Bleibt Aufstehen sitzen?

#unteilbar Am Samstag wollen Zehntausende in Berlin für mehr Gerechtigkeit demonstrieren. Wenn es nach Sahra Wagenknecht geht, wird #aufstehen nicht dabei sein
Ja, wo laufen sie denn: Bernd Stegemann, Sahra Wagenknecht und Ludger Volmer
Ja, wo laufen sie denn: Bernd Stegemann, Sahra Wagenknecht und Ludger Volmer

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es geht um den Sozialstaat, um Flucht und Migration, um Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung, um die Agenda 2010, LGBTIQ*-Rechte, Wohnungsnot, Steuerungerechtigkeit, kurz: es geht um alles bei der #unteilbar-Demonstration. Am kommenden Samstag wird sich in Berlin die linke Zivilgesellschaft in voller Breite zusammenfinden, zum ersten Mal seit langem. Über 500 Organisationen unterstützen den Aufruf. Man muss sie gar nicht erst aufzählen, es sind einfach alle, die in den vergangenen Jahren immer mal wieder linke Kundgebungen oder Demonstrationen organisiert haben. Mehrere Zehntausend Teilnehmer werden erwartet – Leute, die in Zeiten der starken Rechten für eine solidarische Gesellschaft aufstehen wollen. Eine sehr junge zivilgesellschaftliche Organisation kann sich aber scheinbar nicht dazu aufraffen, zu #unteilbar aufzurufen. Es ist Sahra Wagenkenchts Sammlungsinitiative #aufstehen.

Anders war es beim Hambacher Forst. „Komm morgen in den Hambacher Wald“, so lautete der Betreff der Email, die über 150.000 #aufstehen-Abonnierenden Anfang Oktober in ihren Postfächern hatten: „Komm dazu und mach mit. Wir werden als Sammlungsbewegung durchgehend vor Ort sein: Es gibt ein Aufstehen-Zelt auf dem Kundgebungsplatz. Hier können wir uns kennenlernen, vernetzen und organisieren.“ Zum Aufstehen-Treffen wurde eingeladen, zum Facebook-Event, es wurde eine Mitfahrbörse organisiert – was eine Organisation eben alles so macht, wenn sie entscheidet, eine Aktion oder Demonstration zu unterstützen.

Solch eine Email blieb bislang zu #unteilbar aus. Und so fragte die Linke-Politikerin Gesine Lötzsch Sahra Wagenknecht auf der Podiumsveranstaltung „Wege in eine gerechte Gesellschaft“ in Berlin nach der Unterstützung der Initiative. Wagenknecht winkte ab. Nein, formal sei Aufstehen bei der Demonstration nicht dabei. Sie ärgerte sich über die Tendenz des #unteilbar-Aufrufs, "wo eine bestimmte Position - nämlich 'Offene Grenzen für alle' - als die bestimmende Position" dargestellt würde. Damit grenze man ein bestimmtes Milieu aus: Leute, die gegen Rassismus auf die Straße gehen wollten, aber die Forderung nach offenen Grenzen nicht teilten. Ihre Sammlungsbewegung „Aufstehen“ werde nicht offiziell teilnehmen. „Aber einige von uns werden sicher hingehen.“

Natürlich werden einige der 150.000 Aufstehen-Unterstützer*innen hingehen – auch die Spitze von Aufstehen wird es ihnen wohl kaum verbieten können. Nur: Wer entscheidet eigentlich darüber, was die Sammlungsinitiative formal unterstützt – und was nicht? Ist es Bernd Stegemann? Sahra Wagenknecht? Gibt es Entscheidungsstrukturen? Delegierte?

Wer beschließt was?

Aufstehen ist eine zivilgesellschaftliche Organisation im Aufbau, man sollte ihr auch die Zeit geben, diese Fragen zu klären. Dass es für den Übergang möglicherweise schwierig ist, Entscheidungen schnell und demokratisch zu treffen: in Ordnung. Die Entscheidung, an den Klimaprotesten im Hambacher Forst teilzunehmen, konnte jedoch auch ohne Schwierigkeiten getroffen werden. Und so drängt sich der Eindruck auf, dass die Initiator*innen von Aufstehen die Unteilbarkeit der eingangs erwähnten Kämpfe um Sozialstaat, Rechte von Migrant*innen, um bezahlbaren Wohnraum und gute Arbeitsbedingungen für gute Pflege so nicht wollen. „Offene Grenzen“ ist eine Position, die Wagenknecht gerade öffentlich für Aufstehen ausgeschlossen hat. Mal ganz abgesehen davon, dass diese Forderung um Aufruf von #unteilbar so nicht vorkommt – darin ist lediglich die Rede von dem Recht auf Schutz und Asyl und „gegen die Abschottung Europas“: Wann hat wer in Aufstehen eigentlich beschlossen, dass diese Position von der Initiative nicht geteilt wird?

Die Migrationsfrage hat viel zu lange im Mittelpunkt der Politik gestanden, sagte Wagenknecht bei der Gründung der Sammlungsinitiative – sie wolle die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Wenn sie dann jedoch nicht in der Lage ist, einen Aufruf zu unterstützen, in dem es durchaus um die soziale Frage geht – in all ihren Ausprägungen – und zwar nur deswegen nicht, weil er sich unter anderem auch gegen die Abschottung Europas wendet, dann könnte man Aufstehen – ähnlich wie Wagenknecht dies mit #unteilbar tut – vorwerfen, die „bestimmende Position“ sei die Ablehnung offener Grenzen. Könnte man. Aber mit diesem Vorwurf sollte man so lange warten, bis die Inhalte der Initiative tatsächlich von ihren Unterstützer*innen bestimmt wurden.

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