Es war die entscheidende Karriere-Woche des Olaf Scholz: Am 8. Februar 2018 präsentierte Hamburgs Erster Bürgermeister im Kaisersaal des Rathauses in einer extra anberaumten Pressekonferenz stolz das neueste Großprojekt für die Hamburger Hafencity. Ein 233 Meter hoher Büroturm mit einer Bruttogeschossfläche von mehr als 100.000 Quadratmetern sollte Europas größtes Städtebauprojekt vollenden. Geplant vom britischen Stararchitekten David Chipperfield, gebaut vom österreichischen Multimilliardär René Benko, würde der „Elbtower“ als neues Wahrzeichen der Stadt künftig alle von Süden kommenden Hamburg-Besucher direkt an den Elbbrücken empfangen und ihnen den Weg in die Innenstadt weisen. Der Turm, schw
Elbtower in Hamburg: Olaf Scholz, René Benko und eine riesengroße Dummheit
Immobilien-Pleite Eine Bauruine mit gewisser Ähnlichkeit zu seiner Kanzlerschaft: Wie Olaf Scholz dem Tycoon René Benko Hamburgs Hafencity für den Bau einer eine Milliarde Euro teuren Beton- und Bürowüste überließ
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den Elbbrücken empfangen und ihnen den Weg in die Innenstadt weisen. Der Turm, schwärmte Scholz, passe in seiner klassischen, selbstbewussten und eleganten Haltung ideal zum Gesamtkunstwerk Hamburg und werde die Stadt bald ebenso prägen wie der Michel und die Elbphilharmonie. Unsinn, spotteten Kritiker, hier wolle sich nur ein kleiner Mann mit einem Riesenturm verabschieden und eine unauslöschliche Duftmarke als „großer Macher“ hinterlassen.Olaf Scholz auf dem Weg nach ganz obenAm Vortag war durchgesickert, dass Hamburgs Bürgermeister in der neuen schwarz-roten Bundesregierung als Finanzminister und Vizekanzler vorgesehen war, und sechs Tage später, am 13. Februar, ernannte ihn der SPD-Vorstand – wegen des überraschenden Rücktritts von Martin Schulz – zum kommissarischen SPD-Vorsitzenden. Scholz war auf dem Weg nach ganz oben. Für den scheidenden Bürgermeister hätte diese Karriere-Woche nicht besser laufen können.Bei den Hamburgerinnen und Hamburgern löste „Scholz’ Vermächtnis“ allerdings zwiespältige Gefühle aus. Die einen fanden, das neue „Eingangstor“ zur Weltstadt sei ein großer Wurf, die anderen frotzelten über den Riesenphallus, der so gar nicht zu Hamburgs gediegener Silhouette passe. Es entwickelte sich ein zäher Kulturkampf, in dem die eine Seite (die Stadtregierung) jede Kritik arrogant an sich abperlen ließ und die andere Seite (Linke, besorgte Bürger, Stadtplaner) fast schon gebetsmühlenhaft vor einer riesengroßen Dummheit warnte. Fünf Jahre und neun Monate währte der Kleinkrieg, und da er meist unterhalb der Wahrnehmungsschwelle überregionaler Medien stattfand, konnten die Befürworter des Towers bedenkenlos Fakten schaffen: Das städtische Grundstück wurde dem Investor überlassen, die Baugrube ausgehoben, der Turm wuchs in die Höhe.Und jetzt ist sie da – die befürchtete Riesendummheit. Im Oktober 2023 wurde über den Elbtower ein Baustopp verhängt, denn Multimilliardär Benko war das Geld ausgegangen. Die Arbeiter konnten nicht mehr bezahlt werden. Nun fragen sich alle: Wie konnte das passieren? Warum hat die Stadt sämtliche Warnungen in den Wind geschlagen? Hat Scholz seinen Genossen einen „Schuldenturm“ hinterlassen? Blickt man zurück, so ist unschwer zu erkennen: Es war eine Pleite mit Ansage.