Am Ende des Zweiparteiensystems?

US-Primaries Libertäre und Grüne fahren Rekordumfrageergebnisse ein, die beiden Großparteien drohen zu zerreißen. Steuern die USA auf ein europäischeres Parteienspektrum zu?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Am Ende des Zweiparteiensystems?

David McNew/Getty Images

Clinton vs. Trump. Die beiden unbeliebtesten US-amerikanischen Politiker sind nun mit ziemlicher Sicherheit die Kandidaten der beiden großen Parteien, für das Amt des Commander In Chief der Vereinigten Staaten. Hier in Deutschland wurde das amerikanische Zweiparteiensystem stets mit einer Mischung aus Amüsement und Unverständnis betrachtet. Und in diesem Wahlzyklus scheint es erstmals in der US-Geschichte, dass die amerikanische Bevölkerung langsam aber sicher mehr Gefallen an einem "europäischen" Parteiensystem findet. Kleinparteienkandidaten wie der libertäre Gary Johnson und die grüne Jill Stein kommen in aktuellen Umfragen auf Rekordwerte, viele Bernie-Sanders-Anhänger haben bereits angekündigt, im Falle Clintons endgültiger Nominierung, die unter Progressives sehr beliebte Grüne Stein zu unterstützen, die bereits 2012 für ihre Partei angetreten war. Johnson ein veritabler Radikalliberaler vom Schlage eines Ron Paul bietet derzeit bis zu 10% der befragten Wähler Zuflucht, die zwar den typisch republikanischen "kleinen Staat" befürworten, aber beim besten Willen nicht für Donald Trump stimmen würden.

Stehen die USA also vor einer neuen Mehrparteiendemokratie? Angesichts des korrupten Wahlfinanzierungssystems, sowohl bei Präsidentschafts- wie auch Kongresswahlen, sollte man den Begriff Demokratie in den USA mit Vorsicht genießen. Doch der Wahlzyklus 2016 gibt auf seine ganz eigene, verschrobene Art Anlass zu einem Funken Hoffnung. Noch ist nicht abzusehen ob die Kandidaturen von Donald Trump und Bernie Sanders Anzeichen für das Auseinanderbrechen der zwei großen Parteien sind. Es war jedoch nie wahrscheinlicher. Politisch ist der Unterschied zwischen Sanders und Clinton in der selben Partei zweifellos größer als der Unterschied zwischen George H.W. Bush und Bill Clinton, Barack Obama und Mitt Romney oder Hillary Clinton und Donald Trump. Nur Gary Johnson und Jill Stein sind noch weiter voneinander entfernt. Insofern ist Sanders' demokratischer Sozialismus, der in den vergangenen 12 Monaten eine mächtige Portion der US-Wählerschaft mobilisiert hat und dabei besonders bei den jungen Generationen - wo er landesweit bereits eine Mehrheit hätte - die Menschen politisch interessiert machen konnte, kaum mehr ein Teil der demokratischen Parteiwelt, die sich verzweifelt an Dynastiekandidaten wie Hillary Clinton und ihrer zaghaften und von der Wirtschaft stark kontrollierten Status-Quo-Politik festklammert.

Ob das Spannungsverhältnis zwischen Parteiestablishment und Sanders' politischer Graswurzelbewegung die Partei zerreißt oder doch eher das Establishment nach links zieht, das gilt es abzuwarten. Sollte jedoch das demokratische Lager gespalten werden und eine neue progressive Partei entstehen, wäre eine beinahe deutsche Parteienlandschaft erreicht. Die Vergleiche sind aufgrund der kulturellen und gesellschaftlichen wie auch historischen Unterschiede zu Deutschland nicht sonderlich zutreffend, doch man könnte die Lager dann etwa so verorten: Die Donald-Trump-GOP wäre die AfD der USA, Clintons Establishment-Demokraten die CDU, Jill Steins Partei wären die Grünen zu Beginn der 90er Jahre, Johnsons Libertarians wären eine auf die Spitze getriebene FDP und Bernie Sanders wäre die LINKE, am ehesten die der neuen Bundesländer.

Eine solche Entwicklung ist zwar aus demokratischen Gesichtspunkten sicher zu begrüßen, birgt jedoch auch die Gefahr, den traditionell loyaleren Konservativen das Präsidentenamt zu überlassen, wenn die "linkeren" Parteien sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Gerade in Deutschland ist seit dem Beginn von Merkels Kanzlerschaft immer wieder zu sehen, dass das Linke Lager sich lieber gegenseitig zerfleischt als gegen die Dauerwahlsieger der Union zusammenzuhalten wenn es drauf ankommt.

