„Deutsche Rechtsaußen-Partei verliert Bürgermeisterwahl nach Aufruf der Filmindustrie“, so titelte der britische Guardian seinen Artikel über Görlitz. Die östlichste Stadt Deutschlands, Filmkulisse für Grand Budapest Hotel, muss derzeit für so einige Fantasien herhalten: Hollywood-Schauspieler imaginieren eine Stadtgesellschaft, die „weise wählt“, nur weil Daniel Brühl das gerne so hätte; Annegret Kramp-Karrenbauer fabuliert in den Sieg des CDU-Oberbürgermeister-Kandidaten Octavian Ursu ihre Partei als „bürgerliche Kraft gegen die AfD“ hinein. „So far away from here“, diesen Satz twitterte die in der ersten Runde unterlegene grüne Kandidatin Franziska Schubert dazu. Smiley.
Antifaschistische Ratschläge von außen braucht in Görlitz niemand mehr. Der Umgang mit der AfD ist hier Alltag geworden: Grüne Eltern finden heraus, dass die Väter der besten Kita-Freunde ihrer Kinder gegen Geflüchtete demonstrieren; dass ihre Söhne beim Bogenschießen mit AfD-Leuten trainieren. Mit ihnen haben jene Eltern schon zigfach über die Rolle der Filmindustrie diskutiert. Wer „Görliwood“ will, wählt nicht AfD. Und wer AfD wählt, will kein Görliwood. Deren Kandidat Sebastian Wippel hat ja gerade damit Wahlkampf gemacht, dass er nicht auf Filmemacher und Zukunftsbranchen setzt, wie die grüne Kandidatin Franziska Schubert, sondern: „die Industrie“.
Die Görlitzer wissen, was sie tun. Rechte wie linke. Sie wussten, dass sie mit Schubert eine Finanzexpertin wählen können, die einen Plan hat, wie aus Fördergeldern der EU und des Strukturwandelfonds Investitionen in Görlitz werden. Sie wussten, dass Wippel nicht nur auf das Siemens-Werk setzt, sondern auch Postkarten mit dem Satz „Syrien vermisst euch“ an Geflüchtete verteilte, beim Zuckerfest.
Und Octavian Ursu von der CDU? Ab und zu wurde er bei einem Grillfest gesehen. Der politische Streit verlief zwischen Weltoffenheit plus Zukunftsbranche und Islamophobie plus Industrie; gewonnen hat jener, der im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte. Das ist politisch fatal. Denn Grüne, Linke, SPD und zwei Bürgerbündnisse riefen für die zweite Runde ja nicht zur Wahl Ursus auf, weil sie hinter seiner Politik stehen, sondern um einen AfD-Bürgermeister zu verhindern. Der von 45 Prozent der Wähler gewollt war. Ist das demokratisch?
Was aber wäre die Alternative gewesen? Wäre Schubert gegen Ursu und Wippel angetreten, würde nun ein Mann Bürgermeister, der sagt, dass er „den Islam nicht in der Oberlausitz haben will“. Die Grüne hätte damit alle Geflüchteten, die hier seit vier Jahren leben, in Gefahr gebracht. Nach einem hochpolitischen Wahlkampf war sie zum Schutz der Demokratie gezwungen, einen unpolitischen Weg zu gehen.
Ist der Teufelskreis aus der politischen Hölle nach 2015 also zurück? Macron wählen, um Le Pen zu verhindern, was am Ende die Rechte stärkt? Nein, auch hier gilt: Görlitz ist nicht die Welt. Bundesweit sind die Grünen in Umfragen mit 27 Prozent stärkste Kraft. In Brandenburg sind sie auf 17, in Sachsen auf 14 Prozent hochgeschossen. Die Chance, die AfD nicht durch Volksfront-Bündnisse, sondern durch ein alternatives politisches Projekt zu schlagen, ist nicht vertan: sie steigt. Auch die Görlitzer Grüne bekommt übrigens eine zweite. Bei den Landtagswahlen tritt Schubert im Wahlkreis gegen CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an – und vermutlich: gegen Sebastian Wippel.
Kommentare 13
Das Engagement der Filmschaffenden in allen Ehren aber ich glaube, sie haben der Stadt damit eher einen Bärendienst erwiesen. Meine Vermutung ist, dass dieser Aufruf der AfD eher genutzt hat und ihnen noch ein paar Prozentpunkte mehr eingebracht hat. Wie der Artikel schon sagt: Die Leute, für die Weltoffenheit wichtig ist und die sich über Filmteams aus aller Welt freuen, die hätten ohnehin nicht AfD gewählt. Für die ist so ein Aufruf natürlich trotzdem angenehm für die Seele weil man sich dann etwas wichtiger fühlen kann. Aber ich glaube nicht, dass ein einziger AfD-Fan sich davon hat abhalten lassen, letztlich die AfD zu wählen.
