Links von uns ist die Wand?

US-Politik Die amerikanischen Linken zerfleischen sich. Es war zu erwarten. Werden Hoffnungsträger wie Keith Ellison eine Chance bekommen?

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Keith Ellison in Washington
Keith Ellison in Washington

Foto: Alex Wong/AFP/Getty Images

Es herrscht Chaos bei den US-amerikanischen „Linken“. Die unlinkeste demokratische Präsidentschaftskandidatin hat gegen den unbeliebtesten Kandidaten der US-Geschichte verloren, und die Partei leckt ihre Wunden. Der neue Minority Leader des Senats wird nun also Charles „Chuck“ Schumer, einer von Hillary Clintons Schlag, ein Establishment-Insider, ein Wallstreet-Demokrat, während die Parteiführung an den progressiven, schwarzen Muslim Keith Ellison gehen soll, der von den großen zwei progressiven Senatoren Elizabeth Warren und Bernie Sanders unterstützt wurde, zuletzt sogar auch von eben jenem Chuck Schumer, der wohl eingesehen hat, dass das völlige Vernachlässigen der progressiven Basis der Partei ein Fehler war. Für Bernie Sanders selbst wurde eine neue Führungsposition eingerichtet – Chair of Outreach – vermutlich um zu vermeiden dass Sanders in eine wirklich relevante Position gerückt wird. Man darf nicht vergessen dass Bernie Sanders vor seiner Präsidentschaftskampagne als Parteiloser im Senat saß. Die Parteiführung der Demokraten wird nicht mir-nichts-dir-nichts einen Außenstehenden in die faktische Führungsriege nominieren. Dabei wäre sie gut beraten gewesen dies zu tun. Doch Beratungsresistenz scheint wie ein roter Faden durch die demokratische Elite – und auch durch die Mainstream-Presse – zu gehen.

Erstaunlich ist immerhin, wie oft Bernie Sanders seit der Wahl im US-TV zu sehen ist. In den vier Wochen seit der Wahl wurde Sanders häufiger von den großen News-Kanälen CNN, CBS oder NBC interviewt als zu seiner kompletten Wahlkampfzeit. Dass allerdings zeitgleich Gerüchte kursieren, dass die Parteispitze gerade mit Cory Booker („Barack Obama light“) und Kirsten Gillibrand („Hillary Clinton light“) sowie dem frisch geschlagenen Vize-Kandidat Tim Kaine drei Persönlichkeiten für die Präsidentschaftskandidatur 2020 handelt, würde den Eindruck unterstreichen, dass die Demokraten aus ihrer herben Niederlage gegen Trump nichts gelernt haben.

Doch ist es überhaupt eine herbe Niederlage? Dass die Stimmen der Wahl die genau vor einem Monat stattfand immernoch ausgezählt werden, klingt absurd. Dass Hillary Clinton beim popular vote mittlerweile 2,7 Millionen mehr Stimmen hat als Donald Trump, dieser aber trotzdem mit beinahe 15% mehr Wahlmännern im electoral college die Wahl gewonnen hat, klingt ebenso absurd. Doch abgesehen davon, wie eigenartig Außenstehenden das US-Wahlsystem vorkommen mag: Hillary Clinton hat im Volk durchaus die Wahl gewonnen. Die Demokraten könnten demnach argumentieren dass ihr Ansatz kein falscher war, nur das Wahlsystem einem Sieg im Weg stand. Das wäre jedoch ein hochgradig scheinheiliges Argument. Dass sie im Electoral College so stark verlor, lag nicht zuletzt daran dass sie die drei blue wall states, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, als gewonnen voraussetzte und dort gar nicht erst auf Wahlkampf ging. Dass sie im Gegensatz zu Trump und Sanders auf ihren Wahlkampfauftritten weit weniger Menschen zog und ohnehin lieber Fundraiser bei reichen Geldgebern abhielt, war das sichtbarste Argument für ihre Niederlage. Während Trump sich geradezu dem Volk anbiederte in dem er die ultrarechtesten Wähler in die Arme schloss, machte Clinton deutlich dass ihr ihre Geldgeber wichtiger waren als das Volk. Das war zumindest Teil der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Kampagne.

Am Ende des Tages war es eine Wahl zwischen dem Establishment und dem Anti-Establishment, das Trump versuchte zu personifizieren. Dass die Realität in Trumps Kabinett ganz klar anders aussehen wird, ist schon jetzt eindeutig, doch für den Wahlkampf ging sein Plan auf, sich als Anti-Washington und Ritter des kleinen Mannes zu inszenieren.

Dass mit Keith Ellison nun ein echter Progressiver die Demokratische Partei anführen soll, ist ein Schritt in die richtige Richtung, der allerdings natürlich sofort untergraben wird. Einige Republikaner haben ein paar Zitate Ellisons von vor etwa 15 Jahren hervorgeholt, in denen er die Politik Israels kritisiert und ihn damit als Antisemit „identifiziert“. Dabei hilft natürlich, dass Ellison Muslim ist, auch wenn Muslime ebenso Semiten sind, aber das weiß ja leider kaum jemand. Dieser Antisemitismus-Vorwurf ließe sich einfach durch den Gesamtzusammenhang seiner Bemerkungen, und der Tatsache dass er nur über die Politik einer rechten Regierung sprach, entkräften, doch einige Demokraten und die Medien sind bereits auf den Zug aufgesprungen und halten Keith Ellisons Aufstieg zur Parteispitze schon für beendet. Dass ein wahrer Progressiver, ein Freund von Elizabeth Warren und Bernie Sanders, dem Parteiestablishment ein Dorn im Auge ist, war klar. Dass es sich dazu auf die Seite von republikanischen Islamophoben stellt, ist geradezu erbärmlich, unterstreicht aber auch die Ahnung, dass 2020 erneut ein Establishmentkandidat ins Rennen geschickt werden soll.

