„Civil War“ von Alex Garland: Im zweiten amerikanischen Bürgerkrieg
Kino Die Gegenwart in die Zukunft gedacht: Alex Garland schildert die USA in seinem neuen Film „Civil War“ als von bewaffneten Konflikten zerrissenes Land. Das hat dem britischen Regisseur beim SXSW-Festival in Austin Vorwürfe eingebracht
Lee Smith (Kirsten Dunst) reist in „Civil War“ als Kriegsfotografin durch Amerika
Foto: A24 / DCM
Man kann allein schon das Postermotiv von Civil War, der vierten Regiearbeit des britischen Schriftstellers, Drehbuchautors und Filmemachers Alex Garland (28 Days Later,Ex Machina, Auslöschung, Men), angesichts der ängstlich erwarteten US-Wahlen im November geschmacklos oder gar gefährlich finden. Und erst recht den zugehörigen Plot über einen in naher Zukunft entflammten zweiten amerikanischen Bürgerkrieg. Seine Wirkung verfehlt das Bild jedenfalls nicht: Ein wolkenverhangener, grau-gelblicher Himmel, in den das golden lodernde Symbol US-amerikanischen Freiheitsdenkens ragt – doch in der wohlbekannten Fackel der Freiheitsstatue haben sich hinter einer Reihe Sandsäcke Scharfschützen postiert.
Dabei ist Civil War keineswegs die erste filmische D
ivil War keineswegs die erste filmische Dystopie, die sich provokativ an der Symbolkraft der Freiheitsstatue vergeht. Ihr herabgefallenes Haupt zierte einst das Filmposter zu John Carpenters raubeiniger Schreckensvision Die Klapperschlange (1981), in der ganz Manhattan nach wachsender Kriminalitätsraten als abgeriegeltes Hochsicherheitsgefängnis für Schwerkriminelle herhalten muss. Mit letzter Kraft durchbrach ihre Fackel in der fernen, hochtechnologisierten Zukunft von Stephen Spielbergs melancholischem Sci-Fi-Drama A. I. Artificial Intelligence (2001) den angestiegenen Meeresspiegel, der die Wolkenkratzer des Big Apple unter sich begrub und zu menschenverlassenen Ruinen hat werden lassen.Und unvergessen bleibt natürlich auch der Moment – Spoiler Alert! –, in dem Charlton Heston am Ende von Planet der Affen (1968) die verkohlten Überreste der Freiheitsstatue an einem Strand entdeckt. Augenblicklich wird er sich bewusst, dass der vermeintlich von Menschenaffen regierte Planet der Zukunft in Wahrheit sein Heimatplanet ist – und entsprechend verzweifelt er: „Ihr Wahnsinnigen!“ In ihrem Verfall steht die Freiheitsstatue hier wie in vielen amerikanischen Katastrophenfilmen der letzten Jahrzehnte für das drohende oder längst vollzogene Ende von Mensch und Menschlichkeit. In Garlands Civil War hingegen verweisen die auf der Fackel postierten Scharfschützen auf die Brüchigkeit der Vorstellung, eine gemeinsame Vision von Freiheit und Unabhängigkeit könne das US-amerikanische Volk auf ewig einen.Denn das Amerika der nahen Zukunft, die Civil War zeichnet, ist ein vielfach frakturiertes Gebilde: Regiert wird es offiziell von einem autoritären Präsidenten (Nick Offerman), der in einer Rede zu Beginn des Films das baldige Ende der „illegalen Sezession“ und der letzten Gruppen Widerständiger heraufbeschwört. Damit sind zum einen die sogenannten „Western Forces“, ein gegenwärtig recht unwahrscheinlich scheinendes Bündnis aus den Bundesstaaten Kalifornien und Texas, sowie die nicht näher definierte „Florida Alliance“ gemeint. Diese Staaten eint lediglich das Ziel, den Präsidenten zu stürzen, der mit seiner dritten Amtsperiode und der Auflösung des FBI die Verfassung ausgehebelt und Luftangriffe gegen aufständische Zivilisten zu verantworten hat. Zwischen diesen Bündnissen befinden sich „loyalistische“ Bundesstaaten, in denen sich extremistische Milizen und Separatisten bekämpfen und Kriegsverbrechen begehen.Kriegsfotografin in der HeimatWie es zu dieser von unzähligen Konflikten und zerbrechlichen Zweckbündnissen gestalteten Landkarte kam, wird in Civil War nicht näher erläutert. Stattdessen wird das Geschehen aus einer Gruppe von Berichterstattenden perspektiviert, die die aktuellen Kämpfe aus nächster Nähe dokumentieren. Die erfahrene Kriegsfotografin Lee Smith (Kirsten Dunst) ist mit Reuters-Reporter Joel (Wagner Moura) zunächst in New York City zugegen, als eine um Nahrungsmittel ringende Menge von Polizisten niedergeknüppelt wird, bis eine Selbstmordattentäterin dem Tumult ein grausiges Ende setzt. Mittendrin stößt Lee auf die 23-jährige angehende Fotojournalistin Jessie (Cailee Spaeney), die in ihr ein großes Vorbild sieht. Widerwillig stimmt sie zu, dass Jessie und der betagte New York Times-Journalist Sammy (Stephen McKinley Henderson) sich ihr und Joel auf einem gefährlichen Roadtrip nach Washington D. C. anschließen. Dort nämlich wurde ihnen ein Gespräch mit dem Präsidenten zugesichert, der seit über einem Jahr keine Interviews gegeben hat.Dieser erste Akt, der das Publikum gleich mitten in das dichte Treiben von Civil War wirft, ist innerhalb des dystopischen Filmgenres noch am ehesten mit der haarsträubend realistischen Anfangssequenz von Alfonso Cuaróns Children of Men (2006) vergleichbar. Man wird in eine Gesellschaft dicht am Kollaps katapultiert, die Gemengelage ist unüberschaubar, die Konfliktlinien sind nicht klar gezeichnet. Zugleich aber weicht Garland deutlich von den visuellen Merkmalen dystopischer Filme ab: Anders als im von gräulich kalten Farben getragenen Children of Men vollziehen sich die Geschehnisse in Civil War in sonnenbeschienener Umgebung und werden in den erschütterndsten Momenten effektreich von Handkameras eingefangen und mit ausgeklügeltem Sound-Design untermalt. Dem Film ist keine artifizielle Düsternis auferlegt, er zieht sie allein aus der Unmittelbarkeit der gezeigten Brutalität und der Unberechenbarkeit menschlichen Handelns.Das hat viel mit der Protagonistin zu tun, die Garland in den Fokus rückt: Als Kriegsfotografin hat Lee unzählige Gräuel in Kriegs- und Krisengebieten außerhalb der USA beobachtet, was deutliche Spuren in ihr hinterlassen hat. Tagsüber hält sie die Fassade der hartgesottenen Fotografin mit stetem Finger am Abzug ihrer Kamera aufrecht, während sie abends die Bilder der vor Jahren erblickten und erfassten Grausamkeiten heimsuchen. Wie Joel und Sammy ist Lee keine klare politische Parteinahme im Verlauf ihres Roadtrips zu entlocken. Dokumentieren, nicht intervenieren, bläut sie als Mentorin wider Willen der jungen Jessie ein, die beim Anblick von mit vehementer Selbstjustiz gefolterten Plünderern noch die Fassung verliert.Ohnehin scheint das Land in so unterschiedliche politische Richtungen auszufransen, dass diesem Journalistenquartett eine aktivistische Leitlinie fernab der objektiven Dokumentation und Berichterstattung schwerfällt. An einer Stelle ist von den Portland-Maoisten die Rede, in einer anderen unvergesslich erschütternden Sequenz sehen wir Jesse Plemons als bewaffneten Soziopathen in Uniform, der recht eigentümliche Vorstellungen davon hat, was ein „richtiger“ US-Bürger ist. Als Joel unterwegs die leise Hoffnung auf den Sturz des Präsidenten äußert, verweist Sammy darauf, dass sich die abtrünnigen Bündnispartner nach einem solchen