Zoom, TikTok, SB-Kasse: „Das können auch alte Menschen lernen!“
Interview Für den digitalen Anschluss ist es nie zu spät, meint der Psychologe Andreas Kruse. Denn neue Technologien kann unser Gehirn noch bis ins hohe Alter lernen. Es braucht aber eine Infrastruktur zur Unterstützung
Für die Jungen ganz selbstverständlich: Leben in der digitalisierten Welt
Collage: der Freitag, Material: Midjourney, Unsplash
Das Credo des Altersforschers und Demografen Andreas Kruse lautet: Niemand ist eine Insel nur für sich selbst. Das zeigte sich seit den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie, die Menschen in nie da gewesenem Maß zu leiblicher Distanz genötigt hat, dringender denn je.
Gerade Ältere und Kranke wurden von der alltäglichen Kommunikation abgeschnitten, und plötzlich gerieten technische Systeme in den Fokus, die ein Minimum an Kontakt gewährleisteten. Für diejenigen, die abgeschieden in ihren Wohnungen oder Heimen lebten, eine neue Herausforderung, denn wie sollten sie klarkommen mit Tablet, WLAN oder Skype? Doch erstaunlicherweise fanden sich auch alte Menschen mit den neuen Technologien zurecht – dann, wenn die Infrastruktur vorhanden war und sie von
d sie von ihrer Umgebung unterstützt und angeleitet wurden.„Zu blöd“ oder zu technikfern für die „schöne neue Digital-Welt“ sind ältere Menschen also nicht, jedenfalls, wenn ihr Umfeld das Lernen fördert. Und sie können viel Nutzen daraus ziehen.der Freitag: Herr Kruse, wir haben ja alle noch die Bilder während der Corona-Zeit vor Augen: abgeschirmte Menschen hinter Fensterscheiben, die traurig rausgucken. Manche schauten auch durch ihre Zoom-Bildschirme. Es war die Blütezeit der digitalen Kommunikationstechnologie, selbst in Pflegeeinrichtungen. Welche Erfahrungen wurden dabei gemacht?Andreas Kruse: Als die Pandemie begann, wurde rasch deutlich, dass nicht wenige stationäre Pflegeeinrichtungen nicht einmal über einen WLAN-Anschluss verfügten. Ihnen war es somit unmöglich, über Whatsapp oder überhaupt über das Internet zu kommunizieren. Es zeigt sich, wie dramatisch es ist, wenn Menschen keine Möglichkeit mehr haben, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Viele Menschen sind während dieser Zeit schwer erkrankt oder gestorben, ohne dass sie Kontakt zu ihren Angehörigen oder zu ihrem engsten Freundeskreis gehabt hätten. Eine ethisch hochproblematische Situation, die wir auch in einer Ad-hoc-Stellungnahme des Ethikrates im Dezember 2020 aufgegriffen haben.Sie haben Studien zum Kontakt zwischen schwer kranken Menschen mit ihren Angehörigen auch während der Pandemie durchgeführt. Können Sie konkret etwas darüber erzählen? Wie ging es den Patienten und ihren Familien?Eine schon geplante größere Untersuchung zur Rehabilitation von Demenzkranken und zur fachlichen Begleitung ihrer Angehörigen fiel in die Zeit der Pandemie. Die Angehörigen betonten, dass sie sich mehr und mehr alleingelassen, ja ausgeschlossen fühlten. Sie empfänden es aus diesem Grund als Bereicherung, zumindest digital kommunizieren zu können. Wir haben digitale Gesprächsgruppen eingerichtet, das kam sehr gut an. Es ist in der Tat kein Problem, ältere Menschen für die Nutzung digitaler Technologie zu gewinnen, wenn eine angemessene Anleitung und Begleitung bei deren Nutzung erfolgt.Dennoch tun sich ältere Menschen deutlich schwerer mit digitaler Technologie als jüngere, die ja damit aufwachsen und die das Smartphone als leibliche Verlängerung ihrer selbst erleben. Ist das eine Folge von abnehmender Lernfähigkeit?Die Plastizität, also das Potenzial des zentralen Nervensystems, sich immer wieder neu zu organisieren und zu strukturieren, bleibt bis ins hohe Alter erhalten. Wir können also bis ins hohe Alter hinein Neues lernen, wenn wir in lernförderlichen Umwelten leben. Sich auf neuartige Situationen einzulassen, ist jedoch nicht nur eine Frage der neuronalen Kapazität und der lernförderlichen Umwelt, sondern auch eine der Motivation und von sinnhaften Zielen, die man sich setzt. Wer in früheren Lebensjahren offen gewesen ist für technologischen Fortschritt und ihn für sich genutzt hat, der hat auch in späteren Lebensjahren kein Problem damit, technische Innovationen zu nutzen, zum Beispiel digitale Kommunikationssysteme. Wichtig ist, dass Menschen aller Sozial- und Bildungsschichten über den gesamten Lebenslauf mitgenommen werden – und sich mitnehmen lassen.Unabhängig vom Lebensalter gehen Menschen unterschiedlich mit digitalen Angeboten um. Sie sind entweder aufgeschlossen und neugierig oder abwehrend, abwartend oder ängstlich. Wovon hängt diese Offenheit oder dieses Zaudern ab?Der Umgang mit digitalen Techniken, das belegen viele Untersuchungen, ist in hohem Maße bestimmt vom Bildungsstand und vom damit verbundenen sozioökonomischen Status. Das fängt damit an, wo ich lebe, ob es in meiner Umgebung eine gute Infrastruktur gibt, und geht mit den materiellen Ressourcen weiter. Wir tun immer so, als könnte sich jeder einen Internet-Anschluss und eine digitale Ausstattung leisten, aber dem ist nicht so.Das haben