Dass Bernie Sanders nach seiner Niederlage am Wahldienstag versprochen hat bis zum Parteikonvent im Juli weiter für sein Programm zu kämpfen, ist vielerorts sauer aufgestoßen. "Bernie needs to fall in line!" titelt der Boston Globe und ähnlich sieht es auch ein Großteil der restlichen Presse, die Sanders stets ablehnend gegenüber stand. Selbst Barack Obama hat persönlich angekündigt, bei seinem kommenden Gespräch mit dem Senator aus Vermont diesen zu "ermutigen", Hillary offiziell zu unterstützen und seine Kampagne zu beenden. Dabei geht es Sanders um etwas anderes: Seine Botschaft lautstark und von Millionen Bürgern unterstützt in den Parteikonvent zu tragen und dort Clinton und das DNC unter Druck zu setzen, eine progressive Politik auf die offizielle Agenda der Partei und Clintons Präsidentschaft zu setzen. Dass Partei und Kandidatin sich darauf einlassen, ist vielleicht nicht so unwahrscheinlich wie dass SPD und Grüne eine Rot-Rot-Grüne Koalition im Bund tatsächlich in Erwägung ziehen, aber dennoch kaum zu glauben. Sollte deshalb Sanders einknicken und sich aus der politischen Richtungsdiskussion zurückziehen? Nein. Denn Sanders steht weniger für die Demokratische Partei als für konkrete progrssive politische Ideen und einen Aufstand gegen die korrupte politische Realität in den USA.

Ein weiterer potentieller Rückschlag steht ihm dennoch bevor. Glaubt man einigen Medienberichten, so steht ein Endorsement der beliebten liberalen Senatorin Elizabeth Warren für Hillary Clinton kurz bevor. Spekuliert wird bereits dass Warren Interesse am Vizepräsidentenamt bekundet hat, was ihre kategorische Ablehnung als Präsidentschaftskandidatin anzutreten etwas ad absurdum führen würde, dennoch sowohl für Hillarys Chancen, gewählt zu werden als auch für Sanders' Chancen, seine progressive Politik in einer Clinton-Administration unterzubringen, sehr hilfreich wäre. Bei den Sanders-Supportern überwiegt derzeit noch die Enttäuschung dass die Senatorin die Sanders politisch am nächsten steht, diesen nicht offen unterstützt hat und sich nun sogar für dessen Rivalin aussprechen will. Das kann aber eine vorübergehende Stimmung sein.

Klar ist, tritt Clinton statt Warren mit einem Establishment-"Running Mate" an, wird sie sich umso schwerer tun, das gesamte Sanders-Lager zu überzeugen, für sie zu stimmen und nicht für Jill Stein oder gar Donald Trump, den viele für potentiell weniger schlimm halten als Hillary. Jüngst hat der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, Donald Trump offiziell die Unterstützung zugesagt. Die GOP steht somit quasi geschlossen, wenn auch voller Unbehagen, hinter Donald Trump. Ob das die konservative Wählerschaft überzeugen wird, ist weiter offen. Clinton ist bei republikanischen Wählern noch weit unbeliebter als Trump, so bliebe ihnen nur noch Gary Johnson. Ob der Libertäre Trump genug Stimmen abjagen kann um Clintons Chancen zu stärken ist fraglich.

Johnson und Stein und die Kleinparteien mögen bei der Präsidentenwahl das Zünglein an der Waage sein, im politischen Gesamtzusammenhang der USA sind sie jedoch weiterhin bedeutungslos, wenn sie es nicht schaffen, einige ihrer Kandidaten in die Landesparlamente und den Kongress zu bekommen. Selbst Bernie Sanders, der eigentlich parteilose Langzeitsenator, ist im Prinzip eine Kuriosität in der bipolaren politischen Realität der amerikanischen Legislative, Judikative und Exekutive. Der Wahlzyklus 2016 hat jedoch gezeigt dass die Zweiteilung der amerikanischen Bevölkerung am Ende ist und ein Mehrparteiensystem unausweichlich werden wird. Sollte es Bernie Sanders oder Larry Lessig und ihrer "politischen Revolution" und der damit einhergehenden Abschaffung des gänzlich undemokratischen Wahl- und Parteienfinanzierungssystems nicht gelingen, der amerikanischen Politik ihren Stempel aufzudrücken, wird eine solche Entwicklung jedoch noch auf absehbare Zeit von Wirtschaft und Finanz verhindert werden.

Ob das zu einer tatsächlichen Revolution oder Resignation seitens der Bevölkerung führen wird, wird sich zeigen. Das System hat sich mit voller Wucht gegen den Siegeszug von Bernie Sanders gestemmt und diesen nur knapp gewinnen können. Donald Trump konnte es nicht verhindern. Diese unschmeichelhafte Aufgabe hat nun Hillary Clinton übertragen bekommen. Glaubt man den Umfragen, dann ist sie die falsche für diesen Job.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden