Terrorismusvorwurf: Justiz hebelt Amnestie für Carles Puigdemont aus
Rückschlag Zunächst hat eine Mehrheit des Parlaments das Amnestiegesetz verworfen, das die Mitte-Links-Regierung von Pedro Sánchez (PSOE) eingebracht hat. Die Stimmung gegen eine solche Regelung schüren auch viele Richter
Im Parlament fällt der Gesetzesentwurf zur Amnestie in der ersten Abstimmung durch
Foto: Oscar Del Pozo/AFP/Getty Images
Das Wort „Lawfare“ ist aus einem Wortspiel mit dem englischen Wort „Warfare“ (Kriegskunst) entstanden: Krieg mit Hilfe der Justiz. Die spanischen Richterverbände – die „fortschrittlichen“ eingeschlossen – sind darüber empört, dass dieses Wort in letzter Zeit von einigen Kritikern auf die spanische Justiz angewendet wird. Seit den Zeiten des Prozesses gegen die Hauptfiguren des nicht rechtskonformen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien Anfang Oktober 2017 kursiert in den spanischen Medien der Begriff „Kloaken des Staats“.
Er bezog sich seinerzeit auf die sogenannte „patriotische Polizei“, eine außerhalb des Rechts agierende und direkt der rechten Regierung von Premier Rajoy unterstellte ̶
Rechts agierende und direkt der rechten Regierung von Premier Rajoy unterstellte „Brigade“, die die „Rädelsführer“ der Unabhängigkeitsbewegung oder deren „Symbolfiguren“ ausspionierte und mit gefälschten Berichten oder „Beweisen“ zu diskreditieren versuchte. Wie kürzlich ein Rechercheteam aus den Zeitungen La Vanguardia undeldiario.esaufdeckte, übergab diese „patriotische Polizei“ ihre „Erkenntnisse“ direkt in weißen Kuverts an den damaligen Regierungschef bzw. die zuständigen Minister. Gleichzeitig wurden die rechten Leitmedien mit diesem Material gefüttert. Es lieferte Munition für antikatalanische Kampagnen.Die „patriotische Polizei“ tat alles, um den Ruf katalanischer Politiker zu ruinierenEin erstes Ziel war der langjährige katalanische Präsident Jordi Pujol, eine wichtige Referenz für die Unabhängigkeitsbefürworter. Die „patriotische Polizei“ reiste nach Andorra und erpresste dort die Banco Privado d’Andorra (BPA). Die Drohung, sie auf die schwarze Liste der US-Bankenaufsicht setzen zu lassen, würde sie nicht die Kontodaten von Pujols Familie herausgeben. Es funktionierte, sodass herauskam, diese Familie hatte einen größeren Geldbetrag nach Andorra „ausgelagert“. Wohlgemerkt ist Andorra ein außerhalb der spanischen Staatsgewalt liegendes Fürstentum. Die umgehend gestartete Kampagne wegen „Geldwäsche“ der Familie Pujol, angereichert mit weiteren falschen Beschuldigungen, führte dann trotzdem zum Zusammenbuch der BPA.In der gleichen Zeit wurde die „patriotische Polizei“ auf Sandro Rosell, Ex-Präsident des FC Barcelona und Sympathisant der Unabhängigkeitsbewegung, angesetzt. Er verbrachte dann fast zwei Jahre in Untersuchungshaft, angeklagt wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten in seiner Amtszeit. Am Ende wurde er freigesprochen. Nach dem gleichen Muster verfuhr die „patriotische Polizei“ mit Xavier Trías, Bürgermeister von Barcelona, und mit Artur Mas, von 2010 bis 2016 katalanischer Präsident. Vor Gericht lösten sich in beiden Fällen die Beschuldigungen in Luft auf – aber der Ruf war ruiniert.Das könnte mühelos fortgesetzt werden: Der Chef der Mossos d‘Esquadra (Polizei der autonomen Region Katalonien), Josep Lluís Trapero, wurde ausspioniert und später angeklagt wegen des Verdachts, nach der Absetzung der katalanischen Regierung im Jahr 2017 weiter mit seinem bisherigen Dienstherrn Puigdemont und dessen „krimineller Vereinigung“ kollaboriert zu haben. Später wurde er verhaftet, dann unter Auflagen freigelassen und erst 2020 rehabilitiert. Noch verrückter stellt sich der Fall von Narciso Ortega dar, Chef der Policía Nacional in Katalonien, eigentlich eine Elitetruppe spanischer Patrioten. Er geriet dennoch auf eine Schwarze Liste der „patriotischen Polizei“ und wurde daraufhin als heimlicher Unabhängigkeitskämpfer verfolgt. Er zeigte später die verantwortliche Ministerin der Rechtsregierung, Dolores de Cospedal, an. Bis heute schweigt die Justiz dazu.Der Richter Pablo Lucas gestattete dem Geheimdienst CNI das AbhörenIn allen Fällen zogen die Opfer der „patriotischen Polizei“ vor Gericht. Aber entweder sah die Staatsanwaltschaft keinen