Auf einem Handyvideo zeigt Sebastian Becker einen pinken Blitz, der durch eine kleine Röhre zischt. „Das ist das Leuchtfeuer der Zukunft“, sagt der 36-Jährige. Er ist einer der Gründer von refuel.green, einem Dresdener Start-up, das daran arbeitet, klimaneutralen Treibstoff – E-Fuels – zu erschwinglichen Preisen herzustellen. Das pink blitzende Gerät auf dem Handyvideo ist nur ein Prototyp, aber wenn es nach Beckerginge, stünden bald etliche dieser Maschinen auf dem Gelände der Ölraffinerie PCK in Schwedt. „Wir haben mega Bock“, sagt der Unternehmer, „das wäre der perfekte Fit!“ Doch nicht nur die Finanzierung des Projektes steht noch in den Sternen. Eine winzige Minderheit der PCK-Belegschaft hat eine
Leck in Druschba-Pipeline: PCK-Raffinerie könnte ab 2030 E-Fuels herstellen
Reportage Die „Druschba“-Pipeline versorgt die PCK-Raffinerie in Schwedt mit russischem Öl – noch. Ein Start-Up will dort ab 2030 grünen Kraftstoff produzieren. Besser Schwedt als nie!
Foto: Hannes Jung/Laif
ne andere Zukunftsvision für die Raffinerie: eine, die weiter auf Russland als Öllieferanten setzt und in der man mit Rechtsextremen auf Demos geht.Seit 1964, als in den Ostblockstaaten die Motorisierung an Fahrt aufnahm, wird Erdöl in der PCK-Raffinerie verarbeitet: zu Benzin, Kerosin, Diesel und Heizöl. Neun von zehn Autos in Brandenburg und Berlin fahren mit Kraftstoff aus der uckermärkischen Stadt. Angeschlossen ist das PCK an die Druschba-Pipeline, die Ölfelder im Westen Sibiriens mit dem 5.000 Kilometer entfernten Schwedt verbindet. Druschba ist Russisch und heißt „Freundschaft“. Weil die russisch-europäische Freundschaft mit dem Ukrainekrieg zerbrach, haben die EU-Staaten einen Importstopp bechlossen: Spätestens am 31. Dezember wird der letzte Tropfen russisches Öl in Schwedt versiegen, hier, auf dem PCK-Gelände, dessen brennende Fackel schon von Weitem zu sehen ist.Nicht nur die 1.200 Mitarbeiter sorgen sich deshalb um ihre Zukunft. Zulieferer, Bäckereien, Restaurants: Wenn es dem größten Arbeitgeber in der Region schlecht geht, leiden alle. Schon jetzt, an einem Freitagabend, ist der Jägerhof im Zentrum von Schwedt spärlich besucht. Das XXL-Schnitzel, laut Speisekarte „garantiert so groß wie die Latschen vom Chef“, kostet 12,99 Euro. Doch kaum ein Tisch ist belegt. Die Bundesregierung hat eine zweijährige Beschäftigungsgarantie für die PCK-Angestellten ausgesprochen. Doch welche Sicherheit bietet das jemandem, der in den 40ern ist, voll im Saft steht und die gesamte Lebensplanung auf Schwedt und die Raffinerie ausgerichtet hat?Ups, schon wieder „Volk“ gesagtPeggy Lindemann ist so eine. Die 43-Jährige sitzt im Café eines Einkaufszentrums. Sie hat pechschwarze Haare mit akkurat getrimmten Stirnfransen. Alle paar Minuten kommt jemand zu ihr, klopft auf den Tisch oder umarmt sie. „Ich kann kaum noch zu Kaufland oder zum Bäcker gehen“, sagt sie. Ständig würden Leute sie belabern: „Lass dich bloß nicht unterkriegen!“ Beim PCK angefangen hat Lindemann 1995, als Chemikantin. „Damals war das noch ’ne Auszeichnung, da zu arbeiten.“ Heute ist sie eine von 15 Mitgliedern des Betriebsrates – und zu einer Art Outlaw des Unternehmens geworden.Im Juni war sie bei Bild Live zu Gast: „Dat is’ nicht unser Krieg“, sagte sie dort, während ihr der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk gegenübersaß. Lindemann glaubt, der TV-Sender habe sie eingeladen, weil sie ein „Paradebeispiel“ für die derzeitige Situation in Schwedt sei: unsicherer Job in der Ölraffinerie, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, dazu noch der starke uckermärkische Dialekt, der sie wie ein Original klingen lässt.Seit Corona sympathisiert Lindemann mit der AfD. Ob sie ein Parteibuch besitzt, will sie nicht verraten. Die Telefonnummer des rechtsextremen Publizisten Jürgen Elsässer hat sie eingespeichert. Auf ihrem Handy zeigt sie den Aufruf zur „Volksfront“-Demo, bei der sie am nächsten Tag auf dem Berliner Alexanderplatz sprechen wird. Elsässer habe sie dazu überredet: „Komm, die Leute brauchen dich!