Scho gemma wieda

Serien Thomas Abeltshauser freut sich am Wiener Schmäh des Anti-Biopics „Freud“. Spoiler-Anteil: 7%
Ausgabe 12/2020

Vom Sänger einer bekannten, aus Hamburg nach Wien gereisten Neunzigerjahreboyband gibt es die hübsche, womöglich wahrheitsgetreue Anekdote überliefert: In einem Wiener Kaffeehaus habe er mal ein ortsunübliches Kaffeemischgetränk bestellen wollen, woraufhin ihn der strenge Ober mit einem lässig langgezogenen „Und scho gemma wieda!“ hinauskomplementiert habe. Gleich in der ersten Episode der neuen Serie Freud (ab 23. März auf Netflix) spielt sich eine ganz ähnliche Szene ab, als die Wiener Polizei Augenzeugen eines Verbrechens sucht und sich ein dahergelaufener Wichtigmacher meldet, der die ausgeschriebene Belohnung durch komplett erfundene Hinweise abstauben will. Da platzt dem Beamten irgendwann der Kragen und er empfiehlt dem Mann in ebendiesem hinreißenden Wiener Schmäh, schleunigst das Weite zu suchen. Wie der von Marvin Kren (4 Blocks, Rammbock) konzipierte Achtteiler eh immer dann am schönsten ist, wenn seine Figuren mal wunderbar untergriffig, mal herrlich derb in teils derart spezifischen Dialekt verfallen, dass dem gewöhnlichen Piefke zum Verständnis dringend die deutschen Untertitel angeraten sind.

In nach Fachtermini benannten Kapiteln (von „Hysterie“ bis „Trauma“) schickt die Serie Psycho-Übervater Sigmund Freud als Hypnoseexperten im Wien der 1880er Jahre auf Verbrecherjagd und eine ganze Gesellschaft auf die Therapiecouch. Der fiktionalisierte Freud, der hier (von Robert Finster dargestellt) zu sehen ist, steht am Anfang seiner Karriere, noch wird sein Ansatz verlacht, er ringt um Anerkennung. Kren und seine Co-Autoren stellen ihn uns als koksenden Neurotiker vor, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und bisweilen zu Tricksereien neigt, um seine Ambitionen durchzusetzen. Auf sehr schillernde Art bezeichnend ist bereits der Anfang, als Freud eine ältere Frau in Hypnose versetzt. Wie in Trance erinnert sie sich an den Verlust ihres Kindes, der sie so traumatisiert hat, dass sie seitdem kein Wort mehr gesprochen hat. Freud bringt sie schließlich dazu, nach ihrem Kind zu rufen. Und lobt sie anschließend: „Schon sehr glaubwürdig.“ Aber ob sie nicht noch ein bisschen weinen könne am Ende? Denn das Ganze entpuppt sich nur als inszeniertes Probespektakel für die Präsentation seiner neuen Methode vor der Ärzteschaft. Und die steht dem jüdischen Außenseiter und seinem unkonventionellen Ansatz misstrauisch bis feindselig gegenüber.

Die gemeinsam von Netflix und dem ORF produzierte Serie ist ein gewagter Genremix aus: Mysteryserie mit paranormalen Projektionen, Historienepos mit politischen Anspielungen, Anti-Biopic mit einem imaginierten Protagonisten und Profiler-Thriller über eine Verschwörung bis in die höchsten Ränge der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Personal ist entsprechend eklektisch: Da gibt es die düstere ungarische Gräfin mit übersinnlichen Fähigkeiten (Anja Kling), da erscheint eine junge Dame mit dem blumigen Namen Fleur Salomé (Ella Rumpf), die als Medium blutige Visionen mit nackten Bestien (das personifizierte Es?) hat, die sich als nur allzu wahr herausstellen, es gibt einen vom Krieg traumatisierten Polizeiinspektor (der immer brillante Georg Friedrich hier einmal ungewöhnlich zurückgenommen), der sich nur zögerlich mit Freuds Ermittlungsfreude und Profilertalenten anfreunden kann, und sogar Kaiser Franz Joseph (Johannes Krisch)höchstpersönlich. Hinzu kommen ein paar saftige Nebenfiguren aus Wiens Unterschicht, die das Geschehen schon mal mit einem schaurig-schönen Lied im Heurigen kommentieren – gleichsam ein angesoffener griechischer Einpersonenchor.

Das ist nicht immer ganz stimmig und auch mal holprig inszeniert und von manchem Darsteller etwas steif gespielt. Doch der Mehrteiler lohnt dank zahlloser Wendungen und Einfälle bis zuletzt nicht nur wegen des dreckig-düsteren Lokalkolorits, das erstaunlich authentisch in Prag gedreht wurde. Es ist vor allem auch eine krud-kluge Reflexion auf den reaktionären Untertanengeist und Antisemitismus, der bereits damals in Österreich herrschte. Freud ist so am Ende auch die tiefenpsychologische Auseinandersetzung mit dem kollektiven Unbewussten unserer Gesellschaft. Und vielleicht ist der wilde Psychoritt durch das düstere Wien vor 140 Jahren jetzt die richtige Binge-Therapie, um durch die Quarantäne zu kommen? Die Kapiteltitel laden geradezu ein, sich auf die Couch zu legen: Regression. Katharsis. Verdrängung.

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Geschrieben von

Thomas Abeltshauser

Freier Autor und Filmjournalist

Thomas Abeltshauser

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