Handlungsbedarf, und wenn doch, wurden die Verfahren schnell eingestellt oder endlos auf Eis gelegt. Das geschah so bis zur höchsten Instanz, dem Obersten Gericht. Auch bei dieser Gelegenheit haben es wieder einige Richter zum „Star“ gebracht: Kommandeure der „Lawfare“ (beim Prozess gegen die „Rädelsführer“ des Referendums war ein solcher Star ja der berühmt-berüchtigte Ermittlungsrichter Pablo Llarena). Der wenn auch trüb glänzende Star ist diesmal García Castellón: Nach jahrelanger Verschleppung der Klage gegen die politisch Verantwortlichen der Erpressung der Bank BPA ließ er nun wissen, er wäre gar nicht zuständig, denn Andorra sei Ausland.Ein letztes Opfer dieser „Lawfare“ ist gerade in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, anlässlich der Verhandlungen zur Regierungsbildung in den zurückliegenden Monaten: Die katalanische Partei ERC (Republikanische Linke) machte ihr Ja zur Investitur von Pedro Sánchez davon abhängig, dass das jahrelange Ausspionieren des ihr zugehörigen aktuellen katalanischen Präsidenten Pere Aragonès mit Hilfe des israelischen Abhörsystems „Pegasus“ aufgeklärt werde. Diese Tage wurden nun einige Dokumente von der Regierung freigegeben. Ergebnis: Der Richter Pablo Lucas vom Obersten Gericht hatte dem Geheimdienst CNI das Abhören gestattet wegen des Verdachts, Aragonès wäre heimlicher Chef der „Komitees zur Verteidigung der Republik“ (CDR), die nach der Verurteilung der „Rädelsführer“ des Referendums von 2017 zu einem „demokratischen Tsunami“ aufgerufen hatten und die von der seinerzeitigen Rechtsregierung als „terroristisch“ eingestuft wurden.Inmitten der Debatte im spanischen Parlament über das Amnestiegesetz wird nach diesem in der Vergangenheit liegenden Kapitel der „Warfare“ nun ein neues geöffnet, und das im Turbomodus. Politisches Ziel: Die Anwendung dieses Gesetzes auf die Kämpfer für ein unabhängiges Katalonien, allen voran Carles Puigdemont, zu verhindern. Die Reaktion von Puigdemonts Partei Junts per Catalunya: Die Gesetzesvorlage solange blockieren, bis diese für alle gilt.Der Richter García Castellón als „Feldherr“ dieser „Lawfare“ ist da nicht zimperlich: Plötzlich fällt ihm ein, Puigdemont als „Terroristen“ anzuklagen. Als solcher wäre er von der Amnestie ausgeschlossen. Basis dieser hirnrissigen Idee: Auf dem Flughafen von Barcelona, der von Demonstranten blockiert war, die dem Aufruf der „Komitees zur Verteidigung der Republik“ gefolgt waren, starb ein Tourist nach einem Herzinfarkt. Nach über vier Jahren fällt Castellón nun ein, der zu dieser Zeit im belgischen Exil befindliche Puigdemont sei für diesen Infarkt – ein tödlicher „Terroranschlag“ – verantwortlich.Ein anderer Richter, Joaquín Aguirre, setzt diese Tage noch eins drauf, als wolle er mit Castellón um die Rolle des „Feldherrn“ rivalisieren, indem er eine abstruse Story rechter Blätter wieder aufzuwärmen versucht: Puigdemont hätte seinerzeit mit Russland wegen der Unterstützung des Unabhängigkeitsprojekts verhandelt, militärischen Beistand (russische Soldaten in Badehosen verkleidet an der Costa Brava?) eingeschlossen. Diesmal wäre es dann wohl der Tatbestand des Hochverrats, der einer Amnestie im Wege stände.Da kann einem schon schwindlig werden bei „Lawfare“ vom FeinstenDer Gesetzesentwurf fiel denn auch in der ersten Abstimmung durch, weil die Partei Junts per Catalunyua mit dem Argument dagegen votierte, für einen „normalen“ Rechtsstaat wäre das Gesetz akzeptabel, aber in Spanien lägen die Dinge offenbar anders. Auch Abgeordnete anderer Parteien sprechen von „Rechtsbeugung“. Der Entwurf kehrt nun zur Überarbeitung in den Justizausschuss des Kongresses zurück.Aber „Terrorismus“ und „Hochverrat“ jetzt explizit in die Amnestie einzubeziehen, wäre auch keine Lösung angesichts einer EU, die auf Betreiben des rechten Partido Popular den Vorgang überwacht. Es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Auch vor spanischen Gerichten dürften die abstrusen Vorwürfe kaum Bestand haben, aber den beiden Richtern ist es gelungen, die spanische Regierung zu blockieren, haben sie doch für ihre Ermittlungen ein halbes Jahr Zeit. Da kann einem schon schwindlig werden. Das ist „Lawfare“ vom Feinsten.
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