Ihre Unsicherheiten teilt Margot (Emma Jones, li.) mit Taylor (Geraldine Viswanathan)
Foto: David Giesbrecht/Studiocanal
Jeder Kuss mutet wahrscheinlich in extremer Nahaufnahme etwas seltsam an. Das Filmposter zum satirischen Psychothriller Cat Person aber scheint besonders schauderhaft: zur Linken das Profil einer jungen Frau, die mit fast geschlossenen Lippen vor sich hin starrt, während ein bärtiger Mann ihr einen denkbar invasiven Kuss aufdrückt. Schauspielerin Emilia Jones und Succession-Star Nicholas Braun stellen hier das vielsagende Foto nach, das die 2017 im New Yorker erschienene Kurzgeschichte von Kristen Roupenian zierte. Diese sorgte nach der Online-Veröffentlichung für unerwartet hohe Resonanz, wurde tausendfach geteilt, kommentiert, gleichermaßen gelobt und in der Luft zerrissen.
Im Groben handelt die Kurzgeschichte Cat Person wie die nun erscheinende Verfilmung vo
Im Groben handelt die Kurzgeschichte Cat Person wie die nun erscheinende Verfilmung von der 20-jährigen Studentin Margot, die bei ihrer Arbeit im Arthouse-Kino den Mittdreißiger Robert kennenlernt. Nach einem kurzen Geplänkel fragt er nach ihrer Nummer, die beiden flirten über Wochen via Textnachrichten und verabreden sich schließlich zu einem ersten Date, auf das oben beschriebener grauenhafter Kuss und schließlich im juristischen Sinne wohl einvernehmlicher, aber von Margot in dem Moment nicht wirklich gewollter Sex folgen.Das alles schilderte Roupenian in dritter Person aus der Perspektive Margots, die gegenüber Robert immer wieder zwischen Sympathie, Begehren und Ängstlichkeit schwankt. Denn Robert bleibt bis zuletzt für Margot ein Rätsel, ganz gleich, mit wie viel Empathie sie immer wieder versucht, seine Absichten zu erraten. Diese stets projizierende Innensicht Margots fügte sich mit dem Plot zu einer sorgsam ausgefeilten Erzählung über Ambivalenzen, Graubereiche und teils undurchsichtige Machtverhältnisse in der heterosexuellen Anbahnungsphase zusammen – aber mit dem finalen Befund, dass Frauen in potenziell bedrohlichen Situationen letztlich das Nachsehen haben.Ein Befund, der im Dezember 2017, knapp zwei Monate nach der durch den Weinstein-Skandal losgetretenen #MeToo-Welle, einen gesellschaftlichen Nerv traf. Viele junge Frauen lobten die Kurzgeschichte und erkannten sich wieder in Margots durch den Zwang zur Nettigkeit verdrängtem Unwohlsein in Datingsituationen (insbesondere mit älteren Männern). Das rief wiederum männliche Kritiker auf den Plan, die allerhand an der negativen Darstellung Roberts und an Roupenians Rückschlüssen zu Macht und „consent“ auszusetzen hatten. Die als besonders unsachlich empfundenen Auslassungen einiger Männer führten schließlich zur Eröffnung eines Twitter-Account namens Men React to Cat Person, der diese der durchaus wohlverdienten Lächerlichkeit preisgab. Und Roupenian? Sie erhielt einen hoch dotierten Buchvertrag, aber auch weiterhin enervierende bis bedrohliche Leser-E-Mails.Die nun erscheinende Verfilmung orientiert sich weitgehend am Plot von Roupenians Kurzgeschichte, spitzt aber die bedrohliche Beziehungsdynamik weiter zu: Nach der kurzen Eröffnungsszene, in der Margot zum ersten Mal auf Robert trifft, blendet Cat Person das bekannte Zitat von Margaret Atwood ein: „Männer haben Angst, von Frauen ausgelacht zu werden. Frauen haben Angst, von Männern umgebracht zu werden.