Im Gegenteil glaube ich, dass der Aufruf eher Wasser auf die Mühlen der AfD war, die dadurch ihre angebliche Rolle als Außenseiter und Anti-Establishment noch besser spielen konnte. Außerdem haben viele den Aufruf als Bevormundung empfunden. Mancher Unentschloßene mag gerade deshalb die AfD gewählt haben, um zu sagen: "Ihr könnt uns mal".
Ich kann es aus meinem Umfeld bestätigen ... Man ist nur noch damit beschäftigt, die AfD zu verhindern. Eigene Politikangebote, ein Umdenken und Hinterfragen, ein Stück Sebstkritik ... - Fehlanzeige!
Diese Art von "Überreichweite" hat aber keinen Bestand und führt in die etablierte Beliebigkeit.
„Die Chance, die AfD nicht durch Volksfront-Bündnisse, sondern durch ein alternatives politisches Projekt zu schlagen, ist nicht vertan: sie steigt.“
Soll Grün-Rot-Rot das neue alternative Projekt sein? Ein Lagerwahlkampf gegen die AfD, den liebsten Feind der Grünen?
Meine Befürchtung ist, hier wird der Teufel mit Belzebub ausgetrieben. Denn steckt nicht auch in den Grünen ein Stück Faschismus in Form des Ökofaschismus ? Wollen die einen die deutschen Menschen vor den Ausländern retten, so wollen die anderen die Natur vor den Menschen retten.
Wer rettet die sozial Benachteiligten, also die sog. Verlierer des Systems? Diese werden immer mehr und die gehen nicht mehr wählen!
Die Hoffnung wäre, dass das ein oder andere Rot in der Formation GR2 dafür sorgt, dass eben nicht die Natur von den Menschen gerettet wird, sondern die Menschen vor der kaputten Natur. Dafür müsste sich die Linke aber auch mal ein stärker umorientieren: auf ihre Rolle im "grünen Kapitalismus", der ja nun angebrochen ist. Rot müsste über die Funktion als Mehrheitsbeschaffer (die es ja auch erstmal ausfüllen müsste) hinauskommen und das Bündnis sozial gestalten.
Und wieder fordert die CDU Verfolgung von angeblichen Verfassungsfeinden
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/cdu-politiker-tauber-will-verfassungsfeinden-meinungsfreiheit-entziehen-16244594.html
Was wird dann eigentlich aus den Verfassungsfeinden, die in der Bundesregierung sitzen und Verfassungsbrüche begehen? Sogar die Verfassungsrechtler haben festgestellt, dass beispielsweise während der Eurokrise oder auch in der Flüchtlingskrise unzählige Verfassungsbrüche von der Bundesregierung begangen wurden
http://www.welt.de/politik/deutschland/article150982804/Rechtssystem-in-schwerwiegender-Weise-deformiert.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article150947586/Merkels-Alleingang-war-ein-Akt-der-Selbstermaechtigung.html
http://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Der-Richter-der-Kanzlerin-article16746101.html
http://www.focus.de/politik/deutschland/ex-verfassungspraesident-papier-angriff-auf-merkel-fluechtlingskrise-offenbart-ein-eklatantes-politikversagen_id_5203972.html
Schön gesagt Elsa
Aber die Linkspartei versucht doch gerade grüner als die Grünen zu werden. Um ein paar Ministerposten Willen, biedern die sich bei den Grünen an, denen alles soziale fremd ist.
Ich weiß, jetzt kann man sagen, sollen die die „richtigen“ Linken dafür sorgen, daß die Linken wieder links werden. Aber das ist aussichtslos.
So bleibt ich denn ratlos und politisch heimatlos zurück und weiß nicht, was ich wählen soll, sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen. Aber Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten....und wegen der Bahnsteigkarte gibt es in der BRD auch keine Gelbwesten
Es ging nicht darum, eingefleischte AfD-Anhänger davon zu überzeugen, nicht die AfD zu wählen, sondern den bisherigen Nicht-AfD-Wähler*innen klar zu machen, dass es nicht egal ist, ob Wippel oder Ursu Oberbürgermeister wird. Welche Auswirkung die diversen Briefe und Zeitungsanzeigen im einzelnen gehabt haben, steht nicht fest. Aber klar ist, dass ohne die breite Unterstützung für Ursu dieser gegen Wippel und die AfD verloren hätte.
Also, auf mein grünes Umfeld trifft die Kritik, sich "nur damit zu beschäftigen, die AfD zu verhindern", nicht zu. Gerade Görlitz hat gezeigt, dass es tatsächlich sinnvoll ist, eigene Politikangebote zu machen und gegenüber den Wähler*innen auch durchaus selbstkritisch aufzutreten.
Das heißt aber nicht, sich nicht bei einer Entscheidung wie einem zweiten Wahlgang auf die Seite des Kandidaten einer anderen Partei zu stellen, der einem als der bessere der verbleibenden Kandidaten erscheint. Was daran unpolitisch sein soll, wie Elsa Koester meint, kann ich nicht nachvollziehen.
