Vaude-Geschäftsführerin kämpft für EU-Lieferkettengesetz: „Das ist ein Wettbewerbsvorteil“
Interview Unternehmerin Antje von Dewitz ist eine Verfechterin des EU-Lieferkettengesetzes. Dass die Abstimmung darüber wegen des Widerstands der FDP verschoben wurde, ist für sie ein „harter Schlag“. Die Hoffnung will sie trotzdem nicht aufgeben
Unter welchen Umständen sind diese Jeans im indischen Industriegebiet von Ballari hergestellt worden?
Foto: Dhiraj Singh/Bloomberg
Vaude, ein baden-württembergisches Textilunternehmen, ist ein echter Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Als eine der wenigen Unternehmerinnen hatte Geschäftsführerin Antje von Dewitz öffentlich für das Europäische Lieferkettengesetz geworben, dem die Bundesregierung nun nicht mehr zustimmen will.
der Freitag: Frau von Dewitz, wie enttäuscht sind Sie?
Antje von Dewitz: Das ist schon ein harter Schlag. Italien hat auch gleich signalisiert, dass es sich enthalten wird. Die Chancen für das Gesetz stehen nicht mehr gut, aber auf lange Sicht wird es kommen, davon bin ich überzeugt. Die öffentliche Diskussion darüber hat auch so viel an Bewusstsein geschaffen, was für die Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen wird. Als wir 2019 das deu
ht mehr gut, aber auf lange Sicht wird es kommen, davon bin ich überzeugt. Die öffentliche Diskussion darüber hat auch so viel an Bewusstsein geschaffen, was für die Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen wird. Als wir 2019 das deutsche Lieferkettengesetz diskutiert haben, da hat in meinem Umfeld keiner gewusst, warum es ein solches Gesetz geben muss, heute diskutieren alle leidenschaftlich mit. Das Bewusstsein ist enorm gewachsen.In einem offenen Brief schreiben Sie, es sei möglich, Verantwortung in der Lieferkette zu übernehmen und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die Wirtschaftsverbände verneinen das. BDI-Chef Siegfried Russwurm sagt, das Gesetz sei „wirklichkeitsfremd“.Wir beweisen das Gegenteil! Wir sind auch nicht die einzigen. Es gibt viele Unternehmen, die für ein Lieferkettenmanagement sind, Tchibo, Aldi, sogar KiK. Und es ist auch nicht so, dass die Lieferkette für uns als Mittelständler nicht komplex wäre. Wir haben weltweit 45 Produzenten, 150 Materiallieferanten, ein Produkt besteht bei uns aus bis zu 200 Materialkomponenten. Ich bin die Letzte, die sagt, das ist kein Aufwand, das hat keine hohe Komplexität, auf jeden Fall, aber das ist eine Managementdisziplin, die heute notwendig ist.„Zu sagen, wir machen es wie auf dem Jahrmarkt und der Billigste bekommt den Auftrag, das funktioniert nicht“Welche Strukturen haben Sie geschaffen, um die Lieferkette von Vaude überprüfen und zertifizieren zu können?Wir haben hier im Haus ein Team, das für alle Aspekte der Lieferkette verantwortlich ist. Für die sozialen Bedingungen am Produktionsort, für Schadstoffmanagement oder die Reduktion der Emissionen. Als Mitglied der Fair Wear Organisation verpflichten wir uns dazu, dass alle Produktionsstätten und Lieferanten hohe soziale Standards befolgen. Dazu gehören anonyme Beschwerdemöglichkeiten in der Landessprache, wenn zum Beispiel Pässe einbehalten oder Überstunden nicht ausgezahlt werden. Wir machen Schulungen vor Ort, Energieaudits, helfen bei Effizienzmaßnahmen. Wir geben Standards vor, nominieren konkrete Materialien, kontrollieren Frisch- und Abwasser. Es ist vorgekommen, dass wir Produzenten verlassen haben, wenn wir Audits nicht ordentlich durchführen konnten oder sich bei Missständen nichts bewegt hat. Zu sagen, wir machen es wie auf dem Jahrmarkt und der Billigste bekommt den Auftrag, das funktioniert nicht.Die FDP hat Angst vor einem Bürokratiemonster.Das Bürokratiemonster ist das Schlagwort unserer Zeit, damit wird schnell alles gebrandmarkt, was Aufwand bedeutet. Natürlich muss ich viel Erhebungsaufwand leisten als Unternehmen, aber wenn ich den nicht leiste, kenne ich die Missstände ja gar nicht. Ich muss doch wissen, wo ich ansetzen muss. Durch saubere Risikoanalysen einerseits, Kooperation mit anderen Unternehmen und mit digitaler Unterstützung andererseits den Aufwand beherrschbar machen, das ist modernes Management.Bürokratie, Wettbewerbsnachteile: Die FDP formuliert das Wording für das Gros der deutschen Wirtschaft, die dann glaubt, nichts tun zu müssen. Kann man so jeden Fortschritt aushebeln?Mir scheint, die FDP macht es den Unternehmen zu einfach. