Ecuador: Rosenzucht für den Weltmarkt schafft mehr Arbeitsplätze als Bananen oder Palmöl
Agrarexporte Neben der Konkurrenz aus den Niederlanden, Kenia und Äthiopien haben sich die Blumenproduzenten mit ihren Plantagen am Vulkan Cayambe in Ecuador etabliert. Doch schädigt das Versprühen von Pestiziden die Umwelt
So soll es sein, so ist es aber oft nicht: Arbeiterin in Schutzausrüstung vor dem Ausbringen von Pestiziden, nahe des Cayambe
Foto: Misha Vallejo/Bloomberg/Getty Images
Es klingt im ersten Augenblick überraschend – Rosen aus den Anden. Wegen vorteilhafter klimatischer Bedingungen ist das ökologisch nicht verrückter als Rosen aus einem Gewächshaus in den Niederlanden. Ecuador rangiert auf dem Weltmarkt als drittgrößter Produzent. Eine Industrie, die viele Arbeitsplätze schafft, besonders für Frauen, aber wegen des hohen Pestizideinsatzes mit Risiken für die Gesundheit verbunden ist.
Man verlässt die Hauptstadt Quito in nördlicher Richtung auf der Panamericana. Nicht ohne Grund liegt der neue Flughafen ganz in der Nähe. Rosen sind leicht verderblich und werden per Flugzeug nach Europa oder in die USA transportiert. Nach weniger als einer Stunde unterwegs öffnet sich ein grandioser Blick a
egs öffnet sich ein grandioser Blick auf ein riesiges Andental. Bei klarem Wetter kann man den Cayambe sehen, mit 5.790 Metern einer der höchsten Vulkane Ecuadors. An den Hängen liegen kleine Gewächshäuser der indigenen Bauern, im Tal riesige Gärtnereien, zumeist ehemalige Haciendas aus der Kolonialzeit. Die reichen Landbesitzer haben von Viehzucht und Milchproduktion auf Exportblumen umgestellt, lange ein sehr lukratives Geschäft – auch heute noch, trotz der Wettbewerber aus afrikanischen Ländern, ein lohnendes Unterfangen.Konkurrent NiederlandeValentins- oder Muttertag, das verheißt Hochdruck. „Oft müssen die Beschäftigten dann zehn oder mehr Stunden arbeiten. Leider wird die Mehrarbeitszeit nicht immer bezahlt, wie es das Gesetz vorschreibt“, meint Lorena Calagullin, die für ein kleines Rechtsanwaltskollektiv in der Stadt Cayambe arbeitet, das sich darauf spezialisiert hat, den Blumenzüchtern beizustehen. „Frauen bilden die Mehrheit der Beschäftigten. Für sie ist es mehr als problematisch, dass Überstunden oft kurzfristig angeordnet werden. In unserer Kultur ist es nach wie vor so, dass Frauen ganz überwiegend für den Haushalt zuständig sind.“ Ein bezeichnender Widerspruch also, dass an Frauen in Europa verschenkte Rosen aus schwierigen Arbeitsbedingungen für Frauen in Südamerika stammen.Ecuador ist bekannt für seine großblütigen und langstieligen Blumen, die nicht wohlfeil in europäischen Supermärkten – dieses Angebot kommt aus Äthiopien oder Kenia – verkauft werden, sondern als hochpreisiges Produkt in Floristik-Läden. Die ecuadorianischen Rosen wachsen auf Höhen bis zu 3.000 Metern direkt am Äquator bei hoher Lichtintensität und ganzjährig gleichen Temperaturen. Diese klimatischen Umstände lassen die Rosenproduktion in Ecuador von ihrer Ökobilanz her nicht schlechter dastehen als die Blumenzucht in beheizten und beleuchteten Gewächshäusern der Niederlande, dem Weltmarktführer. Für Ecuador schafft diese Branche pro Hektar deutlich mehr Arbeitsplätze als Exporterzeugnisse wie Bananen, Palmöl oder Krabben. Auf den nur etwa 7.000 Hektar Blumenplantagen finden 80.000 Menschen Arbeit. Für junge Frauen auf dem Land ergibt sich daraus einer der wenigen Zugänge zum formalen Arbeitsmarkt. Dabei liegt der Monatslohn von im Schnitt 460 Dollar unter der Armutsgrenze.Problematisch bleiben freilich zwei Konstanten in der 40-jährigen Geschichte dieser Blumenindustrie: die Missachtung von gewerkschaftlicher Freiheit und der massive Einsatz von Pestiziden. In den 1990er-Jahren gab es noch ein Dutzend Arbeitnehmervertretungen, heute ist eine einzige Organisation geblieben. „Wir stehen unter Druck, die Firma ist sehr bemüht, dass wir nicht die Mehrheit der Arbeiter erreichen, damit wir keinen Tarifvertrag abschließen können“, so José Guatemal, Generalsekretär der Betriebsgewerkschaft von Pontetresa. „Das Management hat eine Vereinigung gegründet, die sich nur um Feste oder Ausflüge kümmern darf. Wer neu eingestellt wird, sieht sich quasi gezwungen, dort Mitglied zu werden, und kann nicht gleichzeitig unserer Gewerkschaft beitreten.