Sturz in Windeseile gegeneinander wenden werden. Ein baldiges Ende der tiefgreifenden Konflikte ist nicht in Sicht.Kritik nach der PremiereAnders als von vielen nach der Veröffentlichung des ersten Trailers vermutet, ist Civil War eben kein Kriegsfilm mit klarer Konfliktlinie zwischen Red States und Blue States geworden. Garlands Film greift nicht zu ausladenden Erkläransätzen oder dem naheliegenden Verweis auf die harsche Spaltung zwischen progressiven und reaktionären Kräften im gegenwärtigen Amerika. Dementsprechend wurde Civil War in ersten Kritiken kurz nach der Premiere auf dem South by Southwest (SXSW) Festival im texanischen Austin eine gewisse Vagheit, mitunter sogar „Rückgratlosigkeit“ des Skripts vorgeworfen und Alex Garland – als Nicht-Amerikaner bei dieser Themenwahl ohnehin kritisch beäugt – der Hang zur falschen Ausgewogenheit („bothsidesism“) unterstellt. Und tatsächlich sieht man den Punkt der Kritik, wenn man sich Garlands Äußerungen bei einer Gesprächsrunde im Rahmen des SXSW vergegenwärtigt, Links und Rechts seien „ideologische Auseinandersetzungen darüber, wie ein Staat geführt werden soll. Das ist alles, was sie sind. Sie sind nicht richtig oder falsch oder gut oder schlecht.“ Ein Befund, der angesichts der tiefgreifend negativen Folgen einiger innenpolitischer Entscheidungen in den USA, beispielsweise zu Waffen- und Abtreibungsgesetzen, verkürzt erscheint.Doch diese Art von Verkürzung merkt man seinem aktuellen Film nicht an, ganz im Gegenteil: Civil War weicht gängigen dystopischen Mustern durch den Verzicht auf Erläuterungen zur Vorgeschichte der Konflikte bewusst aus, damit das Ergebnis, die brüchige Gegenwart, in seinem gesamten destabilisierten Ausmaß in den Vordergrund rückt. Es ist ein Krieg, der weite Strecken des Landes, wie die Journalisten auf ihrer langen Fahrt nach Washington D. C. beobachten, in rechtlose Gebiete verwandelt hat. Sie werden Zeugen von Flucht und Vertreibung, der Entledigung von Leichen in einem Massengrab, Schusswechseln, bei denen die politische Zugehörigkeit des Feindes weder offensichtlich ist noch für die Opfer eine Rolle spielt.Anders als etwa in gängigen Dystopie-Franchises üblich, sind Lee, Joel, Sammy und selbst die junge Jessie weder Auserwählte noch Revolutionäre. Sie bieten auch nicht dieselben emotionalen Bezugspunkte von Figuren in postapokalyptischen Szenarien wie 28 Days Later (nach einem Drehbuch von Garland) oder der Cormack-McCarthy-Verfilmung Die Straße, die überleben und dabei ihre Humanität bewahren wollen. Das einzige, was die vier antreibt, ist ihr Beruf, der sie diesmal nicht ins Ausland verschlagen hat, sondern im Kriegs-Chaos daheim situiert.An dieser Tatsache verzweifelt Lee im Verlauf des Films zunehmend. „Jedes Mal, wenn ich in einem Kriegsgebiet überlebte, dachte ich, ich würde Warnungen nach Hause schicken: Macht das nicht“, gesteht sie Sammy an einer Stelle. Damit wird offenbar, was am dystopischen Aspekt von Civil War besonders überraschen oder eben enttäuschen mag. Garland, der das Drehbuch während der Coronapandemie begann, verlagert die aus diversen aktuellen Krisenherden bekannten Geschehnisse in ein Land, das aufgrund seines Einflusses, Wohlstands und der politischen Strukturen lange als immun gegen einen erneuten Bürgerkrieg wahrgenommen wurde. Er extrapoliert in eine Zukunft, die vielerorts schon seit Jahren Gegenwart ist.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1
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