Die Uniform bleibt grün: Wer ist die thüringische Ministerin Doreen Denstädt?
Porträt Doreen Denstädt hatte schon als Polizistin mit Nazis zu tun. Dann wurde sie am Telefon gefragt, ob sie Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz in Thüringen werden möchte. Jetzt kämpft sie gegen den Aufstieg der AfD
Die erste Wahl war sie nicht. Doch Querelen in der Partei machten es nötig, dass jemand Neues den Platz im Kabinett Ramelow besetzt
Foto: Jacob Schröter/Imago Images
Noch beim Händeschütteln zum Abschied sagt Doreen Denstädt: „Klar dürfen Sie das schreiben!“ Immerhin sei sie „die mit der großen Klappe“. Das ist ihre Antwort auf die Frage, ob die Zitate so in der Zeitung stehen dürfen. Die thüringische Ministerin kommt gerade vom Europäischen Polizeikongress. So ganz kann sie sich zu Anfang des Gesprächs nicht erinnern, ob das ein Termin aus ihrem vorherigen Leben als Polizeihauptkommissarin ist oder ob sie diesen Termin als Ministerin wahrnehmen sollte. Sie winkt ab, lacht und sagt dann Sachen wie: „Dadurch, dass so viele Thüringer da waren, war es nicht ganz so rechtskonservativ.“ Nicht-Thüringer könnte so eine Aussage leicht verwirren. Was genau meint Dens
enstädt damit?Sie habe ehemalige Kollegen getroffen und Mitglieder der rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Denn auch wenn viele nach der Wahl des ersten AfD-Landrats in Thüringen bangend auf die Landtagswahlen 2024 schielen, vor allem angesichts hoher Zustimmungszahlen für die Braunen im Osten Deutschlands, gibt es natürlich auch in Thüringen noch Menschen, die die parlamentarische Demokratie hochhalten und Lust haben, sich für linke Politik einzusetzen.So wie Denstädt, die 2021 bei den Grünen eintrat, nachdem sie auf die Berufsvereinigung „PolizeiGrün“ aufmerksam geworden war. Ihre Punk-Vergangenheit muss in jedem Text gestreift werden (damit wäre das erledigt). Als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern hat sie eine ungewöhnliche Zickzack-Karriere hingelegt: Sie ist studierte Bauingenieurin, hat mit Ende zwanzig noch eine zweite Ausbildung zur Polizistin absolviert und ist derzeit neben ihrem Ministerinnen-Amt noch in den Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt eingeschrieben. Dass sie derzeit nicht viel zum Studieren und zum Nachholen der beiden fehlenden Hausarbeiten kommt, erzählt sie bei einem Café Crème und mehreren Feierabendzigaretten – das ist auch kein Wunder angesichts eines Amtes mit den Querschnittthemen Migration, Justiz und Verbraucherschutz.Doreen Denstädt, 45, könnte in den kommenden Jahren zu einer der spannendsten Politikerinnen der Grünen, denen es gerade zustimmungsmäßig nicht besonders gut geht auf Bundesebene und vor allem nicht in Thüringen, avancieren. Aber noch bleibt alles im Konjunktiv. Denn Denstädt wurde quasi am Telefon (und, wie man aus Parteikreisen in Thüringen hört, auch nicht unbedingt als erste Wahl) ins Amt berufen. Im Vorfeld gab es interne Querelen innerhalb der thüringischen Grünen. Ihr Vorgänger, Dirk Adams, musste gegen seinen Willen im Januar 2023 den Platz im Kabinett von Bodo Ramelow (Linke) räumen, und die Suche nach einer Nachfolgerin unter den Grünen begann.Eine Nacht habe sie drüber geschlafen, erzählt sie, und habe sich unter anderem mit Aminata Touré dazu beraten, der ersten Schwarzen Ministerin überhaupt in Deutschland und nun zuständig für die Themen Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Touré wäre überzeugt davon gewesen, dass Denstädt das Amt „wuppen“ werde, erzählt sie. Denn auch das verbindet bundesländerübergreifend: Schwarzsein in Deutschland.Doreen Denstädt machen Entwicklungen in Thüringen AngstDenstädt ist gebürtige Thüringerin, wurde 1977 in Saalfeld geboren und hat, wie sie sagt, „keine Migrationsgeschichte“. Ihr Vater stammt aus Tansania, ihre Mutter aus Erfurt. Später, als sie bei der Polizei anfing, hätten die Kolleginnen und Kollegen öfter mal Sicherheitsbedenken gehabt. Aber bei richtig gefährlichen Lagen, also im direkten Kontakt mit Nazis, habe sie die Uniform beschützt. Heute trägt sie einen dunklen Anzug. Sie würde, so erzählt sie, „manchmal aus Versehen breitbeinig und mit breitem Kreuz“ in Situationen reingehen. Vielleicht ein Relikt aus jenen Tagen, als sie noch als Stürmerin jahrelang in der Bundesliga Rugby spielte?Für klare Ansagen ist sie auch jetzt noch zu haben. Sie wedele schon gern mal auf Podiumsdiskussionen mit dem Grundgesetz und halte den Leuten Artikel 1 ins Gesicht. Vor allem, wenn es um Diskussionen um die Unterbringung von Geflüchteten gehe. Seit März ist sie zudem die Landesbeauftragte für Antisemitismus. Da hätte sie „sofort zugesagt“.Ob ihr die Entwicklungen in Thüringen Angst machen? „Nicht nur mir“, sagt sie. In dem Bundesland gehe es jetzt tatsächlich um die Wahrung der Demokratie. Welche Rolle wird Denstädt dabei spielen?Da die Grünen in Thüringen um die Fünf-Prozent-Hürde „herumknapsen“, wie sie es nennt, welche Aussichten gäbe es denn bei den Landtagswahlen? „Ich glaube“, sagt Denstädt und nimmt den letzten Schluck des mittlerweile kalt geworden Kaffees, „wir werden mit dem, was wir gut machen, nicht als Grüne wahrgenommen, und das müssen wir dringend ändern“. Wäre sie denn bereit, diese Änderung mitzutragen, vielleicht sogar auf Bundesebene? Gute Frage, kontert sie. Sie müsse sich ja überlegen, was sie anschließend machen wolle. Vielleicht hat sie dann aber auch die Muße für den Tsundoku in ihrem Wohnzimmer – ihren ungelesenen Bücherstapel mit Büchern zu Rassismus.