Österreichs Superwahljahr: Die Kommunisten vor Wien
Türkis-Grün im freien Fall Gewählt wird dieses Jahr kommunal in Salzburg-Stadt, zum EU-Parlament, zum Nationalrat und dann noch zu den Landtagen in Vorarlberg und in der Steiermark. Die Freiheitlichen sehen sich im Aufwind. Auch die KPÖ könnte gewinnen
Erster-Mai-Kundgebung der KPÖ in Wien, wo nun der Einzug in ein weiteres Parlament winkt
Foto: Helena Lea Manhartsberger/Laif
Die Frage lautet nur: Dauert es noch bis zum Herbst, oder ist bereits im Sommer Schluss, sollten die Nationalratswahlen doch noch vorgezogen werden? Rein rechnerisch gibt es keine Chance auf eine Neuauflage der jetzigen Koalition. Der Zuspruch für Konservative und Grüne, der 2019 noch bei über 50 Prozent lag, halbiert sich gerade, vermutlich werden sie zusammen keine 30 Prozent mehr erreichen. Die ÖVP fürchtet im September ein wahres Debakel. Das könnte der Grund für die Vorverlegung sein, zurzeit herrscht nervöses Taktieren. Besser, als 15 Prozent einzubüßen, ist es allemal, bloß zehn Punkte minus einzufahren. Letzteres würden die Konservativen mittlerweile als Erfolg werten. Die ÖVP ist seit 1986 in der Regierung und kann s
n sich etwas anderes gar nicht mehr vorstellen. Der aktuelle Zusammenhalt von Türkis-Grün hat keine programmatischen Gründe mehr, sondern gedeiht auf der puren Logik selbstreferenzieller Parteiapparate.Im freien Fall befinden sich auch die Grünen. Kein Vizekanzler wird sich mehr ausgehen. Egal, welche Konstellation sich durchsetzt, die Ökopartei könnte von Glück reden, wenn sie künftig in einer Dreierkoalition mitgenommen wird. Auch die liberalen Neos werden kaum zulegen. Die Koalitionsbildung wird schwierig, da es wohl in jedem Fall drei Partner braucht. Wie die Nationalratswahlen im Detail ausfallen, das hängt nicht zuletzt sehr davon ab, welche Dynamik die sonstigen Voten im Superwahljahr lostreten. Gewählt wird kommunal in Salzburg-Stadt, zum Europaparlament, zum Nationalrat und dann zu den Landtagen in Vorarlberg und in der Steiermark.Bereits Anfang März stehen Wahlen für den Salzburger Gemeinderat an. Dort wird ausgerechnet die KPÖ ein beachtliches Ergebnis erzielen. Schon bei der Landtagswahl im Vorjahr konnte Kay-Michael Dankl reüssieren, in der Landeshauptstadt werden seine Zugewinne bei dieser wichtigen Abstimmung noch deutlicher ausfallen. Nicht einmal die Überraschung, dass die Kommunisten wie in Graz die ÖVP überholen und Erster werden, ist ausgeschlossen, ebenso wenig dass Dankl Bürgermeister wird. Insofern könnte Salzburg zu einem Schlüsselereignis werden, das den Wiedereinzug der KPÖ (erstmals seit 1959) in den Nationalrat einleitet. Die Kommunisten wirken wie eine seriöse ökosozialdemokratische Gerechtigkeitspartei und setzen auf den Schwerpunkt Wohnen. Die Bluttransfusion durch die von ihrer ehemaligen Mutterpartei rausgeworfenen Jungen Grünen 2017 hat den Kommunisten gutgetan. Wenn Dankl im bürgerlich-konservativen Salzburg ein Viertel der Stimmen holt, warum sollte dann die KPÖ national an der Vier-Prozent-Hürde scheitern?Exponenten der Volkspartei berufen sich des Öfteren auf den gesunden Menschenverstand, der gegenwärtig eine ähnliche Karriere hinlegt wie die anzubetenden Werte. Stets beschworen werden daher die „Normalos“, im Jargon der ÖVP sind das Menschen, die zeitig aufstehen und einer geregelten Arbeit nachgehen. Sie gilt es zu entlasten, was meint: Abschaffung der Kapitalertragssteuern beim Sparbuch, ausgeglichenes Budget, Senkung der Lohnnebenkosten. „Mehr privat, weniger Staat“, ist auch wieder zu hören und sogar von „Leitkultur“ zusehends die Rede. Abgesehen von der Karenz für Großeltern, die ihre Enkel betreuen, ist der Kiste des vergangene Woche vorgestellten „Österreich-Plans“ nichts Neues zu entnehmen, nur die altbekannten Everblacks. Die eigene Klientel mag sich freuen, aber sonst?Was die ÖVP verschärft, das ist der Ton, man will mit der FPÖ um das rechtskonservative Potenzial buhlen. Die Volkspartei hat sich entschlossen, das gleiche Segment zu bedienen. Dessen ungeachtet versucht ÖVP-Kanzler Karl Nehammer krampfhaft, dem Wahlpublikum die Frage „Nehammer oder Herbert Kickl von den Freiheitlichen?