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um die deutsche Wirtschaft, weil die Enthaltung auf EU-Ebene dazu auffordert, in alten Glaubenssätzen verhaftet zu bleiben. Das geht an dem vorbei, was moderne Konsumenten heute erwarten. Wir haben so viele globale Herausforderungen und wenn Unternehmen nicht in die Rolle der Problemlöser schlüpfen, werden sie morgen ihre Daseinsberechtigung verlieren. Gerade deshalb ist der Aufbau einer Lieferkettenkompetenz ein Wettbewerbsvorteil, den wir gerade vergeigen, weil Berlin sagt: Bürokratievermeidung ist wichtiger als Menschenrechte.Wie viel Prozent vom Umsatz stecken Sie in die KontrolleIhrer Lieferkette?Wir haben eine grobe Schätzung für alles das, was wir in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität machen. Das geht weit über die Lieferkette hinaus. Und da sprechen wir von zirka zehn bis 15 Prozent Mehrkosten pro Jahr.„Nur dass wir uns richtig verstehen: Ich bin auch gegen Bürokratie. Wenn man Strukturen schlanker machen kann – super!“Das wird kein börsennotierter Konzern freiwillig machen …Wir haben bei Vaude eine „Academy für nachhaltiges Wirtschaften“, mit der wir Unternehmen in der Transformation begleiten. Da gibt es eine rege Nachfrage wegen der neuen europäischen Regelungen. Oder weil die nächste Generation in der Unternehmensnachfolge sagt, jetzt müssen wir aber mal in die Pötte kommen! Gleichzeitig ist die Debatte um das Lieferkettengesetz ideologisch bestimmt. Sobald Menschen glauben, es wird ihnen was übergestülpt, tritt eine innere Bremse in Kraft.Finanzminister Christian Lindner hat angekündigt, auch das deutsche Lieferkettengesetz „schlanker“ machen zu wollen.Nur dass wir uns richtig verstehen: Ich bin immer gegen Bürokratie, wenn man Strukturen schlanker machen kann, super! Aber dass wir inhaltlich noch rückwärtsgewandter werden, das kann ich mir nicht vorstellen.Von Wirtschaftsminister Robert Habeck oder Kanzler Olaf Scholz hört man nichts, obwohl die Bundesregierung das Gesetz ausgehandelt hat. Beim Aus für den Verbrennungsmotor in der EU lief es ähnlich. Reicht Ihnen das an politischer Führung in wichtigen Fragen der Transformation?Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung aufsteht und sagt: Nee, so machen wir das nicht. Auf der anderen Seite habe ich auch einen Riesenrespekt davor, in diesen wirklich stürmischen Zeiten Politiker oder Politikerin zu sein. Diesen Anfeindungen standzuhalten, denen sie sich täglich aussetzen müssen, ist echt nicht einfach. Bei der Komplexität der Transformation gestehe ich ihnen auch Fehler zu, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin.Aber finden Sie es nicht merkwürdig, dass die Bundesregierung ein Gesetz ausverhandelt, dass es in Wahrheit gar nicht verabschieden will?Ja, klar, das ist natürlich widersinnig, völlig.Haben Sie noch Vertrauen in den Veränderungswillen dieser Ampelregierung?Transformation ist mühsam, das führt zu Gegenbewegungen. Dann gibt es Schuldzuweisungen, Rufe nach einem Machtwort, es sind einfach viele Zielkonflikte. Das habe ich im eigenen Unternehmen erlebt und daher weiß ich, wie schwierig es ist, da geradlinig durchzusteuern. Ich sehe auch positive Signale, die von der Regierung gesetzt werden. Also ja, ich habe noch Vertrauen und bin optimistisch: Wir kriegen das hin.
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