You don't fool me!

Rechts außen Auch der Trauerflor wird die echte Farbe der PEGIDA nicht verdecken

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You don't fool me!

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Der Zug der PEGIDA ist in die Spur gesetzt und rollt in die gewünschte Richtung. Das Orga-Team ist zufrieden, hat Medien gefunden, die nicht der Lügenpresse angehören und kann sich dort ungestört äußern. Nach der großkotzigen Einladung des Ministerpräsidenten agiert man weiter zunehmend selbstzufrieden. So wie es sich für politische Akteure gehört, die sich ihrer Sache sicher sind und Woche für Woche ein Bad im Jubel der Menge nehmen.

Dass die Reflexionsbereitschaft, oder Fähigkeit, wer weiß das schon, nicht besonders ausgeprägt ist, merkt man unter anderem daran, dass die Protagonisten der PEGIDA ähnlich handeln, wie sie es ihren Widersachern vorwerfen. So fühlen sie sich ungerecht behandelt, wenn die ganze „Bewegung“ nach den Taten und Einstellungen weniger Teilnehmer bewertet wird. Gleichzeitig qualifiziert man aber eine ganze Religionsgemeinschaft als gewalttätig ab, weil einzelne Mitglieder dieser gewalttätig sind. Einzelne Mitglieder berufen sich bei ihren Taten auf die Religion und damit werden alle anderen Anhänger in Mithaftung genommen. Dass so ziemlich jede Religion genutzt werden kann, um Gewalt gegen Andersdenkende zu legitimieren und dieses Potential durch die Werte der Aufklärung in Zaum gehalten wird fällt dabei hinten runter.

Die PEGIDA suchen sich bestimmte Aspekte der Wirklichkeit so heraus, dass sie in die eigene Argumentation passen. Das machen natürlich alle Lobbygruppen, aber es werden eben auch alle Lobbygruppen dafür kritisiert. Und eine Lobbygruppe, in der Fremdenhass und Demokratiefeindlichkeit strukturell angelegt sind, bekommt in einer demokratischen Gesellschaft von vielen Seiten Gegenwind. Es passiert zum Beispiel nicht alle Tage, dass ICH dem Aufruf eines CDU-Ministerpräsidenten folge und mich an einer von ihm initiierten Veranstaltung beteilige. So stand ich aber kürzlich des Sonntags mit 35 000 anderen vor der Frauenkirche und applaudierte den verschiedenen RednerInnen. Mal mehr und mal weniger. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog". Herrn Tillichs Rede, die mir, denkt man z.B. an die Unmenschlichkeit der Praxis von Winterabschiebungen, ziemlich verlogen vorkam, habe ich mir nicht bis zum Ende angehört. Aber zurück zu den verschiedenen Aspekten der Wirklichkeit, welche die PEGIDA sich entscheiden, selektiv wahrzunehmen oder zu ignorieren. In dem erwähnten Interview werfen sie zum Beispiel der Umma in Deutschland vor, Sonderrechte zu verlangen. Darin unterscheide sie sich von anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Andere Religionsgemeinschaften, so verkündet man der Gefolgschaft, würden sich an „deutsche Gepflogenheiten“ halten.

„Es geht allerdings nicht um den Ausländeranteil. Es geht darum, dass mit zunehmendem Anteil von Muslimen – eigentlich von einer Minderheit von diesen – immer mehr Forderungen an die Gesellschaft gerichtet werden. Auf diese Forderungen wird immer mehr eingegangen.
Allerdings gibt es in Deutschland noch viele andere Religionen, aus deren Gemeinden heraus nicht ständig Forderungen gestellt werden und die hier einfach nur ihre Religion nach ihren Vorstellungen leben, ohne andere damit zu behelligen, man möge sich doch bitte nach ihnen richten. Die sich auch nicht ständig durch irgend etwas beleidigt fühlen und sich an der deutschen Kultur auch nicht stören. Die muslimische Minderheit nimmt aber ständig Anstoß an den deutschen Gepflogenheiten und das finde ich nicht akzeptabel.“

Vielleicht meinen sie die „deutsche Gepflogenheit“, Frauen die „Pille danach“ zu verweigern, wie das in kirchlichen Krankenhäusern teilweise Praxis ist. Oder sie meinen die „deutsche Gepflogenheit“ kirchlichen Arbeitgebern ein besonderes Arbeitsrecht zuzugestehen, welches ArbeitnehmerInnen schlechter stellt. Oder vielleicht meinen sie die „deutsche Gepflogenheit“ Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu diskriminieren, wenn sie sich herausnehmen, gleiche Rechte zu fordern, wie die „traditionelle Familie“? Der Kampf um gleiche Rechte für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen wird in diesem Land weniger gegen muslimischen als gegen christlichen Widerstand geführt. In Uganda wurde von evangelikalen Christen versucht, die Todesstrafe für homosexuelle Menschen einzuführen. Nach internationalem Protest gab es nur noch lebenslänglich. Aber gut, das ist weit weg.

