Endometriose: Meine Gebärmutter ist nicht euer Mittags-Snack

Super Safe Space Endometriose ist kein Smalltalk-Thema. Beim Mittagessen will doch wirklich niemand wissen, was Endometriose bedeutet – oder wollt ihr durch Darm, Schleimhäute und Blut waten?
Ausgabe 27/2023
Durch die Endometriose wächst die Gebärmutterschleimhaut auch woanders als in der Gebärmutter
Durch die Endometriose wächst die Gebärmutterschleimhaut auch woanders als in der Gebärmutter

Foto: Mathias Dietze/dieKleinert.de/picture alliance/

Bei mir regiert der Bauch. Das habe ich durch Endometriose gelernt: Manchmal hat der Kopf halt nichts zu entscheiden. Bauch schwillt an und will keine Jeans? Bauch bekommt Kleid! Bauch windet sich vor Schmerzen und muss liegen? Bauch bekommt Krankmeldung und Netflix! Mein Bauch und ich verstehen uns inzwischen gut. Er darf entscheiden. Jüngst entschied er: Mit unbekannten Menschen essen gehen, das machen wir nicht mehr. Die fragen immer nach dem Gluten, und Gluten führt erst in den Darm und dann in die Gebärmutterschleimhaut, und dort will Bauch keine Unbekannten mehr empfangen.

Es fängt mit der Mittagskarte an: Nudeln, Fleisch mit Soße, Sandwich. „Davon kann ich leider nichts essen.“ „Warum?“ „Gluten.“ „Warum isst du nicht das Fleisch?“ „Die Soße. Mehlschwitze.“ Augenrollen, gefolgt von: „Was passiert denn, wenn du Gluten isst?“ Bauch findet: Kotzen, Dünnpfiff, Migräne, Schweißausbrüche und Pupsen sind kein Mittagspausen-Thema. Aber okay. Ich übersetze, Mittagspausen-Knigge-mäßig: „Verdauungsprobleme.“

Mit dieser Antwort wächst die Neugier, weiter in meinen Bauch reingucken zu wollen: „Wieso ist das denn bei dir so? Wer hat das denn festgestellt?“

Mal ehrlich: Wollt ihr das wirklich wissen? Oder ist das bloß ein Test, ob ich nicht vielleicht doch zu den nahrungsmäßig völlig verirrten Latte-macchiato-Neurose-Stadtmenschen aus Sahra Wagenknechts schlimmsten kosmopolitischen Albträumen gehöre, die nicht wissen, wohin mit ihren Problemen, und sie liebend gerne in die Verkomplizierung ihrer Mittagspause stecken? „Nein, interessiert uns wirklich!“ Na, dann hereinspaziert, meine Herrschaften, willkommen in meiner Bauchhöhle! Ich weiß, ihr wolltet vom Darm direkt ins Hirn hinauf, wo irgendwo meine Neurose herumliegen muss, aber wir biegen hier links ab: zur Gebärmutterschleimhaut. Was, da wolltet ihr gar nicht hin, zu Schlamm, Schleim und Blut? Zu spät.

Endometriose und Gluten

Denn festgestellt hat die Glutenunverträglichkeit meine Gynäkologin. Durch die Endometriose wächst die Gebärmutterschleimhaut auch woanders als in der Gebärmutter: gerne am Bauchfell oder an den Eileitern, oder halt auf dem Darm. Was Endometriose konkret mit Gluten zu tun hat, das weiß keiner so genau. Wie überhaupt Glutensensibilität noch nicht genau erklärt werden kann. Studien stellen bloß fest: Wenn Frauen, die unter Endometriose leiden, sich ein Jahr lang glutenfrei ernähren, dann berichten 75 Prozent von ihnen, dass die Schmerzen deutlich weniger werden.

Ich lasse also das Gluten weg – was für ein Euphemismus in einer Welt, die von Pizza, Pasta, Brot und Croissants beherrscht wird! – und ja: weniger Schmerzen. Reicht das als Antwort? Nein, das reicht natürlich nicht, inzwischen liegt meine Gebärmutter mitten auf dem Mittagstisch und unbekannte Menschen bestaunen sie mit aufgerissenen Augen, „Spannend! Und was macht Endometriose noch so?“

Endometriose macht tatsächlich allerhand. Sie klebt gerne mal das Bauchfell an die Blase oder hinterlässt auf der Gebärmutter so viele Narben, dass die nicht mehr alles so gut kann wie andere, glutenliebende Gebärmütter. Und das, liebe unbekannte Menschen, ist definitiv kein Smalltalk-Thema. Also schreibt es euch hinter das Baguette: Mein geschwollener, weizennudelnhassender Bauch gehört mir.

Und nicht in eure Mittagspause.

Elsa Koester ist Redakteurin des Freitag

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