„Der Vertrag für den Investor ist schon fertig“Ursprünglich sah der im Jahr 2000 vorgelegte „Masterplan Hafencity“ nur ein markantes Stadttor oder ein Hochhaus-Ensemble an den Elbbrücken vor, nicht höher und gewaltiger als Hamburgs Hauptkirche St. Michaelis. Später wollte man ein Pendant zur Elbphilharmonie schaffen, aber keinen „Protzbau“. Doch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz dachte größer. Und schneller. Im März 2017 gab er bekannt, dass auf dem acht Hektar großen Gelände zwischen Bahntrassen, Oberhafenkanal und Norderelbe ein „Bauwerk der allerhöchsten Kategorie“ geplant sei. Dafür sollten Architekten und Bauherren nun im Rekordtempo Pläne und Realisierungskonzepte vorlegen. Und zwar solche, „die von Bürgern, Zeitungsredaktionen und Medien bejubelt werden“. Verschmitzt fügte er hinzu: „Der Vertrag für den Investor ist schon fertig.“Eine Woche später lagen die Ausschreibungsunterlagen für die Wettbewerber bereit. Ein halbes Jahr gab man ihnen Zeit, dann wählte die Jury drei „Bestbieter“ aus, mit denen die „HafenCity Hamburg GmbH“ auch zügig Verhandlungen aufnahm. Am 31. Januar 2018 erhielt das Team Chipperfield/Benko den Zuschlag und am 6. Februar, zwei Tage vor der anfangs erwähnten Pressekonferenz mit Olaf Scholz, wurde der Grundstücks-Kaufvertrag zwischen der Stadt und der im Steuerparadies Luxemburg residierenden Benko-Tochtergesellschaft „Hamburg, Elbtower Beteiligung S.à.r.l.“ unterzeichnet.Schon damals hätte man stutzig werden können, denn zum einen war die kurze, einphasige Ausschreibungsphase bei solchen Großprojekten eher unüblich, zum anderen zeigte sich bereits die intransparente Methode des Benko-Imperiums, Hunderte von Beteiligungsfirmen so ineinander zu verschachteln, dass am Ende niemand mehr wusste, mit wem man sich da auf Geschäfte einließ. Und drittens war einigen Kritikern damals schon aufgefallen, dass der Grundstückspreis in Höhe von 122 Millionen Euro weit unterhalb der Preise für vergleichbare Flächen in diesem Teil der Hafencity lag. Andere Bewerber hatten deutlich mehr geboten. Doch die Stadtregierung und das „Sondervermögen Stadt und Hafen“ als Eigner des Grundstücks schmetterten sämtliche Kritik mit den Abwehrfloskeln „alles bekannt“, „alles normal“, „alles marktüblich“ ab.Elbtower: „65 Etagen gestapeltes Geld“War tatsächlich alles normal? Passte das Projekt überhaupt in die Landschaft? Die Einwände gegen den Turm konzentrierten sich auf vier Kritikpunkte: die Architektur, die Ökologie, die Ökonomie und die Politik.Was den Städtebau betraf, waren sich linke, liberale und konservative Hamburg-Patrioten erstaunlich einig: der „überdimensionierte“ Elbtower sei ein architektonisches „Monster“, passe eher zu Disneyland als zu Hamburg. Er verkörpere „65 Stockwerke gestapeltes Geld“ und vermittle als „einzige Botschaft, dass privates Kapital stadtbildprägende Dominanz“ erhält. Einige fürchteten überdies, der mächtige Wolkenkratzer werde dem benachbarten Armenviertel Rothenburgsort, wo mehr als 20 Prozent der Einwohner Bürgergeld beziehen, das Sonnenlicht rauben. Ja, es wirke „geradezu höhnisch“, wenn künftige Besucher der Aussichtsplattform oder der Luxusrestaurants aus 200 Meter Höhe auf diejenigen herabschauen könnten, die dort unten im Schatten leben müssen.Der Bau von Wohnungen? UnmöglichWertkonservative Denkmalschützer wie der Pastor Frank Engelbrecht und die Unterzeichner des kritischen „Elbtower-Manifests“ beklagten eine „radikale Abkehr“ vom „hanseatischen Lebensgefühl“ und den Traditionen „europäischer Baukultur“. Ein Wolkenkratzer dieser Größe ziere vielleicht asiatische oder angloamerikanische Megacitys, aber keine dem Mittelalter entstammende, bürgerschaftlich geprägte Hansestadt. Er degradiere die bislang stadtbildbestimmenden Kirchen zu bloßen „Statisten“. „Dieses Stück Dubai“, schimpfte Engelbrecht, „passt nicht nach Hamburg. Das Leben in der Stadt geschieht auf Augenhöhe und nicht auf Aussichtsplattformen.