Vielleicht, das ist nur ein Gedanke, geht es den PEGIDA weniger um die vermeintliche Islamisierung, sondern viel mehr um die Herstellung des Status Quo der 50er Jahre. Zumindest die Fortschrittlichen. Es zeigt sich die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten. Es zeigt sich eine Angst vor Veränderungen. Veränderungen die etwa ein erhöhtes Maß an Komplexität zur Folge haben. Diese Angst scheint ein starker Motivator zu sein. Um so schwächer sind ihre Kompetenzen als Beraterin.

Für Menschen die sich als Demokraten verstehen oder dies zumindest vorgeben, legt man offenbar wenig Wert auf einen demokratischen Prozess wenn es um Veränderungen geht. Nach der Praxis um das Positionspapier, zeigt das auch das aktuelle Interview. Was ist gegen Forderungen einzuwenden? Was spricht dagegen, Forderungen zu diskutieren? Was ist dagegen einzuwenden, wenn einige Forderungen durchgesetzt werden? Einige werden mir nicht gefallen, andere schon. Den Rahmen gibt das Grundgesetz. Anstelle der Muslime würde ich viel mehr Forderungen stellen. Zum Beispiel, ebenfalls Kirchensteuer durch den Staat eintreiben zu lassen. Oder im Rundfunk dem Bevölkerungsanteil entsprechend weltanschaulich geprägte Sendezeit zu bekommen. Auf geht es, liebe muslimische Mitbürger, holt Euch Euren Anteil vom weltanschaulichen Kuchen der Öffentlich Rechtlichen (bevor die PEGIDA die GEZ abschaffen). Und wenn wir gerade bei einer Neuaufteilung sind, können die Ansichten von AtheistInnen und HumanistInnen ebenfalls dem Bevölkerungsanteil nach gerecht abgebildet werden. Dann werden wir auch sehen, was die warmen Worte der kirchlichen Vertreter wert sind. Gemeinsam nach dem Motto:

„Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen“ (Evelyn Beatrice Hall)

Die PEGIDA können aber noch mehr. Sie schaffen es hervorragend, die Position ihrer Gegner misszurepräsentieren. Soweit dass es eine Lüge wird. Das ist eigentlich Kernkompetenz von "Lügenpresse" und "Volksverrätern". So wird zum Beispiel weiterhin darauf Bezug genommen, dass am Anfang der Demonstrationen, einige Politiker und Prominente die PEGIDA fälschlicherweise als „Nazis“ bezeichnet hatten. Dass die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit mittlerweile deutlich differenzierter (bis hin zur Verharmlosung) ist, wird ignoriert. Man stellt sich weiter als Opfer der „Politikerkaste“, "Gutmenschen" und "Lügenpresse", sowie von der Antifa gegängelt dar. Dabei war es von Anfang an die Antifa, die gesagt hat, dass die PEGIDA keine Nazis sind. Was nicht bedeutet, dass man nicht „Nazipropaganda“ verbreiten könnte (daher der Sprechchor „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“).

OK, dass die PEGIDA nicht die Werte der Aufklärung vertreten, wie sie immer behaupten, ist keine Überraschung. In den vergangen Wochen konnten wir genug Beispiele für ihr Weltbild sammeln. Sowohl die Anhänger als auch das Orgateam selbst lassen, trotz wiederholter Beteuerungen des Gegenteils, immer wieder ihr reaktionäres, rechtes Weltbild durchscheinen. Da ich jedoch ein naiver Zeitgenosse bin und in stetem Zweifel lebe, frage ich mich, auch bei den Mitgliedern des Orga-Teams, dennoch immer wieder: „Wissen die vielleicht wirklich nicht, wofür sie da stehen?“

Doch, wissen sie. Der Spiegel lieferte kürzlich Informationen aus den inneren Kreisen des Orga-Teams, die zeigen, wie viel Kreide man offensichtlich fressen muss, bevor man vor die Mikros tritt. Und das Interview mit dem Orgateam, welches fleißig auf Facebook geteilt werden soll („Teilen, Teilen, Teilen“), ist mit Bildern geschmückt, von denen zwei ganz eindeutig der Identitären Bewegung zuzuordnen sind.

Montag gehen die PEGIDA wieder „spazieren“, zumindest werden sie es versuchen. Das Vertreten eines reaktionären Weltbildes wird als Trauermarsch für ermordete Cartoonisten getarnt. Cartoonisten denen die PEGIDA noch eine Woche vorher nichts abgewinnen konnten, die zur „Lügenpresse“ gehörten. Cartoonisten, deren überlebende Kollegen eine ziemlich eindeutige Meinung zu deren Vereinnahmung durch die PEGIDA haben. Cartoonisten die wohl zu den Journalisten gehört hätten, die, geht es nach Facebookkommentaren, „ab 2016 gelyncht“ werden.

Alerta! Alerta! Antifascista!

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Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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