Ein Vertreter seiner Klasse

Friedrich Merz Der Kandidat für den Parteivorsitz der CDU bekennt sich vorgeblich zur Mittelschicht. In Wirklichkeit steht er für einen modernen Klassenkampf von oben

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Ein Vertreter seiner Klasse

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Er ist wieder da. Friedrich Merz warf vor wenigen Wochen seinen Hut für den Vorsitz der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) in den Ring. Neben der Generalsekretärin der Partei - Annegret Kramp-Karrenbauer - hat er die beste Chance, den Posten zu bekommen. Sein Einsatz hat die letzten Tagen Kommentator*innen und Journalist*innen dazu angehalten, die Person Merz unter den herrschenden Verhältnissen neu zu bewerten, denn er ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Von 1989 bis 1994 war er Mitglied des Europaparlaments, danach wechselte er bis zur Bundestagswahl 2009 in den Deutschen Bundestag. Von 2000 bis 2002 war er kurzfristig Vorsitzender der Unionsfraktion, ehe er bei der Konstituierung des 15. Bundestages von der jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel beerbt wurde. Sein Weg führte ihn von nun an in die Wirtschaft, bei der er bis ins heutige Jahr mehrere Aufsichtsräte besetzte und in ihrem Sinne auch politisch agiert. Als Vertreter des rechten Parteiflügels bekleidet(e) er Posten bei den Versicherungsunternehmen AX und DBV-Winterthur Holding, der Deutschen Börse, der Commerzbank, der IVG Immobilien AG, der WEPA Industrie-Holding, der Stadler Rail Group, dem BASF Chemiekonzern und des Flughafen Köln/Bonn. In der Presse besonders hervorgehoben wird seine Funktion als Aufsichtsratschef der US-amerikanischen BlackRock Inc., welche als global einflussreiche Fondsgesellschaft Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) berät, und hernach eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf politische Prozesse hat.

Die Funktion der BlackRock Inc. während der Finanzkrise 2007/2008 wegen Beteiligungen von Abwicklungen in den Vereinigten Staaten wie beispielsweise der Bear Streans Companies Inc. führte nicht zur Überwindung der Krise, sondern stabilisierte den dialektischen Charakter, der bis heute anhält. Friedrich Merz stieg zwar erst März 2016 in den Aufsichtsrat, doch er vertritt die Ausrichtung und Einflusssphären der Fondsgesellschaft, von dem bürgerliche und konservative Medien Merz häufig frei sprechen. Die Causa Merz führt nicht nur bezüglich seiner ökonomischen Tätigkeit zu Kontroversen. Auch seine politische Einstellung lässt die gesellschaftliche Aufgabe eines zukünftigen Rechtsruck erahnen. Obgleich er den Ludwig-Erhard-Preis 2018 mit Hinweis auf den rechtspopulistischen Journalisten Roland Tichy ablehnte, ist er verankerter Vertreter einer konservativen Rechten, wie seine bisherigen Auftritte, Entscheidungen und Äußerungen bezeugen. 1997 gehörte er neben Norbert Blüm, Volker Kauder und 132 weiteren Abgeordneten zu den Gegner*innen einer Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, und er zählte sich zu den Befürworter*innen eines vereinfachten Steuerkonzepts - das sogenannte Kirchhoff-Modell - was jedoch im Sinne der Vermögenden und Reichen in der Gesellschaft ausgerichtet ist. Seine Personalie eröffnet eine weitere, wichtige Diskussion, die er unbewusst selbst angestoßen hat: die Existenz einer Klassenpolitik. Auf Fragen des Springer Verlags, wie viel er denn verdiene, wich er stetig aus, verneinte aber nicht, Millionär zu sein. Das ist mit Blick auf seine wirtschaftliche Tätigkeit auch nicht verwunderlich.