“ Demonstriert wird „für Frieden und Freiheit“ und ein Ende der Sanktionen.Placeholder image-3„Ups, jetzt hab ich schon wieder ‚Volk‘ gesagt“: Für Lindemann stehen die deutschen Interessen im Mittelpunkt. Aber sie hat ein ernst zu nehmendes Argument gegen das Embargo: Dass bald ausreichend Öl aus anderen Ländern als Russland nach Schwedt kommt, glaubt sie nicht. Die Häfen von Rostock und Danzig werden am heißesten als Alternativrouten diskutiert. Im August hatte der erste US-Öltanker mit einer Ladung fürs PCK den Rostocker Hafen erreicht. Doch in ihrem jetzigen Zustand können durch die Pipeline, die von Rostock nach Schwedt läuft, nur fünf bis sieben Millionen Tonnen pro Jahr fließen. Die Verarbeitungskapazität im PCK beläuft sich aber auf circa das Doppelte.PCK-Geschäftsführer Harry Gnorski schätzt im Gespräch mit dem Freitag, dass es „zwei bis drei Jahre“ dauert, bis die Rostock-Leitung mit genügend neuen Pumpen versehen ist, um mehr Öl von dort nach Schwedt zu transportieren. Und was passiert in der Zwischenzeit? Die polnische Regierung hat noch nicht ihre Zustimmung für den Weg über Danzig erteilt. Und selbst wenn: Viel mehr als zwei bis drei Millionen Tonnen pro Jahr würden auch über diese Route nicht kommen. Die Frage ist: Welche Perspektive hat die Raffinerie, wenn sie über einen so langen Zeitraum nicht mit voller Kapazität läuft? Und wie soll es gelingen, die Belegschaft in diesen unsicheren Zeiten nicht in die Arme der rechten Rattenfänger laufen zu lassen?Am Samstagnachmittag kommt einer, der einen Ausweg aufzeigt. Gregor Gysi steht auf dem zentralen Platz der Befreiung. „Den find ick och toll“, hatte Lindemann gesagt. Auf manchen Regenschirmen, die sich vor der Bühne tummeln, prangt auf dunkelgrünem Hintergrund: das weiße PCK-Logo. Solange die in Schwedt verarbeitete Menge nicht zu 100 Prozent mit anderen Ölquellen ausgeglichen werden kann, so Gysi, solle die Differenzmenge weiter aus Russland kommen. Das Embargo habe „katastrophale Folgen für das PCK“. Immer wieder beklagt der Linke die „Missachtung des Ostens“. Eine Raffinierie im Westen würde die rot-grün-gelbe Regierung anders behandeln. Dass jetzt von „Treuhand“ die Rede ist, finden sie nicht toll, hier, wo man mit diesem Begriff nur Schlechtes verbindet.Grünes Erdöl für einen EuroIm September wurde Rosneft Deutschland, dem das PCK mehrheitlich gehört, unter die Treuhandverwaltung des Bundes gestellt. Damit ist gemeint, dass die Bundesnetzagentur die Kontrolle über die Geschäfte des PCK übernommen hat. Um sicherzustellen, dass sich dort um alternative Ölquellen gekümmert wird: Die deutsche Tochter eines russischen Mineralölkonzerns hätte das kaum freiwillig getan. Flankiert wird diese staatliche Übernahme von 750 Millionen Euro, die in den nächsten 15 Jahren in die Region fließen sollen. Um die Rostock-Pipeline auszubauen. Und um die Umstellung auf ökologischere Energieträger zu beschleunigen, die im PCK verarbeitet werden könnten.Placeholder image-1Und da kommt refuel.green ins Spiel: Ende September hielt dessen Gründer Sebastian Becker beim Ostdeutschen Energieforum in Leipzig eine Rede. Dort schilderte er dem Publikum, wie man mithilfe der Erfindung seiner Firma ökologischen Brennstoff zum Preis von nur einem Euro pro Liter herstellen kann. Bisher liegen die Produktionskosten dafür ungefähr bei 2,50 Euro. Aber Becker sagt, er habe einen Weg gefunden, wie die Betriebskosten zur Herstellung von E-Fuels reduziert werden könnten. Die Patentanmeldung läuft. Als er vom Podium in Leipzig heruntertrat, fing ihn die Bürgermeisterin von Schwedt, Annekathrin Hoppe (SPD), ab: „Genau das brauchen wir bei uns!“Becker erklärt dem Freitag, wie sein Verfahren funktioniert. Erdöl bestehe aus zwei Zutaten: Kohlenstoff und Wasserstoff. Es müsse also darum gehen, diese beiden Elemente künstlich zusammenzuführen. Dafür braucht man einen sogenannten Plasmakatalysereaktor: In diesem röhrenförmigen Gerät reagieren Kohlenstoff und Wasserstoff zusammen mit Plasma. Dass es dabei pink blitzt, findet Becker „marketingtechnisch super“. Am Ende kommt ein Gebräu heraus, das in seiner chemischen Zusammensetzung ziemlich exakt Erdöl entspricht. Und weil in dem Produktionsverfahren CO₂ aus der Luft herausgefiltert wird, ist die Verbrennung dieses E-Fuels ein Nullsummenspiel fürs Klima.Placeholder image-2Wie lange die grüne Transformation des PCK dauern wird? Der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) antwortet dem Freitag: sieben bis acht Jahre. Becker tippt auf seinem Handy rum und rechnet das kurz durch: „Hmm, ein optimistischer Minister“, sagt er und lacht. Um auf die zwölf Millionen Tonnen Erdöl zu kommen, die pro Jahr im PCK verarbeitet werden, müssten 4.000 seiner Plasmakatalysereaktoren aufgebaut werden – jeder davon so groß wie ein Schiffscontainer. Und die müssen, damit auch alles ökologisch vonstatten geht, mit grünem Strom angetrieben werden. Dafür wiederum bräuchte man zwischen 45 und 60 Gigawatt Wind- und Solarenergie. Zum Vergleich: Ganz Deutschland produziert zurzeit 65 Gigawatt Windenergie im Jahr. „Aber wenn wir richtig reinklotzen, kann das bis 2030 klappen“, sagt Becker, der nach dem Interview extra noch mal anruft, um folgende Botschaft zu platzieren: „Es müssen nur Geld und Aufträge kommen.“Denkbar sei, so Becker, dass zunächst nur so viele Container aufs PCK-Areal gestellt werden, um die akute Versorgungslücke zu schließen. Ende Oktober wird sich der Unternehmer mit PCK-Geschäftsführer Harry Gnorski treffen: In einem ersten Schritt soll ein winziger Prototyp eines Plasmakatalysereaktors auf das PCK-Gelände gestellt werden; der produziert einen Liter erneuerbaren Kraftstoff am Tag. Becker hofft, dass im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Raffinerie auch das Thema Geld zur Sprache kommt. Vielleicht landet ja ein Teil der 750 Millionen Euro bei refuel.green?25 Azubis eingestelltDoch was, wenn die fancy Start-up-Idee nicht umgesetzt wird? „Für zwei Jahre seid ihr im Trockenen“, hatte Minister Steinbach den 25 Azubis gesagt, die das PCK dieses Jahr eingestellt hat. Noch folgt nur eine Minderheit der Belegschaft dem radikalen Kurs von Peggy Lindemann. Die Betriebsratsvorsitzende, Simona Schadow, hatte ihr vor der „Volskfront“-Demo gesagt: „Du hast kein Mandat, fürs Unternehmen zu sprechen!“ Hat gezogen: Obwohl Lindemann auf dem Flyer als Betriebsrätin der Raffinerie angekündigt war, sagt sie auf dem Alexanderplatz: „Ich darf nicht als Mitarbeiterin sprechen und nicht als Betriebsrätin, denn meine Belegschaft steht nicht hinter mir.“Als Olaf Scholz kürzlich vorbeikam, warf Lindemann dessen Regierung „Raubbau an unserem Land“ vor. Unter Buhrufen der anderen Angestellten wurde ihr das Mikro abgedreht. Nur knapp zehn Kollegen würden sie offen unterstützen, so Lindemann. Darunter sei ein Bereichsleiter, dessen Namen sie nicht nennen will. Werden es mehr sein, wenn das PCK endgültig vor dem Aus stehen sollte?Man stelle sich vor, dass in ein paar Monaten ein grüner Wirtschaftsminister mit einem Monatsgehalt von 25.000 Euro aus Berlin angereist kommt, um den Leuten im PCK zu erklären, dass sie das Kreuz der Arbeitslosigkeit nun doch tragen müssen. Für die Ukraine. Für den Weltfrieden. Und fürs Klima. Sehr unwahrscheinlich, dass Gysis Forderung dann umgesetzt wird, die er den im prasselnden Regen stehenden Leuten zugerufen hatte: „Wenn die Regierung eine Raffinerie schließt, dann muss sie am nächsten Tag zum gleichen Lohn eine Alternative anbieten.“ Und was, wenn der Laden aus anderen Gründen nicht mehr läuft? Am Abend des 11. Oktober wurde in der Druschba-Pipeline ein Leck entdeckt.Einige Tage vorher gab man sich noch optimistisch im PCK: Auf den schwarzen Rucksäcken, welche die Azubis zu ihrem Einstand feierlich überreicht bekamen, stand in weißen Lettern der Satz: „Hier in Schwedt ist der Platz für morgen.“
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