“Die Behörde für Stadtentwicklung, die sich als treibende Kraft des Bauprojekts verstand, sah das natürlich anders. Sie lobte nicht nur „die vornehme und elegante Gestalt“ des Towers, sie glaubte auch, dass dieser „einen lebhaften Dialog mit der Nachbarschaft“ aufnehme, im Innersten „identitätsstiftend“ sei und keinesfalls als unnahbare „Architekturdiva“ glänzen wolle.Allerdings räumte die Stadt ein, dass auf dem Areal wegen der „hohen Lärm- und Windexponiertheit“ keine Wohnungen möglich seien. Auch ein öffentlicher Platz für die Anwohner vor dem Gebäude scheide deshalb aus. In der Begründung des Bebauungsplans Hafencity hatten die Projektbefürworter starke Umweltbelastungen rund um den Tower zugegeben. Nicht nur Straßen-, Schienen-, Schiffs-, Industrie- und Gewerbelärm würden sich an den Hochhausmauern brechen, auch die Luft sei eher zum Schneiden: „Aufgrund der Nähe zur nördlichen Innenstadt und zum Hafen besteht eine deutliche lufthygienische Vorbelastung der gesamten HafenCity. Zudem liegt der Elbtower innerhalb eines Gebietes, in dem es aufgrund dreier umliegender Heiz(kraft)werke sowie je nach Windrichtung der Abgasfahne zu Auswirkungen durch Luftimmissionen kommen kann. Weitere Luftbelastungen werden durch den Straßenverkehr und das Kreuzfahrtterminal am Überseequartier hervorgerufen.“ Gerüche durch eine nahe gelegene Kakaorösterei seien ebenfalls möglich.Statt klimaschonendem Holz: 118.000 Tonnen Beton und 27.000 Tonnen BetonstahlAus umweltpolitischer Sicht hielten Kritiker wie der Hamburger Stadtforscher Dieter Läpple aber auch den Tower selbst für eine „ökologische Katastrophe“. Während der Klimawandel längst andere Bauweisen, anderes Baumaterial und andere Bautechniken erfordere, werde hier noch einmal nach alter Manier geklotzt. Allein die vier Meter dicke Bodenplatte erforderte das Einbringen von 11.000 Kubikmetern Beton. Beim Brennen des dafür nötigen Zements fielen rund 1.800 Tonnen CO₂ an. Im fertigen Rohbau wären dann 118.000 Tonnen Beton und 27.000 Tonnen Betonstahl verbaut. Das sei fossile Architektur von vorgestern. Wer einen „monofunktionalen Klotz“ zum Wahrzeichen der Stadt hochjuble, offenbare eine rückwärtsgewandte Geisteshaltung. Statt Hightech bräuchte es Lowtech, statt Beton Holz, statt Höhenrekorden menschliches Maß. Ab einer Höhe von 65 Metern, so Läpple, seien Gebäude sowieso unwirtschaftlich. Der Betriebs- und Erhaltungsaufwand übersteige jeglichen Nutzen.Der Bauherr ließ die Anwürfe souverän an sich abtropfen. In einem PR-Beitrag für die Bild verkündete er, der Elbtower werde als „Green Building“ den hohen „Platinum Öko-Standard“ der Hafencity erfüllen. Mittels Wärmepumpen, Abwasserwärmenutzung, grünem Strom und intelligenter Vernetzung der Energieflüsse könne der Turm „CO2-frei betrieben“ werden, sogar die 40 Aufzüge „speisen ihre Bremsenergie ins Hausnetz zurück“. Überwachungssensoren würden unablässig die Nutzung des Gebäudes erfassen und energiesparend Licht- und Raumtemperatur steuern. Sämtliche im Tower verwendeten Materialien seien schadstoffarm. „Nachhaltigkeit“ sei nun mal „Teil der DNA“ des Towers.Rot-Grün in Hamburg bekommt kalte FüßeDer für den Kaufmannsgeist der Hamburger gravierendste Einwand richtete sich aber weder gegen den ökologischen Irrwitz noch gegen die mögliche Stadtbildverschandelung, er richtete sich vor allem gegen den prognostizierten Bürobedarf. 