Wenn jemand mir hart auf den Fuß tritt, schreie ich. Ich sage nicht: Oh, entschuldigen Sie bitte, Sie zerquetschen da gerade meinen kleinen Zeh, wären Sie so nett, mir den Platz für alle meine Zehen auf diesem Boden zurückzugeben? Sondern ich schreie: Ey, runter da!!!
Gerade wird sehr vielen Leuten sehr doll auf die Füße getreten. Denn es geht um alles. Verhandelt wird mit dem Ende des fossil betriebenen Industriekapitalismus nicht nur eine Energiequelle, sondern gleich ein ganzes Produktionsregime, und mit ihm die Organisierung der Gesellschaft auf allen Ebenen: Verhandelt wird die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, der Alltagskonsum, die Art, wie wir uns fortbewegen, die Kanäle, auf denen wir kommunizieren, verhandelt wird, wer an dieser Kommunikation teilnimmt und mit wie viel Raum, verhandelt wird sogar, mit welchem Vokabular wir verhandeln sollten, und nun wird auch verhandelt, in welcher Lautstärke wir all diese Verhandlungen führen. Während uns die Zehen schmerzen von allem Herumgetrampele, sollen wir nun also noch auf den Ton achten, mit dem wir „Ey!“ schreien.
Das ist es, was manche öffentliche Personen in diesem Getöse rufen, wie jüngst im Manifest der offenen Gesellschaft in der Welt und hier im Freitag, aber auch in den Feuilletons und auf Twitter: „Schreit mich nicht so an!“, rufen sie aus.
Es ist schon gut, dass jemand das sagt. Denn man würde sich fast wundern, dass in diesem Moment, in dem sich Hegemonien derart verschieben, nichts Schlimmeres, Brutaleres, Gewalttätigeres passiert als eine unschöne Debattenkultur. Nur: Das stimmt ja nicht, es passiert Gewaltvolleres. Bewaffnete Verteidiger der alten Privilegien bringen Menschen um, in Hanau, in Kassel, in Halle.
Es ist eine gefährliche Situation. Eine Pandemie wütet in der globalen Menschheit. Und das in einer Phase, in der sich mit dem grünen Kapitalismus die Macht zwischen Kapitalfraktionen verschiebt. In der Frauen und jahrzehntelang Ausgegrenzte an Sprecherpositionen gewinnen. In der also Männer und Weiße an Sprecherpositionen verlieren. Es wird alles neu verhandelt. Es ist gut, dabei zu Friedfertigkeit aufzurufen. Die Frage ist nur: An wen richtet sich dieser Appell? Wessen Füße fordern hier ihren Platz ein? Und: Wohin wollen sie gehen?
Kommentare 7
Solange immer und immer wieder nur das "Herumgetrampel" der anderen wahrgenommen und beklagt wird und eben nicht zuerst (!) das eigene, solange wird sich überhaupt nichts ändern (lassen). Und wenn dann auch noch dieses "Herumgetrampel" zur Rechtfertigung eigenen "Herumgetrampels" benutzt wird, ist eh alles verloren.
"Bewaffnete Verteidiger der alten Privilegien bringen Menschen um, in Hanau, in Kassel, in Halle." Der Mörder von Halle war zuallererst ein sehr einsamer, verirrter und verwirrter und verhaltensgestörter Mann. Dass er alte Privilegien verteidigt haben soll, dürfte ihm neu sein.
»Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen // Und schrien sich zu ihre Erfahrungen // Wie man schneller sägen konnte, und fuhren // Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen // Schüttelten die Köpfe beim Sägen und // Sägten weiter.«
Und so sägen und trampeln wir auf den jeweils anderen Zehen herum. Und jeder und jede sieht sich im Recht. Bis ans Ende aller Tage.
Wüsste nicht, das jemand das Gendern mit dem Leben bezahlt hat? Ist ein bisschen geschmacklos, wie hier Opfer moralisch, bzw. rhetorisch vereinnahmt werden.
Bei den Dingen, die derzeit – reell oder angeblich – verhandelt werden, ist zwar ein recht bunter Themen-Blumenstrauß aufgeführt. Die Hauptfrage weltweit – die Schließung oder wenigstens Minderung der sozialen Schere – wird jedoch recht schmerzlich vermißt.
"Verhandelt wird mit dem Ende des fossil betriebenen Industriekapitalismus nicht nur eine Energiequelle, sondern gleich ein ganzes Produktionsregime, und mit ihm die Organisierung der Gesellschaft auf allen Ebenen: Verhandelt wird die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, der Alltagskonsum, die Art, wie wir uns fortbewegen, die Kanäle, auf denen wir kommunizieren, verhandelt wird, wer an dieser Kommunikation teilnimmt und mit wie viel Raum, verhandelt wird sogar, mit welchem Vokabular wir verhandeln sollten, und nun wird auch verhandelt, in welcher Lautstärke wir all diese Verhandlungen führen."
In diesem "Themen-Blumenstrauß", wie Zietz das nennt, ist i.G. tatsächlich alles - auch das was dieser vermisst - angeschnitten, was gegenwärtig nicht nur zur Debatte steht, sondern tatsächliche praktische Veränderungen erfordert. Dass das so sehr knapp, teils nicht deutlich genug ausgedrückt steht, geschenkt, ist ja schließlich nur ein Zeitungsartikel, dazu noch ein kurzer.
"Produktionsregime" und "die Organisierung der Gesellschaft" sind die entscheidenden, übergeordneten Stichworte. Ob die Ziele von Produktion (und damit auch von Konsumtion), ihre Art und Weise, die eingesetzten Mittel, die Art der Beziehungen in ihr usw. privatkapitalistisch von den Kapitalinhaberinnen oder aber vergesellschaftet (und tatsächlich demokratisch, Hedwig Richter und Jakob Augstein!) von denen, die produzieren und konsumieren, bestimmt werden, ist eine elementare Frage.
Wie sie mit Ressourcenverteilungs- und Antidiskriminierungskämpfen und dem Problem der Erhaltung der sog. natürlichen Lebensgrundlagen in einem Zusammenhang steht - auch das kann so ein kleiner Artikel nicht aufzeigen. Aber dass das ein wichtiger Punkt des Nachdenkens und Diskutierens ist - dafür kann man diesen Text sehr wohl als Anregung nehmen.
Ach was!? Wer „verhandelt“ denn da? Du etwa?
Sie wissen nicht mehr, was sie schreiben sollen. Auch das kein erkenntnisreicher Artikel.
Ich habe ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass zur Zeit allzu viel "verhandelt" wird. Finde ich schade, denn tiefreifende Änderungen sind in vielen Bereichen sehr notwendig.
Aber wer wirklich verhandeln will, sollte nicht schreien. Er sollte zuhören und versuchen den anderen zu überzeugen. Deshalb ist das Bild des gequetschten Zehs falsch. Dabei handelt es sich um eine Übertretung (!) der persönlichen Grenzen und der körperlichen Unversehrtheit. Das kann man nicht mit "Verhandlungen" gleichsetzen.
Das oben geschriebene heißt aber nicht, dass man nicht auch schreien darf, wenn man von der Öffentlichkeit und den Mächtigen gehört werden will.Das nennt sich dann aber Protest und ist sicher ein probates Mittel, wenn man unterprivilegiert ist.