„Murks“ nennt es die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD), „Hasenfüßigkeit“ wirft der Abgeordnete der Linken, Ates Gürpinar, der Bundesregierung während der aufgeheizten Plenardebatte vor. Die Spannbreite der Meinungen und Haltungen zur erklärten „Kehrtwende in der Drogenpolitik“, wie sie Behrens’ Parteifreund, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, ausgerufen hat, ist riesig und unterläuft alle Fraktionsdisziplin. Behrens etwa wusste sämtliche Innenminister der Länder hinter sich, die sich in einem Brief gegen die Teil-Legalisierung von Cannabis wandten. Sie fürchten eine Ausweitung des Konsums, der den illegalen Markt für die Droge noch attraktiver mache und die zusätzlic
liche Belastung der Behörden, vor allem im Hinblick auf die Abstandskontrollen und die Überwachung der Clubs, die künftig Cannabis abgeben dürfen.Auf der anderen Seite sind jene unzufrieden, die sich eine uneingeschränkte Legalisierung von Cannabis gewünscht hätten: „Betreutes Trinken ab 14 Jahren“, so Gürpinar in seiner Polemik in Richtung Union, „halten Sie für eine großartige Idee, Alkohol, Süßigkeiten und Kippen in der Quengelzone in jedem Supermarkt nebeneinander, das passt in Ihre Welt.“ Gar nicht zu reden von den Panzern, auf denen Kindern beim Besuch der Bundeswehr in der Schule spielen dürften. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), fordert schon seit Längerem strengere Regeln für die Alkoholabgabe.Alkohol als VorbildDie Debatte darüber, wo die Grenze zwischen legalen und illegalen Drogen verläuft, ist so alt und wird emotional geführt wie die seit den Opiumkriegen des 19. Jahrhunderts einsetzende staatliche Drogenpolitik selbst. Jedes Kind kennt die schädigenden Folgen von Alkohol, dennoch pflegen 17 Millionen aller 18- bis 64-Jährigen in Deutschland einen riskanten oder problematischen Umgang damit. Die „drogenfreie Welt“, für die der damalige US-Präsident Richard Nixon vor 50 Jahren in den selbsterklärten Drogenkrieg gezogen ist, war schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es die Scheidung von „guten“ und „schlechten“ Drogen zumindest aus gesundheitspolitischer Sicht gar nicht geben kann, weil sie einfach willkürlich ist. Prohibition war immer schon ein Stück weit mit Rassismus verbundene Machtpolitik, die sich gegen die Unterschichten richtete.Es hat in Deutschland sehr lange gedauert, bis sich die Einsicht durchsetzte, dass mit Verboten weder der Einstieg in die Welt der Drogen noch deren Konsum verhindert werden kann. Dass die AfD das neue Gesetz als ein „Konjunkturprogramm für die Organisierte Kriminalität“ diffamiert, verwundert niemand. Dass aber durchaus kompetente Gesundheitspolitiker in der Union in die gleiche Kerbe stoßen, um wieder einmal die „ideologische“ Ampel-Politik zu verunglimpfen, verhöhnt die tatsächlich Suchtkranken ebenso wie die kriminalisierten Gelegenheitskonsumenten. Von den 360.000 Drogendelikten 2023 gehen 80 Prozent auf das Konto Eigenbedarf. Würde Cannabis der Qualitätskontrolle unterliegen, würde der Konsum zumindest mit weniger Risiko verbunden sein.Es hat, obwohl sich die Ampel in dieser Sache ausnahmsweise einig war, lange gedauert, bis sie das Cannabisgesetz an den Start bekam, nicht zuletzt, weil mehrere SPD-Abgeordnete wie der Innenexperte Sebastian Fiedler heftige Bedenken angemeldet und ankündigt hatten, gegen das Gesetz zu stimmen. Die Reform des Betäubungsmittelgesetzes erwies sich als sehr komplex und bedurfte der Abstimmung mehrerer Ministerien.An dem nun mit der großen Mehrheit von 404 Ja- gegen 226 Nein-Stimmen abgesegneten Gesetz ist nichts wirklich mutig, denn das Drogenverbot wird nicht aufgehoben, sondern der Konsum wird nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Es mag auch handwerkliche Mängel aufweisen. Sicher wird es der Polizei nicht leichtfallen, die 200-Meter-Regel zu Schulen, Kitas und Spielplätzen zu überwachen, und die Justiz eine Menge Arbeit haben mit der geplanten Einstellung laufender Verfahren.Die Bedenken von Kinder- und Jugendärzt:innen, die auf das frühe Drogeneinstiegsalter und die nachweisbaren Schädigungen nicht ausgereifter Gehirne verweisen, müssen ernst genommen werden, indem mehr Geld in Aufklärung und Prävention gesteckt wird. Jenes Geld nämlich, das der Staat über die Umsatz- und zusätzliche Verbrauchssteuer für Cannabis einnimmt und das nicht in Munition und Panzer fließen darf, auch wenn Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den Finger heben sollte.