Daniela Löffner über Intimität auf der Bühne: „Es ist toll, wenn Frauen da weinen“
Im Gespräch Daniela Löffner will in ihren Inszenierungen eine unverkopfte Körperlichkeit zeigen. Ein Gespräch über Zärtlichkeit auf der Bühne, das Aufbrechen von herkömmlichen Genderrollen und was „Intimitätscoaching“ eigentlich bedeutet
Zwei Frauen wohnen, ach, in diesem Pulli: „Sylvia und Sybille“ am Staatsschauspiel Dresden
Foto: Sebastian Hoppe
Körperliches Begehren ist auf der Bühne zu wenig zu sehen, meint Daniela Löffner, Hausregisseurin am Staatsschauspiel Dresden. Ihre Inszenierungen haben zuletzt wegen expliziter Nacktszenen für Aufsehen gesorgt. Frank Wedekinds klassisches Drama um den Missbrauch einer Frau, Lulu, hat sie gerade ausschließlich mit männlichen Darstellern besetzt.
der Freitag: Frau Löffner, beginnen wir mit Ihrer Inszenierung von „Einsame Menschen“ 2021 am Deutschen Theater in Berlin. Dort hat die halbstündige Liebesszene zwischen zwei Männern vor allem bei den männlichen Kritikern starke Abwehrreaktionen hervorgerufen. Es war abfällig von „softpornografischen“ Elementen und einer „Reduzierung“ der Geschichte auf eine &
tschen Theater in Berlin. Dort hat die halbstündige Liebesszene zwischen zwei Männern vor allem bei den männlichen Kritikern starke Abwehrreaktionen hervorgerufen. Es war abfällig von „softpornografischen“ Elementen und einer „Reduzierung“ der Geschichte auf eine „homosexuelle Beziehung“ die Rede …Daniela Löffner: Ja, ich erinnere mich.Wie kam es denn zu der Entscheidung, aus Anna Mahr, in die sich die Hauptfigur im Stück verliebt, eine männliche Figur zu machen?Einsame Menschen ist eine klassische Eifersuchtsgeschichte, die die Frage impliziert, welche Frau interessanter ist. Die „Mutter und Ehefrau“ oder die „freie Studentin“, mit der sich der Mann intellektuell austauscht? Uninteressant. Viel spannender war der Gedanke, was passiert, wenn wir Anna Mahr zu Arno machen und die Hauptfigur Johannes Vockerath sich darüber klar wird, dass eigentlich sein ganzes Leben lang eine unerfüllte homoerotische Sehnsucht in ihm lebt, die plötzlich Raum fordert. Welche Fragen stellt sich die Ehefrau, wenn sie merkt, dass ihr Mann nach einem Glück sucht, dass sie ihm gar nicht bieten kann, aber eben nicht, weil sie eine „schlechtere Frau“ ist: Wie tolerant bin ich? Will ich jemanden, den ich liebe, darin unterstützen, auch wenn ich mich damit aus dem Spiel rausnehme? Das sind für mich tiefergehende Fragen, ganz unabhängig von der Tatsache, dass ich Homosexualität im Theater für unterrepräsentiert halte.Das beweisen schon die erwähnten Kritiken: nicht-heteronormatives Begehren auf der Bühne bildet die Ausnahme.Ja, die Unterrepräsentation von queerer Sexualität und Partnerschaft auf der Bühne ist etwas, was mich schon lange extrem stört. Queere Menschen müssen den heterosexuellen Beziehungen im Theater zugucken und dabei immer für sich „umrechnen“. Das bedeutet, dass ein heterosexueller Mensch im Theater immer das geliefert bekommt, was er oder sie sowieso selbst lebt, aber trotzdem meint, der eigene Horizont würde erweitert. Das findet aber in der Hinsicht gar nicht statt.Daher die Entscheidung für diese sehr explizite Liebesszene?Laut Stück gibt es einen angedeuteten Kuss. Die Figuren in Einsame Menschen reden pausenlos, aber man braucht ja nicht so zu tun, als bestünde das Leben nur aus Diskussionen. Deshalb gibt es diese Zäsur, in der man dreißig Minuten körperliche Begierde, aber auch einen zärtlichen Austausch sieht und merkt, was für eine starke Kraft in den Figuren wohnt. Und die ist durch einen Kuss eben nicht erzählt. Wie genau die Leidenschaft zwischen zwei Menschen aussieht, das überspringt man so leicht. Mein Wunsch war, dass man im Zuschauerraum erlebt, dass zwischen beiden eine ernst zu nehmende Liebe existiert, die sich auch körperlich Bahn brechen muss.Ich habe den Eindruck, in der Gesellschaft wird Sexualität und nicht-normatives Begehren scheinbar mit Offenheit diskutiert – trotzdem werden unterschiedlichste Formen von Liebe und Begehren im Theater wenig thematisiert. Woran liegt das?Ich glaube, dass man sich sehr schwertut, ins Erleben zu kommen. Was wenig stattfindet, sind Körper, die miteinander auf einer Bühne „sein“ dürfen, ohne den Schutz des intellektuellen Kommentars, ohne zynische Absicherung oder ironische Distanz. Ich will keine Vorlesung, ich will raus aus dem Kopf. Körper sehen, fühlen, ernst nehmen. In meiner aktuellen Inszenierung von Frank Wedekinds Lulu in Dresden, in der alle Rollen mit Männern besetzt sind, versuchen wir viele Variationen der