“Die Gefahr durch Pestizide für die GesundheitDie Rosen vom Cayambe dürfen keinen Makel haben. Deswegen werden sie regelmäßig mit einem toxischen Pestizid-Mix besprüht. „Von wenigen Ausnahmen bei einigen Unternehmen abgesehen, fehlen oft Schutzmaßnahmen und Ausrüstungen, wenn die Chemikalien in den Gewächshäusern verwendet werden. Die vorgeschriebene Frist bis zum Wiederbetreten nach dem Gebrauch wird nur selten eingehalten“, sagt der bekannte Sozialmediziner Jaime Breilh, langjähriger Rektor der Anden-Universität Simon Bolívar in Quito. „Die Folgen sehen wir nicht nur bei den Gefahren für die menschliche Gesundheit, sondern ebenso bei den sensiblen Ökosystemen in der Andenregion.“Hatte sich die indigene Bewegung über Jahrzehnte gegen die Nähe der Blumenindustrie zu ihren Siedlungen gewandt, zieht diese nun im Kleinformat direkt in die Dörfer ein. Stolz führt mich Rosita Cualchi durch das Gewächshaus im Vorgarten ihres Hauses, errichtet mit der Abfindung nach einem Vierteljahrhundert Arbeit in einem großen Blumenbetrieb. „Ich verdiene so viel wie früher, aber bin flexibler, arbeite morgens wie nachmittags einige Stunden und kann mich zwischendurch um die Enkel kümmern.“ Nein, ihre drei Töchter würden nicht mit im Gewächshaus arbeiten, winkt sie entsetzt ab. Das Risiko der versprühten Pestizide sei enorm. Ihr Mann übernehme das, setze aber ungern eine Maske auf. Mehrere hundert Kleinunternehmen dieser Art – manche sprechen gar von Tausenden – sind in den zurückliegenden Jahren in den Gemeinden um den Cayambe entstanden, zumeist nur ein- oder zweitausend Quadratmeter groß.Die Rosen an Mittelsmänner zu verkaufen, ist lohnenswerter als der Anbau von Nahrungsmitteln, zumindest solange die Kleinstproduzenten keine Lizenzgebühren für die patentierten Rosensorten zahlen müssen. „Das würde etwa 1,4 Dollar pro Blume bedeuten, da man mindestens 10.000 fürs Geschäft braucht, wäre das fast so hoch wie alle Investitionskosten“, erläutert Agustín Cachipuendo, langjähriger Vorsitzender des Pueblo Cayambi. „Es gab große Proteste dagegen, die Firma Plantec hat jeden Dialog mit uns verweigert“, kritisiert er den größten Lizenzinhaber von Rosensorten in Lateinamerika.Ecuadors Verfassung: Autonomie für IndigeneDie ecuadorianische Verfassung gibt indigenen Völkern eine gewisse Autonomie in Territorien wie am Vulkan Cayambe. So entschied die indigene Justiz, dass die Kleinstproduzenten nicht mehr als drei Prozent ihres Nettogewinns an Plantec zu zahlen hätten. Das Unternehmen will das nicht anerkennen, sodass der Konflikt nun beim Verfassungsgericht liegt. „Unsere Mobilisierungen und das Urteil waren große Erfolge“, resümiert Cachipuendo. „Letztlich allerdings haben wir auch eine Schuld auf uns geladen“, ergänzt er nachdenklich mit Blick auf die gesundheitlichen Risiken in den Gemeinden.Leonidas Iza, Vorsitzender der nationalen Indigena-Vereinigung CONAIE, der stärksten sozialen Bewegung Ecuadors, setzt das Dilemma in den ökonomischen Kontext: „Wir leben in einem globalisierten Kapitalismus, der unsere traditionellen Produktionsformen hinwegfegt.“ Nach der Dollarisierung im Jahr 2000 sei das Fördern kleinbäuerlicher Landwirtschaften faktisch aufgegeben worden. „Immer mehr Menschen verließen die ländlichen Regionen. Wer blieb, wurde Teil der neoliberalen Logik. Der Kartoffelanbau gibt dir erst in sechs Monaten ein ungewisses Einkommen – Blumen werden jede Woche verkauft. Da bleiben die Souveränität, sich zu ernähren, und die Ökologie auf der Strecke.“
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