Man kann wohl füglich sagen, dass Robert Falcon Scott, der unter anderen einer der ersten Menschen am Südpol war, wo er auf dem Rückweg 1912 starb, nicht der berühmte Entdecker geworden wäre, wenn er nicht diese Frau an seiner Seite gehabt hätte – so liest man es aus Kerstin Ehmers Buch über das Leben der Kathleen Scott.
So oder so jedenfalls eine bewundernswert mutige und eigenständige Frau. 1878 geboren, Waise, Bildhauerin aus eigener Kraft, befreundet mit Rodin, Isadora Duncan und George Bernard Shaw, freiwillige Helferin im mazedonischen Aufstand gegen die Türken 1903, in der Welt unterwegs, abenteuernd zwischen Neuseeland und Afrika – und so fort. Zwei Weltkriege aktiv durchgestanden, gestorben 1947.
„Diese Freiheit bedeutet mir alles“. Das Leben der Kathleen Scott Kerstin Ehmer Mare 2023, 384 S., 28 €
Ruth Werner, geboren als eine Kuczynski, ist einem unter diesen 18 Frauen ad hoc am bekanntesten, als sowjetische Agentin ebenso wie später als Buchautorin in der DDR. Doch ist sie nur eine unter ähnlich abenteuernden und mutigen Frauen, die hier, beginnend mit Ida Pfeiffer (1797 – 1858) und endend mit Eva Siao (1911 – 2001) porträtiert werden.
Ihre bei allen unterschiedlichen Berufen, ob Ärztin, Journalistin, Missionarin, Wissenschaftlerin oder Feinbäckerin – Gemeinsamkeit: ihr Leben in und ihre Leidenschaft für China. So ist Ausgerechnet zu den Chinesen ... nicht nur eine Hommage an diese Frauen, sondern auch ein Gutteil der Wahrnehmungsgeschichte Chinas.
„Ausgerechnet zu den Chinesen …“ Deutschsprachige Abenteurerinnen in China Martina Bölck und Hilke Veth Aviva 2023, 333 S., 24 €
Frauen waren im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts im Journalismus selten, mehr als ungewöhnlich, wenn sie nicht über Mode, Haushalt und Garten schrieben. Spektakulär also, wenn zum Beispiel Gabriele Tergit aus dem Gericht berichtete. Reporterinnen im Krieg, an der Front – in Deutschland war das den Männern der Propagandakompanien vorbehalten, deren Karrieren nach 1945 bruchlos weiterging. In England und in den USA war das zumindest punktuell anders.
In ihrem Buch Frauen an der Front stellt Judith Mackrell sechs Kriegsreporterinnen vor. Martha Gellhorn konnte man schon vorher kennen, nicht nur als zeitweilige Ehefrau von Ernest Hemingway, sondern auch durch Übersetzungen ihrer Reportagen. Sie war die einzige journalistische Person, die am sogenannten D-Day, dem Tag der alliierten Landung in der Normandie, dabei war. Ähnlich bekannt Lee Miller, ehedem Covergirl der Vogue, Muse von Man Ray – und Fotografin, die den amerikanischen Truppen auf dem Weg von Frankreich nach Deutschland folgte. Von ihr stammen die meisten Fotos, die das Grauen der Konzentrationslager dokumentierten.
Virginia Cowles begann als Society-Girl der Hearst-Presse, berichtete dann aus dem spanischen Bürgerkrieg so kompetent, dass der frühere britische Premier David Lloyd George sie für einen Militärexperten hielt. Oder die Engländerin Clare Hollingworth, die so gut wie auf allen Schlachtfeldern dabei war. Helen Kirkpatrick war überhaupt die erste Frau im Stab der Chicago Daily; sie berichtete vom Blitzkrieg und aus Nordafrika, wo sie mit den französischen Truppen zog.
Schließlich Sigrid Schultz, norwegischstämmige Amerikanerin, die eine Beziehung zu Göring aufnahm und unter anderem unter Pseudonym die Absichten der Nazis offenlegte. Das Besondere an dem Buch, das diese Frauen vorstellt, ist aber nicht nur, sie in Erinnerung gebracht zu haben, sondern aus der Sicht dieser Frauen eine durchgehende Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu erzählen.
Frauen an der Front. Kriegsreporterinnen im Zweiten Weltkrieg Judith Mackrell S. Hornfeck, S. Hauser (Übers.), Insel 2023, 542 S., 28 €
Ilse Jahn war mehr als nur ein tapferes Mädchen: Als ihre Mutter Lilli, Ärztin, deren „arischer“ Mann sich hatte scheiden lassen, um eine Kollegin zu heiraten, als Jüdin Sommer 1943 in ein „Arbeitslager“ verschleppt wurde, übernahm es die Vierzehnjährige, sich um ihre drei jüngeren Schwestern, die Jüngste gerade einmal drei Jahre alt, zu kümmern. Regelmäßig schrieb sie der Mutter Briefe ins Lager. Ein Jahr später wird die nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Ilse hält die Geschwister zusammen. 1945 schreiben die: „Du bist jetzt unsere Mama. Vielen Dank.“
Martin Doerry, Ilses Sohn, hatte 2002 ein ungemein bewegendes Buch über seine Großmutter veröffentlicht (Mein verwundetes Herz), nicht zuletzt auf der Basis der damaligen Briefe seiner Mutter. Nun hat er, Jahrzehnte in der Chefredaktion des Spiegel, nach dem Tod der Mutter 2015, ein Buch über sie herausgebracht.
Nicht minder bewegend ist Lillis Tochter nicht nur wegen der Schilderungen der Jahre ihrer Verantwortung für die Geschwister, nicht nur der wiedergegebenen Briefe wegen, sondern auch darin, wie Ilse Doerry den erfahrenen Hass, die Not und den Schrecken damals in sich verkapselte und darüber schwieg – bis der Sohn sie in seine Recherchen zur Großmutter einbezog. Doerry schildert ihr Leben von der Kindheit an, durch Terror und Krieg, danach von Nordhessen nach Birmingham und die Rückkehr nach Deutschland, ihre Depression, ihre letzten Jahre. Ebenso anrührend wie mahnend.
Lillis Tochter. Das Leben meiner Mutter im Schatten der Vergangenheit – eine deutsch-jüdische Familiengeschichte Martin Doerry DVA 2023, 319 S., 24 €
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