Bezüglich der Forderung nach g-r-r, die mir inhaltlich sehr sympathisch wäre, ist zu bedenken, dass dies die Bildung eines Gegenlagers aus CDU/CSU und AfD fördern wird. Bekommt dieses eine Mehrheit, wäre das für die Lösung zentraler Fragen wie dem Klimaschutz fatal
In dem Artikel wird ein historisch falsches - weil abwertendes - Verständnis von Volksfront vorausgesetzt. Daher ist nicht verstanden, um was es bei Volksfront ging und geht.
In Sachsen allerdings steht eine Volksfront gar nicht zur Debatte, sie ist infolge der sächsischen Verhältnisse gar nicht möglich. Daher wird sie in dem Artikel nur als eine Schein-Alternative, ein Popanz diskutiert, um darauf einzuprügeln.
Das ist unserös. Vielmehr müsste auch in Sachsen über die Grundlagen der Politik nachgedacht werden! Sind die Grundlagen unreflektiert oder spekuliert oder aus Ressentiment abgewehrt, so sind auch daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen krumm und schief wie in diesem Artikel.
Auch die ebenso beliebte wie falsche Gegenüberstellung von Macron als "letztem Retter" vor Le Pen ("Front" National, heute in die lieblichere "Sammlung"/Rassemblement umbenannt) sitzt einem Propagandadenken auf. Le Pen hatte bei Wahlen in Frankreich noch nie wesentlich mehr als 30 Prozent, Macron aber auch nicht mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten bekommen (Wahlen, nicht Meinungsumfragen !!). Damit Macron mehr kriegt, gibt es diese Propaganda. Aber es steht momentan in Frankreich niemand zur Wahl, der - jenseits des Neoliberalismus = Massenverarmung - wirklich mehrheitsfähig ist.
Was in Sachsen vielmehr anstünde - wenn historischen Mustern gedacht und sich so klüger gemacht wird -, das wäre ein überparteilicher "Reichsbanner". Diesen kennt heute kaum noch jemand, weil sich nur wenige Deutsche gegen Hitler gewehrt haben. Und die sich gewehrt haben, taten es im "Reichbanner". (Der war zur Verteidigung der Weimarer Republik gegen Nazis und Deutschnationale von der SPD aufgestellt worden. Auch in Österreich gab es ein sehr aktives Gegenstück.)
Leider ist die SPD heute nicht mehr handlungsfähig. Ihr dominierender Parteiflügel, der Seeheimer Kreis, beruft sich zwar gern auf ihren Vorläufer, den Parteichef Kurt Schumacher, aber äfft ihn nur nach. Sonst würde sie sich in dieser Situation mit ganzer Kraft für eine neue Form des "Reichbanners" einsetzen - zur Verteidigung der Demokratie und des - sozialen - Rechtsstaats.
Nur wenn ein solcher "Reichsbanner" (in heutiger Form) möglich wäre, dann wäre auch die viel anspruchsvollere Volksfront überhaupt denkbar. Mit einer solchen Volksfront der linken Parteien hat sich Frankreich im Jahr 1936 vor dem dort ebenfalls drohenden Faschismus gerettet!
...Ein "grüner Kapitalismus" ist e i n Schritt und wird nicht genügen, halte es mit J. Ziegler. HG
...Ein "grüner Kapitalismus" ist e i n Schritt und wird nicht genügen, halte es mit J. Ziegler. HG
Aha der Autor will also eine Art SED 2.0. Verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass vor allem die etablierten Parteien in Europa an der Abschaffung der Demokratie seit Jahren eifrig rumbasteln.
Vor allem die etablierten Parteien haben den Aufstieg der Rechten zu verantworten haben. Jetzt trotz alldem an ihrer Agenda festhalten und sich dann noch wundern, wie die Rechten immer stärker werden. Ich erinnere nur nur noch daran, dass vor allem die Schwesterparteien der CDU/CSU/SPD die Eurokrise in Griechenland verursacht haben. Ebenso in Spanien und Italien haben vor allem die Schwesterparteien der CDU/CSU/SPD die Staatsschuldenkrise zu verantworten haben. Das waren nicht die Rechtspopulisten!
Die etablierten Parteien die basteln gegenwärtig lieber weiterhin fleißig an der Abschaffung der Demokratie in Europa und werfen den Rechten genau das vor, was sie selbst in Europa vorhaben: Abschaffung der Demokratie, Abschaffung der Meinungsfreiheit, Zensur, langsame Gleichschaltung der Presse , Ausbau der Überwachung und nun neuerdings die schwachsinnige Idee wie Uploadfilter!
Hinzu kommen die CDU/CSU Projekte wie Polizeigesetz zur Abschaffung der Bürgerrechte, verwanzte Wohnungen und außerdem kämpft die CDU/CSU seit Jahren dafür die Diktatur der Finanzmärkte in Europa noch weiter radikaler auszuweiten .