Cannabis: „Ich sehe die Legalisierung mit großer Sorge“
Prävention Wer schon mit 15 Cannabis konsumiert, riskiert Psychosen. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Charité, warnt vor Romantizismus um ein Naturprodukt
Der Bundestag hat nach langem Hin und Her die Legalisierung von Cannabis beschlossen. Für Volljährige soll Konsum und Besitz von bis zu 25 Gramm künftig erlaubt sein. Viele Experten und Politiker sehen in der Liberalisierung einen Meilenstein in der Drogenpolitik, auch, weil damit der Schwarzmarkt zurückgedrängt werden soll. Minderjährigen bleibt der Konsum verboten, wer dabei erwischt wird, soll an Interventions- und Präventionsprogrammen teilnehmen. Andreas Heinz ist Arzt an der Charité in Berlin und erforscht, warum Cannabis für junge Menschen gefährlich ist.
der Freitag: Herr Heinz, wie beurteilen Sie die Legalisierung von Cannabis?
Andreas Heinz: Ich betrachte die Legalisierung mit großer Sorge. Ob das dann nicht weniger Kinder und
trachte die Legalisierung mit großer Sorge. Ob das dann nicht weniger Kinder und Jugendliche davon abhalten wird, Cannabis zu konsumieren, auch wenn sie es rechtlich nicht dürfen, wäre hier die Frage.Laut Aussage des Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), probieren bereits Zwölfjährige Cannabis. Insgesamt sollen es in den vergangenen Monaten rund 340.000 Jugendliche gewesen sein, die die Droge erstmals genommen haben. Die Tendenz ist in den letzten zehn Jahren steigend. Die größte Altersgruppe an Konsument*innen ist die zwischen 18 und 25 Jahren.Allen Kindern und Jugendlichen wünschte ich, dass sie Cannabis erst als Erwachsene konsumieren. Sogar bei 18-Jährigen wäre es wünschenswert, dass sie mit dem Konsum warten. Denn das menschliche Gehirn bildet sich bis etwa zum 25. Lebensjahr noch aus. Das ist aber leider höchstwahrscheinlich unrealistisch. Das Problem ist: Die gesellschaftliche Situation ist eine ganz andere.Ist Cannabis eine Einstiegsdroge für Jugendliche?In Deutschland war die Einstiegsdroge bisher immer Tabak. Die Jugendlichen fangen mit zehn oder zwölf Jahren an zu rauchen und trinken mit etwa 13 oder 14 Jahren den ersten Alkohol. Zu dieser Zeit gibt es auch den ersten Kontakt mit Cannabis. Wenn sie die Droge wie bislang illegal kauften, wurden ihnen durch die Händler auch andere, härtere Drogen verkauft. Den Schwarzmarkt für illegale Drogen wird es nach der Legalisierung aber weiterhin geben, nur dass dann hoffentlich weniger Menschen auf der Suche nach Cannabis zu den Händlern gehen werden. Noch ist nicht ganz klar, ob das Gesetz den Schwarzmarkt aushebeln wird, da Gelegenheitskonsumierer weiterhin ihr Cannabis vom Dealer beziehen werden.Wie wirkt Cannabis im Körper?Cannabis wirkt an Andockstellen, sogenannten CB1- und CB2-Rezeptoren. Die ersten sitzen im Gehirn, die zweiten vor allem außerhalb des Gehirns. Unser Körper besitzt sogenannte körpereigene Cannabinoide, cannabisartige Stoffe, die an diese Rezeptoren binden. Im Gehirn gibt es fast keine Zelle, die keine Cannabisrezeptoren hat. Konsumiert man also Cannabis, verändert sich so die Signalübertragung im größten Teil des Gehirns.Lehnen Sie denn das Kiffen generell ab?In einem Naturprodukt wie Cannabis sind Dutzende von Stoffen enthalten. Viel diskutiert wird Tetrahydrocannabinol (THC), eine psychoaktive Substanz, die auch das Auftreten von Psychosen fördert, sowie zum Beispiel die Substanz Cannabidiol, die vielleicht sogar Nervenzellen