Die Flucht nach vorne brachte ihn zu der Aussage, dass er Teil der „gehoben Mittelschicht“ sei, und diese mit den Vokabeln „Fleiß, Disziplin, Anstand [und] Respekt“ beschreibt. Dem angeschoben verneint er auch die deterministische Klassenzugehörigkeit und verweist sie in idealistische Gefilde. Durch sein Bekenntnis zur Mittelschicht ignoriert er die Realitäten der Klassengegensätze und führt sie gleichermaßen ad absurdum. Diese Äußerung klingt überheblich und naiv, ist jedoch reines Kalkül. Dadurch erwirkt er eine semantische Überwindung von eben jenen Gegensätze und vereint in seiner Personalie und Position die Gleichsetzung der Schichten und wiederholt das ewige Mantra der kapitalistischen Irrlere. Die Wirtschaftsjournalistin und Redakteurin der taz Ulrike Herrmann hat in ihrem 2013 erschienen Buch „Der Sieg des Kapitals“ dieses bewusste Missverständnis skizziert. Der von Merz postulierte „Konkurrenzkampf“, den er in der Gesellschaft für inhärent hält, ist ein illusorischer und nur im Proletariat und Prekariat existent. Millionär*innen wie Merz, die mehrere Aufsichtsräte inne haben, vermehren ihr Kapital nicht durch ausbeuterischen Wettbewerb, sondern durch Kooperationen und Verschmelzungen. Dieser innere Widerspruch des Kapitalismus, der Propagierung der Konkurrenz, doch der eigentlichen Zentralisation des Kapitals, verkörpert er völlig unironisch.

Als Befürworter und Hardliner der sogenannten „Hatz IV“-Gesetze zementiert er diese Verkörperung. Vor zehn Jahren erzählte er der Welt, dass ein Satz von 132 Euro genüge, was er am 31. Oktober 2018 zwar verneinte und davon wohl wieder abgerückt sei, doch den Vorschlägen von SPD und Grünen einer Anhebung der Existenzsicherung steht er konsequent im Weg. Er ist ein Vertreter seiner Klasse, und die ist nicht die Mittelschicht. Er versteht die Logik und Mechanismen hinter der Akkumulation des Kapitals und der Sicherung seiner Stellung. Diese benötigt unbedingt die Arbeitslosigkeit, hernach die stetige Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte. Die Möglichkeit eines Friedrich Merz als Bundeskanzler der BRD birgt daher mehrere Gefahren. Sozial- und arbeitsmarktpolitisch würden weitere Sicherheiten und Unterstützungen wegfallen, was die bekannte Schere zwischen Arm und Reich hemmungslos auseinanderreißen würde. Das führt unweigerlich zu einer weitreichenden Privatisierung, bei der er die Bildung nicht ausschließt. Dadurch wird Armut weiter bestraft und sanktioniert, wodurch seine Mär von „Fleiß und Disziplin“ zusätzlich konterkariert wird. Sein oberflächliches Spiel der Betonung ein Teil der Mitte der Gesellschaft zu sein steht im diametralen Prozess seiner Grundsätze, bei der langfristig auch die von ihm vereinnahmte Mittelschicht zu fallen droht.

Geradezu obligatorisch wirkt sein Eintreten einer Law-and-Order-Politik, die auf Abschottung und Ausgrenzung baut. „Jeder Mehrwert ist seine Substanz nach Makulatur unbezahlter Arbeitszeit“, schrieb Karl Marx in seinem Hauptwerk. Diese Festsetzung und Charakterisierung der Vermehrung von Kapital und sonach Stabilisierung der herrschenden Klasse, verkörpert Friedrich Merz. Er wird die gesellschaftlichen Widersprüche klientelistisch nutzen und die BRD im europäischen und globalen Maßstab weiter nach vorne treiben, was vermehrte Arbeitslosigkeit, die Vergrößerung der Klasse der Armen und Unterdrückten und eine aufbauende Privatisierungswelle nach sich ziehen wird. Das führt zwangsläufig zur Impulsion und dem Bruch der eigenen Schicht, gemäß der Logik des real existierenden Kapitalismus, der die „sozialverträgliche“ Entlohnung der Arbeiter*innen voraussetzt. Die Vormachtstellung der herrschenden Klasse hat gesetzmäßig Einfluss auf alle ökologischen und ökonomischen Prozesse. Die Antwort auf die Kriege, Flüchtlingsmigrationen und Klimakatastrophen ist nicht die Fortführung des Status Quo, sondern die konsequente Abwicklung des derzeitigen Wirtschaftssystems. Politiker*innen wie Friedrich Merz stehen dem entgegen und werden nur Lösungen für das Kapital, doch nicht für die Menschheit liefern. Das ist auch nicht verwunderlich, doch der Klassenkampf ist existent. Merz ist nur eine weitere Personifizierung dessen, das Grundübel muss an der Wurzel angepackt werden. Ein Rollback des Konservativismus wird diese Welt nicht überleben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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