Dieser Wahlkampf 2024 treibt seltsame Blüten. Endlose Spekulationen und Aufreger verdrängen beinahe, dass die USA an einem Scheideweg stehen und zum Jahresende ganz anders aussehen könnten. Viele Millionen Amerikaner werden frohen Herzens für einen potenziellen Autokraten stimmen, der sich am Staat rächen will. Joe Biden schaltet Wahlwerbung auf TikTok, vor Trump warnende, zum Teil spaßige Spots. Der Präsident scherzt über sein fortgeschrittenes Alter und signalisiert zugleich ein Verbotsgesetz für die dem chinesischen Unternehmen ByteDance gehörende Plattform, vorausgesetzt, der Kongress stimmt zu. Das will nicht zusammenpassen. TikTok wird von geschätzt mehr als 100 Millionen Menschen in den USA genutzt, besonders von Jüngeren,
n, die auch noch zur Zielgruppe der Demokraten zählen. Donald Trump war früher gegen TikTok und bemühte das Argument, die Plattform verschaffe den Kommunisten in China Zugang zu amerikanischen Daten. Nun hat er eine Kehrtwende vollzogen. Maßnahmen gegen Tiktok würden dem Internetkonzern Facebook helfen, und Facebook sei ein „Feind des Volkes“. Facebook hatte Trumps Konto 2021 zeitweilig gesperrt.Auf jeden Fall verläuft der Wahlkampf bisher enttäuschend für nach Werbeeinnahmen gierende TV-Sender. Die Vorwahlen waren schnell vorbei. Bei den Demokraten bekam Biden keinen Rivalen, Trump gewann fast alles. Es huldigen ihm angeblich kritische Politiker wie Mitch McConnell, Parteichef der Republikaner im Senat. Eine Ausnahme ist Ex-Vizepräsident Mike Pence, der im Sender Fox mitteilte, er werde Trump nicht unterstützen.Seit der Hauptwahlkampf früher als gewohnt läuft, kann jeder mit Blick auf den großen Tag am 5. November Prognosen aufstellen, wobei auf beiden Seiten eine gerechtfertigte und übertriebene Furcht vor dem Gegner zu erkennen ist. Trump hat seine Partei vollends auf Linie gebracht, dazu das Personal des Republican National Committee umgebaut. Neue Co-Vorsitzende ist mittlerweile Schwiegertochter Lara Trump. Vergessen sind Überlegungen, die Republikaner müssten ihr Zelt vergrößern und nicht nur die Trump-Basis füttern.Biden schlägt sich mit Kritikern seiner Israel-Politik herum, die bei Vorwahlen in manchen Staaten „unentschlossen“ angekreuzt haben. In Michigan und North Carolina waren es 13 Prozent, in Minnesota 19. Der Protest wirkt: Der Präsident und prominente Demokraten gehen nun auf Distanz zu Premierminister Benjamin Netanjahu, der mit seiner Kriegspolitik den Einfluss der US-Regierung im Nahen Osten untergräbt.Joe Biden agiert wie 2020Frustration ohne Ende verschaffen Trump-Gegnern dessen Gerichtsverfahren, während sich Trump-Anhänger nicht stören lassen von Schweigegeldzahlungen, mutmaßlich illegalem Umgang mit Geheimdokumenten, Wahlbehinderung und Trumps Ansporn zum Ansturm auf das Kapitol im Januar 2021. Verflogen sind Hoffnungen, Trump werde schuldig gesprochen und als verurteilter Straftäter in den Wahlkampf ziehen. Stattdessen geht die Strategie auf, die Verfahren zu verzögern und noch einmal zu verzögern. Die Justiz ist Trump nur begrenzt gewachsen. Justizminister Merrick Garland hat nach dem Kapitol-Sturm ganze 22 Monate gebraucht, um einen Sonderstaatsanwalt einzusetzen. Mitte März wurde das Schweigegeldverfahren in New York erneut verschoben.Der Staatsanwalt hatte angeblich plötzlich mehr als 100.000 Seiten neues Material entdeckt. Die wollen in Augenschein genommen werden. Die Bezirksstaatsanwältin in Georgia, die einen großen Trump-Prozess wegen Organisierter Kriminalität beim Manipulieren des dortigen Wahlergebnisses 2020 führen soll, ist dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt, der sich aus einer möglichen Affäre mit einem Mitarbeiter ergibt. Zu guter Letzt das Oberste Gericht: Mit seiner rechten Mehrheit lässt es sich Zeit bei der Frage, ob Trump als ehemaliger Präsident überhaupt vor Gericht gestellt werden kann. Die Anhörung findet Ende April statt, mit dem Urteil ist zu einem bisher unbekannten Zeitpunkt zu rechnen. Das Team Biden bemüht sich gelegentlich um eine „Versachlichung“ des Wahlkampfes mit programmatischen Ansätzen wie neuen Sozialausgaben.So soll Trumps Reduzierung der Unternehmenssteuer teilweise rückgängig gemacht, die Besteuerung für Reiche erhöht werden, um die Rentenversicherung langfristig zu finanzieren. Donald Trump hingegen hat im Sender CNBC von womöglich gekürzten Renten gesprochen. Unternehmen sollen weniger zahlen müssen. Im Kern unterscheidet sich Bidens Kampagne nicht groß von 2020: Trump sei eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Er pflege das Image eines Diktators. Im Dezember 2023 erklärte Trump gegenüber Fox tatsächlich, er werde bei einer neuen Amtszeit vom ersten Tag an Diktator sein. Den ersten Vorwahlauftritt hatte er im März 2023 im symbolischen Waco (Texas), wo sich Mitglieder einer Religionsgemeinschaft vor gut 30 Jahren tagelange Feuergefechte mit Bundesbehörden geliefert hatten und es 82 Tote gab. Zum Auftakt des Trump-Meetings wurde die Nationalhymne eingespielt, gesungen von Männern, die wegen des Kapitol-Sturms in Untersuchungshaft saßen.Die zweite Amtsperiode soll besser vorbereitet sein, etwa mit dem „Project 2025“ für eine „effektive konservative Regierung“. Manche bedauern noch heute, dass Trump im Weißen Haus wegen des „tiefen Staates“ zu wenig erreicht hat. Der Bewerber droht Gegnern Rache an, die ihn behindert und durch eine „Hexenjagd“ verfolgt hätten. Es erscheint zweifelhaft, ob die Justiz dem viel entgegensetzen und den Rechtsstaat erhalten wird.Die TikTok-Sache könnte sich im Frühjahr entscheiden. Das Repräsentantenhaus hat bereits für ein Verbot gestimmt, falls ByteDance die App nicht binnen 180 Tagen verkauft. Und wenn der Eindruck nicht trügt, stehen US-Investoren bereit, TikTok zu übernehmen. Trumps früherer Finanzminister Steven Mnuchin sagte dem Sender CNBC, er stelle schon eine Investorengruppe zusammen.