Als die 25-jährige Whistleblowerin Reality Leigh Winner (Sydney Sweeney) 2017 vom FBI verhört und gefragt wird, warum sie geheime Unterlagen über die Einmischung des russischen Militärgeheimdienstes in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf an die Medien weitergegeben habe, antwortet sie aufgewühlt: „Wieso sollte das nicht öffentlich werden?“ Die Information wäre doch eh nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Ähnlich argumentierten auch einige Kritiker der mit fünf Jahren außergewöhnlich hohen Haftstrafe, zu der die junge Linguistin für den Geheimnisverrat später verurteilt wurde.
Die nachvollziehbare Empörung Winners, die auch gut die dramaturgische Überspitzung in einem Drehbuch s
Drehbuch sein könnte, stammt aus dem wortgetreuen, vom FBI mit einem kleinen Rekorder mitgeschnittenen Verhör, das im Wohnhaus von Winner in Augusta, Georgia, stattfand. Aus diesen Protokollen machte die Theaterregisseurin Tina Satter 2019 ihr Off-Broadway-Stück Is This A Room: Reality Winner Verbatim Transcription, das sie nun in eigener Regie verfilmt hat. Seine Weltpremiere feierte Reality, der nun in die Kinos kommt, vergangenes Jahr auf der Berlinale.Der knapp 90-minütige Film ist ein kammerspielartiges Drama, das eigentlich keinerlei Action bietet, aber unter die Haut geht und vor allem davon lebt, dass den Zuschauern stets klar ist: Es ist der genaue Wortlaut des ersten Verhörs einer der bekanntesten Whistleblowerinnen der vergangenen Jahre. So entsteht bei diesem Doku-True-Crime-Fiction-Format fast der Eindruck, man wäre live dabei.Zuerst kommt Reality Winner vom Einkaufen nach Hause, zwei Männer stehen auf dem Rasen vor ihrem kleinen Einfamilienhaus, sprechen sie an und weisen sich aus. Die auf Paschtu und Farsi spezialisierte Linguistin mit einer Anstellung beim Unternehmen Pluribus International Corporation, einem Dienstleister der NSA, reagiert freundlich und gelassen. Auch die FBI-Beamten Agent Garrick (Josh Hamilton) und Agent Taylor (Marchánt Davis) sind ausnehmend höflich. Eine ganze Zeit lang wird im Plauderton über den Hund gefachsimpelt, den Winner aus dem Haus holt und draußen anleint. Schließlich kommen mehr Beamte, die bald das ganze Haus auf den Kopf stellen, während Reality Winner mit Agent Garrick draußen weiter Small Talk betreibt. Agent Garrick kommt wie ein netter, durchschnittlicher, liberaler und verständnisvoller amerikanischer Familienvater rüber.Ist das das echte FBI?So agiert das FBI? Und das in einem später medial derart gehypten Fall?, fragt man sich beim Zusehen die ganze Zeit ungläubig, bis die Agents mit Winner ins Haus gehen und anfangen, sie im Hinterzimmer zu verhören. Auch da bleiben die beiden FBI-Männer und die Beschuldigte erst fast übertrieben höflich. Aber im Lauf der nächsten 20 Minuten, in denen Winner langsam klar wird, wie einschneidend dieser Vorgang für ihr weiteres Leben sein wird – dass sie verhaftet werden wird, ihre Karriere vorbei ist –, kippt die Stimmung.Diese sich langsam aufbauende und immer dramatischer werdende Spannung lässt sich fast mit Händen greifen. Die beiden Agenten wissen längst alles und lassen Reality Winner kalt auflaufen, ohne dabei höhnisch zu werden. Sie wollen wissen, warum sie das getan hat. Sie sei doch gar nicht der Typ dafür, sagen sie immer wieder. Womit sie vielleicht sogar recht haben. Winner betont immer wieder, dass sie ihre Geheimhaltungsstufe verlängern und sich perspektivisch für einen Auslandseinsatz bewerben wolle. Ihre Karriere ist ihr wichtig.Gleichzeitig erklärt sie, wie hoffnungslos sie sich bei ihrer Arbeit fühle. Wie unerträglich sie es finde, dass im Büro andauernd der Trump-freundliche Sender Fox laufe. In späteren Verhören ließ sie sich sogar zu der Aussage „Ich hasse Amerika!“ hinreißen, was die Ermittler in einem Epilog des Films genüsslich der Presse auftischen. Die ehemalige Air-Force-Offizierin, die mehrere Waffen, darunter ein pinkfarbenes automatisches Sturmgewehr, zu Hause hatte, regelmäßig Yoga macht und begeisterte Gewichtheberin ist, hatte sich auf Facebook und Twitter mehrfach kritisch über Donald Trump geäußert.Später stellt sich heraus, dass die Informations-Plattform The Intercept, der Winner die Geheimakte in Form einiger ausgedruckter Blätter Papier postalisch zugespielt hatte, noch vor der Veröffentlichung einen PDF-Scan zur Bestätigung an die NSA geschickt hatte, was wahrscheinlich dafür sorgte, dass Reality Winner noch vor der Publikation aufflog. The Intercept war schon von anderen Whistleblowern eine wenig informantenfreundliche Praxis angekreidet worden. Reality Winner sieht sich als Bauernopfer und mutmaßt, dass die Tragik ihrer Verurteilung die ganze Geschichte für The Intercept erst so richtig interessant gemacht hat. Mittlerweile ist die heute 32-Jährige auf Kaution frei und lebt mit Fußfessel im Haus ihrer Mutter. Ihre Möglichkeit, öffentlich oder medial in Erscheinung zu treten, ist extrem eingeschränkt.Reality ist indes nicht die einzige Adaption des Stoffs. Neben zwei Dokumentarfilmen über Reality Winner – der Name ist übrigens ein bewusstes Wortspiel ihres Vaters Ronald Winner – wurde erst vor zwei Wochen beim Sundance-Filmfestival der Spielfilm Winner mit Schauspielerin Emilia Jones in der Titelrolle uraufgeführt. Die Geschichte dieser Frau wird die Öffentlichkeit gerade im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen weiter beschäftigen.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1