schützt. Es ist also ein buntes Gemisch von wirksamen Substanzen. Medikamente bestehen dagegen in der Regel nur aus einer Substanz. Aber ein Naturprodukt enthält eine ganze Reihe wirksamer Bestandteile. Manchmal ist dies gar nicht schlecht: Nehmen Sie beispielsweise den Saft der Mohnkapsel ein, legen bestimmte Stoffe die Darmaktivität lahm und andere fördern sie. Sie hätten also wahrscheinlich weniger Verdauungsprobleme, als wenn Sie nur Opium als Medikament einnehmen würden. Aber denken Sie nur an Knollenblätterpilze oder andere giftige Pflanzen: Auch in der Natur sind Substanzen vorhanden, die Menschen nicht vertragen oder die sogar sehr schädlich sind. Dieser Romantizismus beim Cannabis als „Naturprodukt“ ist nicht sinnvoll. Auch ein Naturprodukt kann schädlich sein.Wie meinen Sie das konkret?Interessanter- und bedrückenderweise gibt es Studien darüber, dass ein früher Cannabiskonsum – also etwa bei 15-Jährigen – Psychosen fördert. Und die haben in diesen Studien gar nicht sehr oft konsumiert, also ein halbes Dutzend Mal bis ein Dutzend Mal. Das ist nichts Besonderes in einer Stadt wie Berlin. Die Psychose-Raten waren bei dieser Gruppe tatsächlich in den darauffolgenden 15 Jahren deutlich höher.Wie genau definiert man eine Psychose?Eine Psychose bedeutet, dass Menschen Dinge erleben, die sie im Alltag eher nicht kennen. Das können Gedanken sein, die sich in ihren Gedankenablauf einschieben. Diese Menschen erleben sich als fremdbestimmt. Das können beispielsweise auch Stimmen sein, die sie als von außen gesprochen wahrnehmen, ohne dass jemand da ist. Wenn Menschen diese ungewöhnlichen Erfahrungen haben, reimen sie sich dafür eine Erklärung zusammen. Je individueller diese Erfahrungen für die Menschen sind, desto vereinzelnder kann die Erklärung werden. Diese Erklärungen können sehr ungewöhnlich sein und der Betreffende kann sehr hartnäckig daran festhalten. Diese Erklärungen gehen dann über in Wahnvorstellungen, an denen der Erkrankte trotz Gegenbeweisen noch festhält.Und das kann schon einem jungen Konsumenten passieren?Ja. Das alles kann auch von nur geringem Cannabiskonsum im Jugendalter befördert werden. Psychosen treten dann in der folgenden Zeit deutlich häufiger auf im Vergleich zu denjenigen, die als Jugendliche kein Cannabis konsumiert haben. Früher hieß es, dass Psychosen nur auftreten, wenn eine Person eine Disposition dafür besitzt, also eine genetische Vulnerabilität.Ist das nicht so?Nein. Das Beunruhigende ist: Rechnet man die genetische Disposition mit ein, ist das Risiko nach Cannabiskonsum noch deutlicher erhöht. Nehmen wir an, eine Person raucht Cannabis und hat keine genetische Disposition; und vergleichen wir sie mit jemandem, der eine genetische Disposition hat und kein Cannabis konsumiert, dann ist das Risiko für Psychosen in etwa gleich hoch und gegenüber der Allgemeinbevölkerung bereits erhöht. Wenn beides zusammentrifft, also die genetische Disposition und der Cannabiskonsum, dann ist das Risiko für Psychosen aber noch deutlich höher. Robin Murray, ein sehr erfahrener britischer Schizophrenie-Forscher, trug vor drei Jahren sehr viele Studien zusammen und stellte fest, dass die Zahl der Menschen mit Cannabis-bezogenen Problemen einschließlich der Psychosen in den letzten Jahrzehnten parallel zum Cannabiskonsum sehr deutlich zugenommen habe. Deswegen macht man sich in der Fachwelt große Sorgen.Cannabis verstärkt und bewirkt also Psychosen?Ja. Ohne Panik