wir ja während der Pandemie in den Pflegeeinrichtungen erlebt.Genau. Man muss für die materielle Ausstattung sorgen. Zudem ist es nicht selten notwendig, dass Menschen die Möglichkeit zum Nachlernen erhalten. Das ist eine bedeutende Aufgabe von Bildungseinrichtungen. Die Ausstattung mit einer digitalen Kommunikationstechnologie, verbunden mit angemessenen Bildungsangeboten, ist für mich ein Grundrecht.Schon im Januar 2020 schrieben wir im Achten Altenbericht an die Bundesregierung, dass für jene Menschen, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, Digitalisierung einen großen Gewinn bedeuten kann, weil sie die Möglichkeit eröffnet, kontinuierlich in sozialen Netzwerke integriert zu sein.Beobachten Sie auch geschlechtsspezifische Unterschiede?Das ist abhängig von den Alterskohorten, in den jüngeren Altersgruppen stellt sich die Frage nicht mehr, in den höheren sehr wohl.Ich hatte vorhin Ängste angesprochen. Gibt es auch psychologische Barrieren?Ich würde weniger von Ängsten als von Sorge und Unsicherheit sprechen. Und das hat natürlich mit dem Selbstkonzept zu tun, mit meiner Unsicherheit, ob ich denn überhaupt noch etwas Neues lernen kann. Um ein Beispiel zu nennen: Sie gehen in einen Supermarkt, der mit Selbstbedienungskassen ausgestattet wurde. Sie werden beobachten, dass manche Kunden, übrigens auch jüngere, diese Kassen meiden, entweder weil sie eine solche Serviceform ablehnen oder – häufiger – weil sie sich die Nutzung dieser Serviceform einfach nicht zutrauen. Hier spielt das Selbstkonzept eine Rolle, dabei übrigens auch die Sorge, vor den Augen anderer Menschen zu versagen. Diese Sorge wird noch stärker, wenn Menschen ihr Sehvermögen einbüßen.Vielleicht hat die Verweigerung auch damit zu tun, dass der Kontakt mit der Kassiererin für manche Menschen oftmals der einzige am Tag ist, den sie nicht verlieren wollen?Möglich. Die direkte Kommunikation, das Wahrnehmen und Spüren des anderen Menschen, ist natürlich von großer Bedeutung und darf nicht übergangen werden.Das führt uns zum Einsatz digitaler Technologien in der ambulanten und stationären Pflege. Telepflege und Pflegeroboter werden ja als großer Retter in der Pflegemisere angepriesen.In der assistierenden digitalen Technologie bis hin zur Telemedizin, Telepflege oder sogar Telephysiotherapie stecken etwa für die Rehabilitation oder für die Förderung von Selbstständigkeit im Alter ungeheure Potenziale. Aber es kommt darauf an, wie die digitale in die analoge Welt, also die Welt der leiblichen Kommunikation, integriert wird. Man muss sein Gegenüber sehen, spüren, riechen und seine Gegenwart erfahren. Und zum Zweiten, ich wiederhole es, brauchen Menschen die Möglichkeit, sich in die Nutzung einer solchen Technologie kontinuierlich einzuarbeiten, das muss quasi in Fleisch und Blut übergehen. Und das braucht Zeit. Wir haben mit dem Karlsruher Institut für Technologie einmal ein Projekt ausgerichtet, bei dem es um die Nutzung von Tablets für dementiell erkrankte Menschen ging. Sie wurden vorsichtig eingeführt und trafen sich dann in einer Gruppe, in der sie untereinander ihre Fotoalben austauschten. Das lief wunderbar, weil es mit einer umfassenden Kommunikation zwischen den Betroffenen untereinander und den sie begleitenden Personen verbunden war und die Technologie spielerisch angeeignet wurde.Das erinnert an die humanoiden Pflegeroboter wie Pepper, der ja sehr unterschiedlich aufgenommen wird. Solange die Pflegebedürftigen das Gefühl haben, mit ihm zu spielen, akzeptieren sie ihn, wenn sie merken, dass er Pflegekräfte einsparen soll, wird es kritisch.Ich finde, diese ganzen Formen stimulierender digitaler Technik haben ihre Berechtigung, aber immer unter der Voraussetzung, dass sie nur als Ergänzung eingesetzt werden. Es wäre fatal, würden wir menschliche pflegerische und leibnahe Beziehungen damit ersetzen.Gehörte dazu nicht auch, dass die betroffenen Menschen selbst darüber entscheiden können, welche Systeme eingesetzt werden, nicht zuletzt, um ihre Privatheit zu schützen?Ja, Sie sprechen den Aspekt der Selbstgestaltung an. Selbst wenn ich jemand gut aufkläre und bei der Einführung von digitalen Technologien begleite, muss er sich am Ende entscheiden können. Das ist die motivationale Grundlage, sich überhaupt damit auseinandersetzen zu wollen. Jemand nur ein Gerät hinzustellen, ist nicht zielführend. Das hat auch etwas mit Würde zu tun, das, was ich jemandem anbiete, muss auch mit dessen Kriterien eines guten Lebens übereinstimmen. Wobei man die Kriterien eines guten Lebens für sich immer wieder differenzieren und anpassen muss.Inzwischen erleben wir die Möglichkeiten der KI als Herausforderung. Der sogenannte Enkeltrick mit gefakten Stimmen ist ein berühmtes Beispiel. Scheinen hier die Grenzen der digitalen Kompetenz auf?Wir sollten bei allen Entwicklungsschritten in der Digitalisierung antizipieren, was sie bedeuten für unsere Kommunikation, unser Menschenbild und die Art unseres Zusammenlebens.Placeholder infobox-1
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