“ aufzudrängen. Nur wird das nicht aufgehen, zu nahe stehen sich ÖVP und FPÖ in vielen Punkten. In drei Bundesländern koalieren sie bereits, und niemand sage, das passt nicht. Das Inhaltliche trennt sie nicht, das war schon 2017 kein Problem, als Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) ein Regierungsbündnis schlossen. Zu Recht betont selbst der Chefredakteur der Kronen Zeitung, dass Nehammers Ansatz „ohnehin kräftig blau schimmert“. So scharf die Abgrenzung auch sein mag, in den Zielen und Vorhaben herrscht weitgehend Identität.Politik für die 96 ProzentSich als Alternative zu Herbert Kickl zu positionieren, das wirkt bei Andreas Babler, dem Obmann und Spitzenkandidaten der SPÖ, doch um vieles überzeugender als bei Karl Nehammer. Eine entscheidende Frage ist, ob Babler die emotionale Mobilisierung der Partei zu einer Wahlbewegung hinkriegt. Ob also die Funktionäre bereit sind, mehr als Dienst nach Vorschrift zu leisten, und ob die neuen Mitglieder, die im Zuge von Bablers Kampagne um den SPÖ-Vorsitz so zahlreich beigetreten sind, auch aktiv werden. Das unabgesprochene, aber anvisierte Bündnis vom Bobo bis zum Pensionistenheim könnte unter Umständen aufgehen.Babler wirkt seriös und sympathisch, absolut nicht abgehoben, anders als seine Vorgänger Christian Kern oder Alfred Gusenbauer, der als René Benkos Kompagnon keine geringe Hypothek für seine Partei darstellt. Von diesem Typus dürften freilich rechte wie linke, alte wie neue Sozialdemokraten vorerst genug haben. Die Stimmung an der SPÖ-Basis war jedenfalls schon schlechter. Im Zuge einer Zuspitzung zwischen Babler und Kickl könnten dann selbst die KPÖ und die Bierpartei wiederum unter die Räder kommen. Babler will vor allem Politik „für die 96 Prozent“ machen. Die Superreichen sind da immer im Visier. Wenn er auch aufgrund seiner sich stets beschleunigenden Schachtelsätze nicht der beste Redner sein mag, den die Sozialdemokratie je hatte, der beste Schreier ist er auf jeden Fall. Der häufige Einsatz des Dialekts soll die Verbundenheit des Traiskirchner Bürgermeisters mit den einfachen Leuten unterstreichen. Wenig anecken, aber den Mund voll nehmen, das versteht er. Der Basis gefällt es, wie Babler in Saft geht. Die direkte Kommunikation liegt ihm besser als der mediale Auftritt. Dort ist er in seinem Metier.Der Mann ist ein Aufwärmer, auch in anderer Hinsicht. Das Fazit „Gut hat er geredet“ wird wichtiger als „Was hat er gesagt?“. Die linksradikalen Ausritte von früher, Stamokap und Palästinensertuch, das war einmal. Selbst wenn das im Wahlkampf aufpoppt, wird es kaum tangieren.Schwer abzuschätzen ist das Antreten der angesprochenen Bierpartei von Marco Pogo, mit bürgerlichem Namen Dominik Wlazny. Auch wenn er sie ursprünglich als Juxliste gründete, hat Wlazny schnell Gefallen am politischen Zuspruch gefunden. Bei der Bundespräsidentenwahl waren es immerhin über acht Prozent, die für ihn votierten. Bekommt er die Hälfte dieser Stimmen, ist er im Parlament. Inhaltlich findet sich da nichts Neues oder Originelles im Köcher. Aber jenseits der herrschenden Konvention wirkt Pogo frisch, frech und fröhlich. So einen hatten wir noch nicht. Er ist zweifellos ein PR-Talent, sein Kunstprojekt eine Symbiose aus Pop und Politik, aus Performance und Business. Das neue Album seiner Band Turbobier ist soeben erschienen, bei der anstehenden Präsentation dürften Tournee und Tour eins werden. Und auch der gleichnamigen Biersorte, vertrieben von einer Supermarktkette, wird das nicht schaden. Kabarett macht er ebenfalls. Die Bierpartei ist also breit aufgestellt. Das ganz auf Pogo ausgerichtete Geflecht aus Familie und Firma, Band und Partei birgt einiges an Synergie. Es könnte Wlazny, dessen Liste in erster Linie er selbst ist und bisher nur Statisten kannte, aber auch bald alles auf den Kopf fallen.Die Freiheitlichen brauchen nicht viel zu tun, aktuell dreht sich alles um sie. „Wie verhindern wir Kickl?“ ist die zentrale Frage, der sich sämtliche anderen Kräfte verschrieben haben. Der geht inzwischen Bergsteigen und lässt die anderen die Arbeit für sich erledigen. Die Kontingente der Aufmerksamkeit, sie werden ihm freiwillig zugeschanzt, noch dazu hat man ihm ganze Themenfelder wie die Verteidigung der Neutralität, die Kritik der Covid-Maßnahmen und der Ukraine-Politik überlassen. Fast konkurrenzlos agiert die FPÖ nun auf diesem Terrain. Probiert sie jedoch, die Straße für sich zu mobilisieren, geht das meistens schwer daneben. Als sie die deutschen Bauernproteste in Österreich kopieren wollte, erwies sich der Aufmarsch als absoluter Flop. Ihre Kraft schöpft die FPÖ nicht aus sich selbst.
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