verbreiten zu wollen: Wenn ich einen eineiigen Zwilling habe, der eine schizophrene Psychose erlebt, dann ist mein Risiko etwa eins zu drei. Also etwa ein Drittel aller eineiigen Zwillinge erlebt dann ebenfalls eine Psychose. Das ist etwa 33-mal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, in der Psychosen bei etwa einem Prozent weltweit auftreten. Wenn jemand ein frühkindliches Trauma erlebt hat, ist das Risiko um das Dreifache erhöht. Dies können Sie auch beobachten, wenn Personen rassistisch ausgegrenzt wurden und keine solidarische Unterstützung in ihrem Umfeld erlebten. Wenn sie eine genetische Disposition haben und Cannabis im Jugendalter konsumieren, dann ist ihr Risiko für Psychosen um das Drei- bis Vierfache erhöht.Wie ist das bei Ihnen auf der Station?Wenn Sie bei uns auf einer Station gucken, dann konsumiert ungefähr die Hälfte unserer Patientinnen und Patienten Cannabis oder andere Drogen. Die Psychosen treten bei jungen Männern häufiger und früher auf als bei jungen Frauen, aber die Unterschiede sind nicht sehr groß.Aber sind denn diese Zahlen für Cannabis als Auslöser für psychische Krankheiten so hoch, dass man vor dem Konsum warnen müsste?Ja. In der Übersichtsarbeit, die Robin Murray vorgestellt hat, gibt es in Europa Daten aus Rettungsdiensten. Diese Daten zeigen einen deutlichen Anstieg von notfallmäßigen Erstkontakten mit Psychosen bei jungen Leuten mit Cannabiskonsum. Das waren derart massive Zahlen, dass man davon ausgeht, dass sich hier ein gravierendes Problem anbahnt. Im Umkehrschluss heißt das wiederum: Der Konsum findet bereits statt, und zwar in einem großen Ausmaß.Mit der Legalisierung wird der Joint dann aber doch von vielen Menschen als Genussmittel gesehen, also fast wie eine Zigarette oder ein Glas Wein.Wenn sich unsere Gesellschaft mit dem Cannabis eine weitere Droge genehmigt, wäre es zumindest wichtig, zu fordern, dass nun viele Ressourcen dafür aufgetan werden, um die Verletzlichen unserer Gesellschaft zu schützen: die Kinder, Jugendlichen und die Menschen, die an Psychosen erkranken können. Für mich kommt das in etwa dem Umgang mit Alkohol gleich. Wenn die Mehrheit in unserer Gesellschaft sagt: Alkohol ist ein altes Kulturgut und soll weiterhin legal bleiben, so ist das legitim. Als Arzt gilt für mich aber weiterhin: Alkohol ist schädlich. Als Staatsbürger kann ich damit einverstanden sein, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Droge Alkohol trotz aller Bedenken zugelassen ist. Aber dann müsste von der Steuer auf Alkohol ein substanzieller Teil den Menschen zugutekommen, die unter der Freiheit des Alkoholkonsums der Vielen leiden. Also denjenigen, die alkoholabhängig werden. Diese Menschen dann nicht herabzusetzen und zu diskriminieren, sondern ihnen zu helfen, ist unsere Aufgabe als Gesellschaft. Denn sie zahlen den Preis für die Freiheit.Wie könnte eine solche Hilfe mit Blick auf Cannabis aussehen?Im Sinne der Sekundärprävention sollten besonders gefährdete Menschen schon frühzeitige Hilfsangebote erhalten. Das wären zum Beispiel niederschwellige Beratungsstellen, wo Menschen angstfrei und schnell in ein professionelles Hilfesystem kommen und Beratung, Zuwendung und Therapie erhalten. Wenn eine Gesellschaft den legalen Zugang zu einer Droge erleichtert, dann sollte sie sich ganz besonders um diejenigen kümmern, die unter die Räder kommen könnten.Placeholder infobox-1
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