Mensch, Android

Literatur Sozialer Realismus fantastisch erzählt, so klingen die „Mars“-Geschichten der Kroatin Asja Bakić
Ausgabe 16/2021
Sanddünen und Eis auf der Marsoberfläche
Sanddünen und Eis auf der Marsoberfläche

Foto: ZUMA Wire/IMAGO

Der Mars fasziniert gerade wieder viele Menschen durch die Missionen der NASA, der Vereinigten Arabischen Emirate und Chinas. Das könnte der bosnischen Schriftstellerin Asja Bakić und ihrem Erzählband Mars, der im Original schon 2015 herauskam, hierzulande mehr Aufmerksamkeit sichern. Wobei es in ihren Erzählungen keineswegs ausschließlich um den roten Planeten geht, aber die titelgebende Geschichte handelt von einer Schriftsteller-Kolonie auf dem Mars. Dorthin wurden alle irdischen Autor:innen mitsamt ihren literarischen Arbeiten verbannt, wo sie jetzt als frustrierte Künstler hausen, bis einer der exilierten Schriftsteller ein Geheimnis enthüllt, das die Existenz der Erde in Frage stellen könnte.

Asja Bakić entwirft in ihren genau erzählten Geschichten kleine Paralleluniversen, die unter die Haut gehen. Da hat eine Frau anscheinend ihr Gedächtnis verloren und wird von ihrem misstrauischen Ehemann zu Hause eingesperrt. Sie durchsucht in seiner Abwesenheit die Wohnung, realisiert schließlich, dass sie gar kein Mensch, sondern ein Android ist. In einer anderen Erzählung geht es um eine Frau, die gerade verstorben ist und auf zwei Sekretärinnen trifft, die in einer Art Behörde arbeiten, die den Übergang der Seelen nach dem Tod koordiniert. Aber um in „Phase zwei“ ihres Sterbeprozesses zu kommen, so erklärt man ihr, müsse sie erst einen Text schreiben. „Wir brauchen das Feuer des geschriebenen Wortes, um einen winzigen Riss an der Oberfläche der Wirklichkeit entstehen zu lassen, um so in sie eintreten zu können“, sagen die Sekretärinnen und geben dabei fast das Motto für diesen Erzählband vor, in dem die Autorin mit ihrem eigenwilligen Erzählkonzept in der Tat Risse in die Wirklichkeit brennt.

Mars ist Asja Bakićs erster Erzählband. Die 1982 in Tuzla geborene Autorin trat bisher vor allem als Lyrikerin in Erscheinung, sie arbeitet außerdem als Übersetzerin für Lyrik und Philosophie. Unter anderem hat sie schon Emily Dickinson und Jaques Ranciere ins Kroatische übertragen. Bakić verfügt über eine beachtliche Fähigkeit, in ihrer knappen Prosa mit ganz wenigen Strichen diese geheimnisvollen Welten entstehen zu lassen. Wobei die Welten nicht detailliert beschrieben werden, sondern eher im Hintergrund der Handlung mitschwingen. Das liest sich ein wenig wie eine Mischung aus Stephen King und Grace Paley (1922 – 2007), US-amerikanische Autorin und Kind jüdisch-russischer Einwanderer, die in ihren preisgekrönten Erzählungen mit ähnlich viel Gespür für den menschlichen Alltag Hoffnungen und Ängste auslotete. Und überall lauern abgründige Schrecken. Beim Lesen läuft es einem dabei das eine oder andere Mal kalt den Rücken hinunter. Dabei sind die Erzählungen trotz aller Fantastik fast im Stil eines sozialen Realismus gehalten, in dem es neben dem Thema Geschlecht auch immer wieder um Flucht und Vertreibung geht.

Die Flucht geht nach Afrika

Vor allem die Erzählung Die Reise nach Westen hat es in sich. Eine Familie mit zwei Kindern lebt ohne Wasser, Essen und Heizung in einem zerstörten Haus. Die Kinder spielen, dass sie etwas zu essen haben. Im Wohnzimmer verbrennen der frühere Chemiker und die Literaturprofessorin ihre Bücher, um ein wenig Wärme zu erzeugen. Irgendwann verlässt die Familie die Ruinen ihrer Stadt und macht sich auf den Weg übers Meer, um vor der Armut und dem drohenden Tod zu fliehen – und zwar nach Afrika. Der Senegal ist der Wohlstand verheißende Sehnsuchtsort für sie und eine ganze Gruppe Flüchtender, die mit einem klapprigen Bus über Land fahren und hinterher in einem kaputten Nachen übers Mittelmeer schippern.

Asja Bakić schreibt über Menschen in Ausnahmesituationen, die sich unter beängstigenden Umständen zurechtfinden müssen und dabei aber immer bereit sind, zu kämpfen. Deshalb steckt in all diesen eigentlich dystopischen Texten nicht nur jede Menge Empowerment und Inspiration, sie zeigen auch, welche emanzipatorischen Möglichkeiten die fantastische Literatur hat, wenn sie der Realität zu Leibe rückt.

Info

Mars Asja Bakić Alida Bremer (Übers.), Verbrecher Verlag 2021, 160 S., 20 €

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