Der harte deutsche Atomausstieg hat Bestand

Energiewende Würde sich die deutsche Politik so für regenerative Energien einsetzen wie für den Atomausstieg, wäre viel gewonnen. Zum neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichts

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Klimawandel und Energieversorgung sind, das ist seit geraumer Zeit bekannt, die großen Herausforderungen der Zukunft. Sie stehen nicht nebeneinander, sondern bedingen einander. Wird die Kennzahl des sogenannten "Pro-Kopf-Ausstoßes an CO2" zugrundegelegt, ist zu erkennen: Es besteht bisher ein erheblicher Zielkonflikt. Wie sehr, zeigt in einem kleinen Ausschnitt das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das mit heutigem Urteil zu Ende gegangen ist.

Beschwerde geführt haben Energieversorger sowie ein Kernkraftwerksbetreiber. Sie sehen die 13. Novelle zum Atomgesetz (AtG-Novelle), in Kraft getreten am 6.8.2011, als Enteignung. Ihr Argument: Mit Blick auf die 11. AtG-Novelle vom 8.12.2010 haben sie Investitionen getätigt. Denn ihnen waren darin zusätzliche Reststrommengen und eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre gewährt worden. Mit der nunmehrigen Festlegung, dass Reststrommengen binnen kürzerer Frist zu verbrauchen sind und die Zuteilung zusätzlicher Strommengen einfach rückgängig gemacht wurde, sei in mehrfacher Hinsicht in ihr grundrechtlich geschütztes Eigentumsrecht eingegriffen worden.

Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung im Wesentlichen bestätigt, dass der Gesetzgeber zum harten Schnitt so befugt war, wie er es 2011 vollzogen hat: "Der Gesetzgeber verfolgt mit der Beschleunigung des Atomausstiegs und seinem dahinter stehenden Wunsch, das mit der Nutzung der Kernenergie verbundene Restrisiko nach Zeit und Umfang zu minimieren und so Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ein legitimes Regelungsziel".

Eigentum vs. Sozialpflichtigkeit

Demgegenüber steht die grundsätzliche "Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), den Eigentumsentzug in solchen Fällen nicht als entschädigungspflichtige Enteignung zu qualifizieren, sondern als Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums". Von dem Argument der Kläger, sie hätten sich auf die Rechtslage von 2010 eingestellt, hält Karlsruhe nicht viel. Der Zeitraum zwischen der 11. und der 13. AtG-Novelle sei "zu kurz, um die generelle Annahme begründen zu können, dass die Kernkraftwerksbetreiber sich bereits nachhaltig auf die durchschnittlich zwölfjährige Laufzeitverlängerung eingerichtet hätten".

Aber es könnten im Einzelfall nachweisbar solche nun "frustrierten Investitionen" getätigt worden sein. Sie wollte der Gesetzgeber genauso wenig entschädigen wie Reststrommengen, die bereits 2002 eingeräumt worden waren und die zwei Beschwerdeführerinnen nun nicht einmal "konzernintern ausnutzen können". Diese zwei Aspekte erachtet das BVerfG als rechtswidrig, zumal auch bislang keine Übergangsregelungen oder sonstige Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen sind. Das Gericht hat dem Gesetzgeber Frist bis 2018 eingeräumt, dem abzuhelfen. Bis dahin gilt die angegriffene Bestimmung aus dem Atomgesetz fort.

Mit der heutigen Entscheidung ist die Atomkraft in Deutschland auf unabsehbare Zeit obsolet. Das eventuelle Kalkül, als letzten Anker den Atomausstieg noch einmal besonders teuer zu machen oder sogar alte Anlagen in eine entschädigungspflichtige Kalkulation aufzunehmen, ist nicht aufgegangen.

Investitionen frustriert durch die Kurzsichtigkeit der Regierung Merkel II

Zwar wird es bei den Positionen, die das BVerfG zugelassen hat und die nun auszuhandeln sind, immer noch um beträchtliche Beträge gehen. Sie sind aber nur ein Bruchteil dessen, was sich die Atomwirtschaft ausgerechnet hat. Und sie gehen ausschließlich auf das Konto einer Politik von CDU, CSU und FDP. Neben einer sehr unternehmensgeneigten Politik verfolgte die Regierung Merkel II einen klare Abgrenzung zur Energiewende, die 2002 von Rot/Grün unter Kanzler Gerhard Schröder eingeleitet worden war. Deren Atomkonsens wurde 2010 ohne erkennbare Not aufgekündigt.

Die abermalige Volte knapp ein Jahr später war politisch wie inhaltlich gerechtfertigt. Dass "gewachsene Befürchtungen und Ängste in der Bevölkerung" (Stichwort: Fukushima) zu berücksichtigen sind, kommt als Bestätigung durch das BVerfG zwar spät, aber immerhin: "Jedenfalls bei der Beurteilung einer Hochrisikotechnologie, deren Schadensrisiken in besonderem Maße von einer politischen Bewertung und einer öffentlichen Akzeptanz abhängig sind, kann auch Ereignissen ein eigenes Gewicht beigelegt werden, die allein das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Risiken ändern, obwohl neue Gefährdungen nicht erkennbar sind".