Während das politische Personal der Demokraten also in einer Art internem Machtkampf sich einer Zerreißprobe für die Partei nähert, zerfleischt sich außerhalb die politisch interessierte, links orientierte Bevölkerung und deren Medienvertretungen.

Während die althergebrachten Newsmedien gute Miene zum bösen Spiel machen und sich wie jeher auf der Seite des Establishments positionieren, inklusive MSNBC und Fox News, zersplittert die amerikanische Linke in den alternativen Medien immer mehr in verfeindete Lager. Diese Entwicklung war schon während des Wahlkampfes zu beobachten, besonders aber nach der Niederlage Bernie Sanders' in den Primaries. Während die vergleichsweise moderateren Online-News The Young Turks zähneknirschend Hillary Clinton als geringeres Übel ausmachten und eine eher holprige Anti-Trump-Kampagne (#loserdonald) lostraten, brachte ihr Ableger TYT Politics einen Clinton-kritischen Bericht nach dem anderen, zerlegte stundenlang die Podesta-Emails um die Korruption der Clintons und die Behinderung der Sanders-Kampagne durch Presse und Parteiführung offenzulegen. Auch Kyle Kulinski mit seiner Secular Talk Radiosendung positionierte sich eher auf Seiten von Grünen-Kandidatin Jill Stein und Comedian Jimmy Dore widmete seine ganze Show beinahe nur noch brutalstem Clinton-Bashing – sehr unterhaltsam, doch maximal polemisch – und gewann dadurch enorm an Popularität.

Die Tatsache dass Elizabeth Warren während des Vorwahlkampfes kein Endorsement für Bernie Sanders aussprach, machte Teile der linken Basis so wütend, dass sie Warren als Verräterin bezeichneten. Als Sanders dann verlor und mehr oder weniger widerwillig Hillary Clintons Wahlkampf gegen Trump unterstützte, würde er als sellout beschimpft. Liberals, progressives, Democrats – das war einst ein Sammelbecken für die Wähler der Demokratischen Partei. Jetzt beschimpft die islamkritischere Fraktion der Linken die politisch korrektere Fraktion als regressive, als cucks, als social justice warriors, während die so gescholtenen die Vorbilde ihrer Kritiker, darunter TV-Satiriker Bill Maher, Autor Sam Harris und Online-Host Rick Rubin, als Islamophoben und Rassisten beschimpfen. Und das, so scheint es, ist erst der Anfang. Es war immer klar, dass beide Parteien und deren Anhängern nach dieser desaströsen Wahl eine interne Zerreißprobe bevorstand. Doch die Partei des Siegers hat einen klaren Vorteil: Sie hat gewonnen. Die Verliererpartei – und das auf ganzer Linie – ist die Demokratische Partei: Sie hat keine Mehrheit im Senat, keine Mehrheit im Repräsentantenhaus, keine Mehrheit bei den Staatsgouverneuren und sie hat die Präsidentenwahl verloren. Dabei findet die tatsächliche Politik der Demokraten bei der Bevölkerung mehr Anklang, in manchen Umfragen wirkt das amerikanische Volk geradezu durstig nach "demokratischem Sozialismus" à la Bernie Sanders. Und doch wählt die Mehrheit die Republikaner. Warum? Die Republikaner haben ein Talent dafür, erstens zusammenzuhalten und zweitens ihre Positionen so gut zu verkaufen und so hart gegen die Demokraten zu kämpfen, dass sie als die „starke Partei“ wahrgenommen wird. Und das ist sie auch, vergleicht man sie mit den Demokraten. Was die GOP nicht ist, ist: Die Partei der Wirtschaftskompetenz. Die Partei des kleinen Mannes. Die Partei der Vernunft. Ihre Steuerpläne richten sich nur nach den Bedürfnissen der Großwirtschaft und der Großfinanz. Sie leugnet mittlerweile offen den Klimawandel und zweifelt die Evolution an. Sie plädiert für mehr Gott im Staat. Sie will die Sozialsysteme weiter kürzen. Alles was die Republikaner tun richtet sich gegen das Volk. Und doch werden sie gewählt. Weil sie die starke Partei sind. Deswegen werden die Republikaner auch das Regime Trump überleben. Ob die Demokraten das Regime Trump überleben kommt ganz darauf an, ob sie es schaffen, sich von ihren alten, offensichtlich erfolglosen Rezepten zu verabschieden und wieder eine Partei des Volkes zu werden, die das System Trump bekämpft anstatt sich ihm zu beugen und die das korrupte Gesamtsystem der US-Politik reformieren wird, mit Warren, Ellison und Sanders an der Spitze. Dann werden ihnen die Wähler auch wieder das Vertrauen aussprechen. Dass all das geschieht, steht völlig in den Sternen. Wenn man das Beispiel Keith Ellison gerade verfolgt, dann sieht es aber nicht gut aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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