Raus aufs Land

Peripherie In Brandenburg ist die Kreisgebietsreform gescheitert. Rot-Rot-Grün in Thüringen sollte vor derlei Plänen gewarnt sein
Ausgabe 45/2017
Wieso sucht sich eine rot-rote Landesregierung als zentrales Projekt Pläne zum Rückzug des Staates aus?
Wieso sucht sich eine rot-rote Landesregierung als zentrales Projekt Pläne zum Rückzug des Staates aus?

Foto: Martin Müller/Imago

Kreisgebietsreform. Das ist ein schrecklich deutsches Wort. Nach der Landtagswahl 2014 in Brandenburg beschlossen SPD und Linkspartei eine solche Reform und die „Einkreisung von kreisfreien Städten“. Übersetzt bedeutete das zum einen, dass die Anzahl der Kreisverwaltungen reduziert werden sollte, und zum anderen, dass Brandenburg/Havel, Frankfurt/Oder und Cottbus das Privileg des eigenen Stadtkreises nicht mehr vergönnt sein sollte. „Wir halten grundsätzlich maximal zehn Kreisverwaltungen für ausreichend, auf die derzeit vom Land wahrgenommene Aufgaben übertragen werden“, heißt es im Koalitionsvertrag, der mit den Adjektiven „sicher“, „selbstbewusst“ und „solidarisch“ überschrieben ist. Sicher ist, dass Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke vergangene Woche betont selbstbewusst das Aus der Reform verkündet hat, um eine weitere „Spaltung des Landes“ zu verhindern. Fragt sich, wie solidarisch es gewesen wäre, die Verwaltung auf Kosten der Bevölkerung zu straffen.

„Keine Vernichtung unserer regionalen Arbeitsplätze“ als Forderung auf einem Transparent, laute Buhrufe, die über den Marktplatz tönen: Solche Szenen erlebte Landesinnenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) fast überall, wo er auftauchte, um für die Kreisgebietsreform zu werben. Denn wer trägt die Kosten einer solchen Neugliederung? Bereits Mitte des Jahres hat die Universität Potsdam in einem Gutachten über die Wirkung von Gebietsreformen festgestellt, dass dadurch „Teilhabeprobleme der Randgebiete im Vergleich zum Zentrum entstehen können“.

Mecklenburg-Vorpommern steht paradigmatisch für negativen Folgen, die solche Veränderungen mit sich bringen. Dort trat bereits 2011 eine Kreisgebietsreform in Kraft. Die Argumente für diese Reformen sind stets dieselben: Sparzwänge. Die Resultate auch: Abwanderung, Stellenabbau und längere Wege zum nächsten Amt. Da freut sich der Bürger! Außerdem stärkt der Identitätsverlust – als mögliche Folge einer Gebietsreform – die zentrifugalen Kräfte der Gesellschaft. Da freut sich dann die AfD.

Wieso aber sucht sich eine rot-rote Landesregierung, wie es sie in Brandenburg seit 2009 gibt, als zentrales Projekt ihrer Legislaturperiode gerade Pläne zum Rückzug des Staates aus? Die Linken sind doch schon lange mit der Idee des Staates versöhnt. Aber anscheinend geht auch hier bereits der anti-etatistische Samen des Neoliberalismus auf. In Brandenburg ist die Kreisreform nun vom Tisch. Das ist gut, denn den Preis für ihre Umsetzung hätte die Peripherie gezahlt.

In Thüringen ist eine Gebietsreform noch auf der politischen Agenda. Weniger Landkreise und kreisfreie Städte, dafür mehr Wirtschaftlichkeit. Neugestaltungen dieser Art betreffen immer unmittelbar den Alltag der Menschen. Bleibt das Krankenhaus? Die Polizeidienststelle? Nur, wen die Hybris der politischen Entscheidungsgewalt schon erfasst hat, betrachtet solche Fragen als Petitessen. Doch in Erfurt hält Ministerpräsident Bodo Ramelow auch nach dem Scheitern im Nordosten der Republik an der Reform fest: „Wir werden uns nicht vor unserer Verantwortung drücken.“

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Ein Linker nennt Rationalisierungen verantwortungsvolles Handeln. Daraus resultiert dann das Kuriosum, dass CDU-Politiker wie Mike Mohring einer linken Regierung erklären können, wieso man staatliche Institutionen nicht aus dünnbesiedelten Gebieten abberufen sollte: „Wenn der Staat sich zurückzieht, überlässt er die leeren Räume den Populisten“, erklärte der Thüringer CDU-Landeschef schon im Frühjahr dieses Jahres. Die Christdemokraten bringen die Genossen mit ihrer eigenen Melodie zum Tanzen. Doof ist das nicht. Was lässt sich nun aus dem Misslingen in Brandenburg lernen? Effizienzsteigerung ist kein linkes Projekt. Also lasst gefälligst die Finger davon.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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