Dem ist jedoch, damals wie heute, ein entscheidender weiterer Punkt hinzuzufügen. Wenn die deutschen Verfassungsrichter vom Gesetzgeber verlangen, "den Bestand von Betrieben und die im Vertrauen auf die Gesetzeslage getätigten Investitionen angemessen zu berücksichtigen", dann ist das ein Prinzip. Das Prinzip wird auch die Energiewende durchdringen müssen.

Versorgung mit Energie, eine Frage der Planbarkeit

Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und damit Planbarkeit -als Übersetzung für das Vertrauen in eine Gesetzeslage- ist bislang nur noch im Kohleabbau zu beobachten. Wie lange freilich die Betroffenen noch bereit sind, sich eher mit Buch- als mit Marktwerten bei der Enteignung von Haus und Grundstück zu begnügen oder es hinnehmen, dass mit den entstehenden Gruben Kulturräume zerstört werden, wird sich weisen. Wo es aber um regenerative Energien geht, herrscht das blanke Chaos.

Da ist nicht nur die geradezu täglich wetterwenderische Strompreispolitik, die jeden Investor ob klein oder groß zunehmend abschreckt. Sondern da sind auch Bau-, Lärmschutz-, Umweltgesetze, die es ganzen Bundesländern abweichend von der Bundespolitik erlauben, die saubere Energiegewinnung zu hintertreiben. Die Beschränkungen in Bayern zur Windenergie sind jetzt schon in die Nomenklatur eingegangen, als sogenannte 10-H-Regel.

Mit ihr hat die CSU-Landesregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer nach dem nun-doch-Ausstieg aus der Atomenergie den Erst-Ausstieg aus der Energiewende vollzogen. Es gilt: Der Abstand eines Windrads von Wohnungen muss mindestens zehn Mal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Damit sind geeignete Flächen für entsprechende Anlagen auf 0,05 Prozent der Landesfläche gesunken. Eine hiergegen gerichtete Klage scheiterte im Mai vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Ein Deckel darauf wurde zusätzlich mit der Diskussion um Stromtrassen gesetzt. Sie nun unterirdisch zu verlegen macht aus dem sauberen Strom, der im hohen Norden erzeugt wird, in Bayern ein Luxus-Import-Gut. Nachahmer finden sich einer Recherche des Tagesspiegel zufolge mittlerweile in mehreren anderen Bundesländern.

Mit der Verstromung von Individual- und mittelfristig auch von Güterverkehr und Personenbeförderung wird die Situation nicht entspannter. Denn nach wie vor müssen am Industriestandort Deutschland die Fräsmaschine genauso angetrieben wie ein Lichtbogen bei der Aluminiumschmelze erzeugt werden. Selbstverständlichkeiten wie Krankenhäuser, Schulen oder Polizei brauchen weiterhin und mehr denn je den Saft aus der Steckdose. Sie insgesamt sind die Belange des Gemeinwohls wie die, die das Bundesverfassungsgericht heute hervorgehoben hat.

Warnung: Regenerative sind keine Hochriskikotechnologien

Aber es handelt sich, im Gegensatz zur Atomkraft, bei den regenerativen Formen nicht um eine Hochrisikotechnologie. Das heutige Urteil kann also auch als Warnung an die Politik verstanden werden: Bei der zentralen Frage der Energieversorgung Kapriolen wie in den vergangenen Jahren bleiben zu lassen. Auch die Häusle-Besitzer im Grünen, die wegen eines "Disco-Effekts" gegen ein Windrad zu Feld ziehen, sollten daraus lernen: Ihr Eigentum verpflichtet ebenfalls und zwar über den eigenen Jägerzaun hinaus. Mit einem Unterschied: Eine Windmühle kann in wenigen Wochen wieder beseitigt werden, die Kohlegrube bleibt für immer.

Die klarste Botschaft, die das Bundesverfassungsgericht heute ausgesandt hat, aber ist: Die bislang beispiellose deutsche Energiewende wird nicht allein zu stemmen sein. Das vom schwedischen Staat zu 100 Prozent gehaltene Unternehmen Vattenfall GmbH als Beschwerdeführer zugelassen zu haben, obwohl Staaten strukturell nicht am Grundrechtsschutz teilnehmen, hat Signalwirkung. Player der Herausforderung sind kleinste, kleine, große und nun auch sehr große Mitwirkende. Das ermuntert privatrechtlich gestaltete, aber traditionell staatlich gehaltene Daseinsvorsorger. Sie, wenn derzeit auch nur ausnahmsweise, nicht vom Schutz der deutschen Verfassung auszunehmen, befördert über die Investitions- sicher auch die Kooperationsbereitschaft.

Das ist wichtig. Denn so sehr die Welt derzeit tatsächlich nur auf Deutschland schaut, weil eine erfolgreiche Industrienation die Energiewende riskiert, um sich daraus Vorteile abzuschauen oder das Scheitern festzustellen: Alleine geht es nicht, sondern nur in internationaler, grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Dafür ist heute ein Türspalt mehr geöffnet worden. Und der Zielkonflikt zwischen Klimawandel und Energieversorgung ist damit ein klein wenig übersichtlicher.

ms

(crossposting aus "Tragwerkblog - Beiträge zur Nachhaltigkeit")

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Dezember 2016, Aktenzeichen: 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12, Pressemitteilung

Update 7.12.: Inzwischen ist auch der Volltext des Urteils online.

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ed2murrow

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