körperlichen Begegnung fassbar zu machen: Kampf, kindliche Körpererkundung, Tanz, Zärtlichkeit, Erotik, leidenschaftlichen Sex, familiäre Berührung, aber auch körperliche Gewalt. Mich interessiert der Tabubruch, der sagt: Lasst uns empfinden, worüber wir sonst nur reden. Körper agieren zu lassen, kann sehr befreiend und komplex sein. Sie lügen einfach nicht und dann liegt die Wahrheit irgendwann im Raum, ohne dass ein Text gesagt wurde. Es wurde im besten Sinne erspielt. Das möchte ich betonen: Es ist alles gespielt. Da hat keiner einen erigierten Penis. Deshalb werde ich auch sauer, wenn in Kritiken von „Softpornografie“ die Rede ist, als hätte ich das Ziel, beim Zuschauer sexuelle Lust zu erregen.Sicherlich spielt bei körperlichen Szenen auf der Bühne auch die Angst mit rein, missbräuchliche Situationen zu reproduzieren. Dazu werden an Theatern immer häufiger sogenannte „Intimitätskoordinator*innen“ eingesetzt. Nehmen Sie das in Anspruch?Ich bin vermutlich meine eigene Intimitätskoordinatorin, weil ich es sehr wichtig finde und ernst nehme, wie die Spieler:innen zu sich finden können in solchen Szenen. Mein Ziel ist immer, dass alle Beteiligten sagen: wir stehen zu hundert Prozent dahinter. In so einem Schutzraum ist dann auch fast alles möglich. Für die Erarbeitung braucht es viel Zeit und Vertrauen. Bei Einsame Menschen nahm das fast ein Drittel der Probenzeit ein.Wie bauen Sie diesen Schutzraum auf? Was passiert konkret bei den Proben?Es gibt Regeln: Gut kommunizieren, was gesucht ist. Improvisationen im richtigen Moment abbrechen, besprechen, Fragen stellen, weitersuchen. Immer wieder fragen: Was haben wir bisher für Erfahrungen gemacht? Was genau würden wir gerne erzählen? Dann neue Improvisationen, die einen klaren Rahmen haben und den nächsten Schritt suchen. Danach wieder: Wünsche, Probleme, Fragen. Es besprechen und sacken lassen. Am nächsten Tag fragen: Fühlt es sich immer noch gut an? Das sind Prozesse, die sind sensibel und tagesformabhängig. Das Ergebnis muss sich aber unabhängig von der Tagesform gut anfühlen.„Lulu“ ist eine vom Mann entworfene, fast schon archetypische Frauenfigur, anhand derer Wedekind Missbrauch erzählt, von der Kindheit bis hin zu ihrer Ermordung durch Jack the Ripper. Mich hat beeindruckt, dass die Entscheidung, Lulu mit einem oft nackten Mann zu besetzen, bei mir als Zuschauerin zu einer großen Entspannung geführt hat: ich musste mir den Missbrauch einer Frau nicht ansehen, die Gewalt wurde nicht reproduziert.Es ist fast von Brecht’scher Distanz, sich als Frau unsere Lulu anzusehen. Bei dieser Arbeit folgte ich dem Gedanken, wie es wäre, wenn ich Männern die Chance gebe, zu reflektieren, wie sie mit Frauen umgehen. Und das auch in der schlimmsten Form zu suchen, wie sie dann mit der Figur von Jack the Ripper auftaucht. Ihnen die Chance zu geben, sich damit auseinanderzusetzen. Wichtig ist mir bei Lulu, zu betonen, dass sie trotz des Missbrauchs keine Opferrolle hat. Meine These ist, dass sie für Männer eigentlich zu stark ist, gerade weil sie im körperlichen Erleben maximale Freiheit empfindet. Davon fühlen sich die Männer bedroht und wenden sich gegen sie.In Ihrer ebenfalls aktuellen Inszenierung von „Sylvia und Sybille“ geht es um eine lesbische Beziehung. Es gibt eine Liebesszene, in der die beiden Frauen nicht nackt sind, nur ihre Oberkörper.Es war für mich immer klar, dass nicht mehr passieren wird. Das hat natürlich was mit dem male gaze zu tun. An nackten Frauen mangelt es in der Kunst nicht. Trotzdem entblößen sich beide Spielerinnen teilweise: Weil wir erzählen wollten, dass es schön ist, wenn die eigenen Brüste zum ersten Mal ein zweites Paar Brüste berühren. Und dann der Gedanke: Ich liebe eine Frau. Warum habe ich das nicht schon viel früher gemacht?Die Szene hat mich sehr bewegt und ich sah einige Frauen im Publikum, die hier geweint haben. Es war unglaublich, was diese Zärtlichkeit auf der Bühne im Zuschauerraum ausgelöst hat. Es war auch ein Bild weiblicher Solidarität für mich.Ich habe eine Zuschrift von einer Frau bekommen, die mir schrieb, dass sie bei der Aufführung gemerkt hat, was für eine große Sehnsucht sie nach dieser Form von Liebe hat und dass sie sich das jetzt trauen will. Das ist ein Beispiel für einen Ermächtigungsmoment: Wenn das auf dieser bürgerli-chen Bühne stattfindet, dann darf ich das auch fühlen. Das darf man echt nicht unterschätzen, wie wenig Gelegenheit man dafür bekommt im Theater. Es ist toll, dass Frauen an dieser Stelle weinen.Placeholder infobox-1
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