels, weil man damit das eigene Land in seiner Selbsterhaltung, also seiner Identität, gefährdet. Der offensichtliche Widerspruch zur vermeintlich normativen Erinnerungspolitik der BRD und der Widerstand gegen die Rede von der Staatsräson, der derzeit auf den Straßen Duisburgs, Essens und Berlin-Neuköllns zu beobachten ist, wird von einigen als Widerstand gegen die Hegemonialtendenzen einer weißen Mehrheitsgesellschaft und ihrer Erinnerungspolitik gesehen – oder verklärt.Denn viele Beiträge klingen so, als hätten die sich auf Social Media exponierenden Studierenden die Arbeiten Jürgen Zimmerers oder Dirk W. Moses’ gelesen, der beiden sehr präsenten Postkolonialisten. Nachlesen kann man die wesentlichen Positionen im von Zimmerer herausgegebenen Band Erinnerungskämpfe. Neues deutsches Geschichtsbewusstsein (Kritik am postkolonialen Ansatz findet sich gut dokumentiert in Die Untiefen des Postkolonialismus). Die Fokussierung auf die Singularität des Holocausts in der deutschen Erinnerungskultur verhindere demnach eine breitere Auseinandersetzung mit der Gewaltgeschichte der Bundesrepublik und ihrer Vorgänger. Es werden Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus gesehen, Vergleiche zwischen Kolonialverbrechen und Holocaust angestellt. Die Fokussierung auf den Holocaust als erinnerungspolitischen Kern der BRD habe zudem mit ihrer Gegenwart einer Migrationsgesellschaft mit einer Vielzahl von Erinnerungskulturen und historischen Traumata nichts mehr zu tun.Vorwürfe an den PostkolonialismusDem Postkolonialismus ist vorgeworfen worden, eine Richtung aktivistischer Wissenschaft zu verkörpern, die die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft strategisch erodieren lässt. Ganz in diesem Sinne schreibt „Nileh00“ auf Instagram: „Wir haben an der UDE viele Studenten mit Migrationshintergrund und vielleicht sogar mit palästinensischen Wurzeln.“ Dieser Hinweis ist rhetorisch, also strategisch, da er Diversität einschränkt. Es gibt in Duisburg-Essen und an vielen anderen Hochschulen auch Studierende mit jüdischen Wurzeln. Dass diese sich durch den Hamas-Angriff in ihrer Identität verletzt fühlen könnten, kommt Nileh00 nicht in den Sinn. In bemerkenswerter Weise hat hingegen die FU Berlin ihren differenzierten Begriff von Diversität zum Ausdruck gebracht, indem sie schrieb, das „Mitgefühl“ gelte auch „den vielen israelischen Studierenden und Forschenden“.Niemand von jenen Studierenden fragt, was mit Israel geschehen soll, wenn Palästina befreit ist. Die Palästinenser und ihre Organisationen werden zu den letzten Subalternen des Kolonialismus verklärt, Israel als „Apartheid- und Kolonialstaat“ delegitimiert. „From the river to the sea, Palestine will be free“ bedeutet ja, dass Palästina dann frei von Juden und von Israelis sein wird. Wer von der postkolonialen Fraktion unterstützt nicht gerne die Befreiung aus kolonialer Herrschaft? Dann können wir endlich von Postkolonialität sprechen. Eine Zwei-Staaten-Lösung ist damit nicht gemeint.In eher zynischer Weise erinnert jener Slogan an die „Schlesien ist unser“-Diskurse der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. So wie die Vertriebenen lernen mussten, dass Schlesien nun polnisch ist und bleiben wird, müsste man unter den Vertretern der Besatzungsthese lernen, dass Palästina für immer Territorium des israelischen Staates bleiben wird. Darauf hat Jan Feddersen in einem lesenswerten Text auf zeitzeichen.net jüngst hingewiesen. Insofern kann man sagen: Die Geschichte von Minderheiten in der BRD wiederholt sich doch.
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