Volksfront oder grüne Chance

Görlitz Bei der Oberbürgermeisterwahl verhinderte das Bündnis die AfD. Die Rechte nachhaltig schlagen kann jedoch nur ein starkes politisches Projekt
Ausgabe 25/2019
Wer „Görliwood“ will, wählt nicht AfD
Wer „Görliwood“ will, wählt nicht AfD

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

„Deutsche Rechtsaußen-Partei verliert Bürgermeisterwahl nach Aufruf der Filmindustrie“, so titelte der britische Guardian seinen Artikel über Görlitz. Die östlichste Stadt Deutschlands, Filmkulisse für Grand Budapest Hotel, muss derzeit für so einige Fantasien herhalten: Hollywood-Schauspieler imaginieren eine Stadtgesellschaft, die „weise wählt“, nur weil Daniel Brühl das gerne so hätte; Annegret Kramp-Karrenbauer fabuliert in den Sieg des CDU-Oberbürgermeister-Kandidaten Octavian Ursu ihre Partei als „bürgerliche Kraft gegen die AfD“ hinein. „So far away from here“, diesen Satz twitterte die in der ersten Runde unterlegene grüne Kandidatin Franziska Schubert dazu. Smiley.

Antifaschistische Ratschläge von außen braucht in Görlitz niemand mehr. Der Umgang mit der AfD ist hier Alltag geworden: Grüne Eltern finden heraus, dass die Väter der besten Kita-Freunde ihrer Kinder gegen Geflüchtete demonstrieren; dass ihre Söhne beim Bogenschießen mit AfD-Leuten trainieren. Mit ihnen haben jene Eltern schon zigfach über die Rolle der Filmindustrie diskutiert. Wer „Görliwood“ will, wählt nicht AfD. Und wer AfD wählt, will kein Görliwood. Deren Kandidat Sebastian Wippel hat ja gerade damit Wahlkampf gemacht, dass er nicht auf Filmemacher und Zukunftsbranchen setzt, wie die grüne Kandidatin Franziska Schubert, sondern: „die Industrie“.

Die Görlitzer wissen, was sie tun. Rechte wie linke. Sie wussten, dass sie mit Schubert eine Finanzexpertin wählen können, die einen Plan hat, wie aus Fördergeldern der EU und des Strukturwandelfonds Investitionen in Görlitz werden. Sie wussten, dass Wippel nicht nur auf das Siemens-Werk setzt, sondern auch Postkarten mit dem Satz „Syrien vermisst euch“ an Geflüchtete verteilte, beim Zuckerfest.

Und Octavian Ursu von der CDU? Ab und zu wurde er bei einem Grillfest gesehen. Der politische Streit verlief zwischen Weltoffenheit plus Zukunftsbranche und Islamophobie plus Industrie; gewonnen hat jener, der im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte. Das ist politisch fatal. Denn Grüne, Linke, SPD und zwei Bürgerbündnisse riefen für die zweite Runde ja nicht zur Wahl Ursus auf, weil sie hinter seiner Politik stehen, sondern um einen AfD-Bürgermeister zu verhindern. Der von 45 Prozent der Wähler gewollt war. Ist das demokratisch?

Was aber wäre die Alternative gewesen? Wäre Schubert gegen Ursu und Wippel angetreten, würde nun ein Mann Bürgermeister, der sagt, dass er „den Islam nicht in der Oberlausitz haben will“. Die Grüne hätte damit alle Geflüchteten, die hier seit vier Jahren leben, in Gefahr gebracht. Nach einem hochpolitischen Wahlkampf war sie zum Schutz der Demokratie gezwungen, einen unpolitischen Weg zu gehen.

Ist der Teufelskreis aus der politischen Hölle nach 2015 also zurück? Macron wählen, um Le Pen zu verhindern, was am Ende die Rechte stärkt? Nein, auch hier gilt: Görlitz ist nicht die Welt. Bundesweit sind die Grünen in Umfragen mit 27 Prozent stärkste Kraft. In Brandenburg sind sie auf 17, in Sachsen auf 14 Prozent hochgeschossen. Die Chance, die AfD nicht durch Volksfront-Bündnisse, sondern durch ein alternatives politisches Projekt zu schlagen, ist nicht vertan: sie steigt. Auch die Görlitzer Grüne bekommt übrigens eine zweite. Bei den Landtagswahlen tritt Schubert im Wahlkreis gegen CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an – und vermutlich: gegen Sebastian Wippel.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

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