“Ebendiese Angst begleitet Margot nicht nur auf dem nächtlichen Heimweg über einen menschenleeren Campus, sondern ist auch bei den ersten zaghaften Interaktionen mit Robert präsent. Mehrfach (etwas zu oft) spielt Cat Person dabei die Horrorszenarien durch, die in ihrem Kopf herumspuken. Währenddessen scheint Robert, den Nicholas Braun als Mann mit sorgsam kaschierter Unsicherheit treffend spielt, völlig im Unklaren darüber, dass sein undurchsichtiges Gebaren auf Margot bedrohlich wirken könnte.Ihre Ängste und Unsicherheiten teilt Margot mit ihrer resolut-feministischen Mitbewohnerin Taylor (Geraldine Viswanathan), die als Comic-Relief-Figur erstaunlich gut ausgearbeitet ist. Auftritte von Isabella Rossellini als schrulliger und affektierter Professorin und von Hope Davis als Margots Mutter tragen zu den grotesk-komischen Momenten dieses Films bei. Dieser findet seinen Tonfall zunächst irgendwo zwischen schwarzer Komödie, feministischem Drama und Psychothriller – für letztere Genreassoziation sorgt die in warme Düsternis getauchte und von Intimität und Gefahr zugleich sprechende Färbung ebenso wie die bedächtigen Zooms und geschmeidigen Fahrten von Kameramann Manuel Billeter.Doch im weiteren Verlauf überfrachtet dieser Film die Kurzgeschichte mit plumpen Bezügen zu popkulturellen Diskursen im Zuge von #MeToo: Roberts Bewunderung für Harrison Fords erzwungene Küsse in Das Imperium schlägt zurück und Blade Runner wirkt allzu strategisch platziert, ebenso eine Szene, in der Margot von ihrer Mutter genötigt wird, gemeinsam Marilyn Monroes problematischen Song My Heart Belongs to Daddy für den Stiefvater zu performen. In Anbetracht der Diskussionen, die Roupenians Geschichte ganz ohne diese Nebenverweise hergab, scheint das völlig überflüssig.Die reale Geschichte erlebte eine weitere Volte, als im Sommer 2021 im Magazin Slate der persönliche Essay einer gewissen Alexis Nowicki erschien. In ihrem äußerst reflektierten Beitrag legte Nowicki dar, wie sie herausfand, dass Roupenians Kurzgeschichte auf der Jahre zurückliegenden realen Beziehung zwischen ihr (damals 18), und dem Figurenvorbild für Robert (damals 33) basierte.Roupenian gab zu, dass sie selbst mit diesem „Robert“ eine unangenehme Begegnung hatte und danach beim Durchstöbern von dessen Social-Media-Profil auf Informationen zur einstigen Beziehung zu Nowicki gestoßen war. Sie entschuldigte sich für ihren achtlosen Umgang mit biografischen Details, doch viele Kritiker der Kurzgeschichte fühlten sich durch Nowickis Text in ihrem negativen Urteil bestätigt. Denn Nowicki hob hervor, dass ihre dreijährige Beziehung zu „Robert“ auf Augenhöhe, liebe- und respektvoll gewesen sei. Was diejenigen jedoch, die nun erneut gegen Roupenian austeilten, in Nowickis Text willentlich überlesen hatten, war der äußerst treffende Satz: „Wir sind alle unzuverlässige Erzähler.“Die Enthüllungen von Nowicki hatten auf die Filmadaption, damals schon im Produktionsprozess, wohl kaum Einfluss. Dabei hätte eine metafiktionale Reflexion dem dritten Akt deutlich besser gestanden als die abstruse Eskalationsspirale, die der Film ans ursprüngliche Ende der Kurzgeschichte hängt. Besonders enttäuschend ist dabei, wie sehr sich Cat Person auf eine abschließende Eindeutigkeit einlässt, die Roupenians Erzählung immer vermieden hatte – indem sie etwa offenließ, ob Robert, wie er behauptete, tatsächlich Katzenbesitzer sei. Im Film erfahren wir es.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1
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