Auch wenn sich das Theater (vor allem in den großen Städten) mittlerweile wieder ziemlich gut vom lange beklagten Publikumsschwund erholt hat und viele Zuschauer:innen ihre Gewohnheiten von vor der Pandemie doch wieder aufgenommen zu haben scheinen, sitzt der Schock bei Theaterschaffenden immer noch tief: Sie (die Zuschauer) haben uns (das Theater) nicht vermisst.
Dazu kommt: Die finanzielle Lage der Kommunen ist vielerorts angespannt und die Theater geraten noch stärker als bisher unter Relevanzdruck. Erste Abbauszenarien kursieren bereits: So soll in Lüneburg die Oper abgeschafft werden. Alarmglocken schrillten jüngst auch in Konstanz, dort wurde der Kahlschlag vorerst abgewendet. Aber solche Fälle werden häufiger werden.
Glücklich das Theater, das s
werden. Alarmglocken schrillten jüngst auch in Konstanz, dort wurde der Kahlschlag vorerst abgewendet. Aber solche Fälle werden häufiger werden.Glücklich das Theater, das sich auch in schwierigen Zeiten auf sein Publikum verlassen kann. Denn eine interessierte Öffentlichkeit ist immer noch das beste Argument für die Institution Theater. Ein Theatermärchen mit Happy End kommt aus Eisenach, wo der Freundeskreis des Theaters vor elf Jahren die Kulturpolitik mit hartnäckigen Protestaktionen wie tagelangem ausdauernden Protestgesang und dem Stricken eines Schals, der dreimal ums Theater gelegt werden konnte, dazu bewegte, das Theater nicht dichtzumachen. Mittlerweile werden dort sogar wieder neue Stellen besetzt.Zürich zeigt: Der Umbau kann auch nach hinten losgehenDamit so ein Märchen möglich wird, muss das Publikum sich mit seinem Theater identifizieren. Das landläufigste Identifikations-Rezept hieß lange Zeit Abonnement. Den Zuschauer:innen wird die Entscheidung abgenommen, für welche Inszenierungen sie sich Karten kaufen – den Theaterintendanten verschafften Abos die Gewissheit einer bestimmten Grundauslastung und damit bessere Planbarkeit. Dass das Abomodell vielerorts nicht mehr funktioniert, liegt bestimmt nicht nur an der pandemischen Unterbrechung, sondern an einer generellen Änderung gesellschaftlicher Gewohnheiten: Ein Abo schließt man nur noch ab, wenn man es jederzeit online kündigen kann.Viele Theater intensivieren deshalb nun ihre Bemühungen, jenseits der bisherigen Stammbesucher:innen ein neues Publikum zu akquirieren. Auch wenn dieses eigentliche Motiv als plötzlich erwachtes Interesse an der diversen Stadtgesellschaft und dem jugendlichen Nachwuchspublikum verbrämt wird, kann es ja vielleicht zu einer guten selbst erfüllenden Prophezeiung werden, sodass zum Beispiel verstärkt aufs junge Theater gesetzt wird.Der Publikumsumbau kann aber auch nach hinten losgehen und dem Theater ein Grundproblem seiner Zuschauer:innen-Demografie verdeutlichen. Am Schauspielhaus Zürich wurde eine ganze Abteilung für Audience Development eingerichtet, die erfolgreich arbeitete und damit gleichzeitig am Stuhl des Intendantenteams sägte. Denn einerseits hat sich das Publikum in Zürich stark verjüngt – und andererseits hat es sich auch verkleinert, weil viele Stammzuschauer:innen sich vom neuen Profil des Schauspielhauses nicht mehr angesprochen fühlten.Das beste Rezept fürs Theater: Gute KunstLetzteres gab den Ausschlag – den Intendanten wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Denn wie auch im gesamtgesellschaftlichen Bild liegt die Macht bei den Älteren. Allerdings sind die Jungen von heute die Älteren von morgen, und wenn das Theater sie jetzt verliert, schafft es sich selbst ab. Wie navigiert man diesen Grundkonflikt?Mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen ist gar nicht so einfach, denn es hat das Privileg des im Dunkeln-Sitzens und will oft gar nicht ins Licht gezerrt werden. Aus meinen Gesprächen mit Zuschauer:innen für meinen Video-Essay Publikumsgespräch ging vor anderthalb Jahren als sehr klares Fazit hervor: Das beste Rezept für die Identifikation eines Publikums mit seinem Theater ist immer noch gute Kunst. Doch auch die entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern vor und mit einem Publikum, das je nach Theater, je nach Stadt, Bundesland, Land seine spezifischen Eigenschaften und Erwartungen hat. Die muss man nicht immer bedienen, man kann sie auch mal unterlaufen, aber sie total zu ignorieren ist sicher nicht das richtige Rezept.Einfach die Bar früher öffnenMit dem Publikum ins Gespräch zu kommen kann aber auch einfacher sein als gedacht: Wenn man informelle Ebenen einzieht, die Kontakt zu und zwischen den Zuschauer:innen ermöglichen. Eine charmante Initiative dieser Art kommt vom Staatstheater Mainz, das neuerdings zu einem geringen Aufpreis aufs Theaterticket eine Wein-Flatrate in der Theaterbar anbietet und die Bar auch schon vor Vorstellungsbeginn öffnet. Angetrunkene Zuschauer:innen klatschen lauter? Mag sein, aber gleichzeitig präsentiert sich das Theater hier als Ort, der nicht nur zu stillem Kunstgenuss einlädt, sondern auch zu Begegnung und Spaß.Die Wichtigkeit von Stadttheatern als Orte demokratischen Austauschs wird meistens von den Theatern selbst beschworen, und das hat dann immer einen etwas verzweifelten Unterton. Tatsächlich kann dieser Anspruch nur glaubwürdig sein, wenn er vom Publikum selbst kommt, also aus der Gesellschaft, für die die Theater etwas bedeuten wollen. So wie in Eisenach – oder in Biel, wo die Bewohner:innen der Stadt vergangene Woche gegen eine Anti-Theater-Kampagne der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei mit großer Mehrheit für die Weiterfinanzierung ihres Theaters durch die Stadt stimmten.Placeholder authorbio-1