90.500 Quadratmeter sind laut Auskunft des Senats für Büros vorgesehen, 11.500 Quadratmeter für ein Luxushotel plus Gastronomie. Die Mieteinnahmen aus diesen Nutzungen sollten die (anfangs mit 700 Millionen Euro veranschlagten, mittlerweile bei einer Milliarde Euro liegenden) Baukosten binnen 30 Jahren wieder einspielen. Doch der seit Jahren schwächelnde Büromarkt und die nachfolgende Corona-Krise führten zu einer massiven Fluchtbewegung. Die Zahl der Transaktionen von Büroimmobilien brach drastisch ein, die Kauf- und Mietpreise sanken, die Leerstände wuchsen. Homeoffice, Kurzarbeit und Stellenabbau hinterließen tiefe Spuren. Viele Firmen stornierten geplante Neuanmietungen oder reduzierten ihren Platzbedarf. Eine Entwicklung, die bei einigen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten skeptische Mienen hervorrief. Würde der Bauherr die vielen Büros am Ende doch nicht so lukrativ vermieten können? Würden Hamburg-Besucher dann an den Elbbrücken auf Deutschlands berühmteste Fehlinvestition blicken?Bei SPD und Grünen bekam man kalte Füße. Zunächst im Haushaltsausschuss, später im Parlament forderten die beiden Regierungsfraktionen, der Senat möge den Vertrag mit dem Bauherrn nachverhandeln, man wolle die Stadt nicht sehenden Auges ins Unglück rennen lassen. Und so beschloss die Bürgerschaft am 27. März 2019 folgenden Vertragszusatz: Der Bauherr hat nachzuweisen, dass noch vor Baubeginn 30 Prozent der Büroflächen auf mindestens fünf Jahre, das Hotel und die Restaurants auf mindestens 15 Jahre vorvermietet sind, und dass die öffentlich nutzbaren Flächen, insbesondere das Atrium im Erdgeschoss und die Aussichtsplattformen im 55. und 56. Obergeschoss, mindestens zehn Stunden täglich für das Publikum zugänglich sind. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt seien, dürfe gebaut werden.Linken-Abgeordnete Heike Sudmann warnte immer wiederDie linke Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann nannte das den „verzweifelten Versuch“ der Regierungsfraktionen, den „Notausstieg schon einmal vorzubereiten“. Und der FDP-Abgeordnete Jens Meyer unkte, die SPD glaube wohl selbst nicht mehr, dass „der Scholz-Tower“ funktioniere, deshalb wolle sie das Projekt „durch die Hintertür kippen“. Eine 30-prozentige Vorvermietungsquote stelle jedenfalls „eine ernsthafte Hürde“ dar. Das sahen die Vertreter der „HafenCity Hamburg GmbH“, die eine Tochtergesellschaft der Stadtregierung ist, ganz ähnlich und nannten die Bedingung verärgert eine „Realisierungsblockade“. Die SPD-Fraktion konterte mit dem Argument, der Elbtower sei schließlich keine Schulturnhalle, daher sei es selbstverständlich, dass man „bestimmte Dinge wirklich sicher haben“ wolle, etwa „was die Planungsrisiken betrifft, was die Baukostenrisiken betrifft, was das Vermietungsrisiko betrifft“.Überlesen hatten die Abgeordneten freilich den Passus, dass die Vorvermietungsquote nicht gegenüber dem Parlament, sondern nur gegenüber den finanzierenden Banken nachgewiesen werden musste, und dass die Banken auf diesen Vorvermietungs-Nachweis – gegen Übernahme der Risiken – verzichten konnten. Der tapfer erstrittene Vorbehalt des Parlaments war damit praktisch ausgehebelt. Nebenbei erfuhren die Abgeordneten noch, dass der Turm sieben Stockwerke höher, also nicht mehr 233, sondern 245 Meter in den Himmel ragen sollte. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen – das zuständige Ministerium – hatte das mal so nebenbei abgenickt. Mit den bauvorbereitenden Maßnahmen und der endgültigen Grundstücksübergabe würde es später ebenso laufen.Hamburgs Bürgerschaft, ein FeierabendparlamentDie Kräfte zwischen Regierung und Parlament sind in Hamburg nämlich noch einseitiger verteilt als anderswo: Die Hamburger Bürgerschaft ist ein Feierabendparlament von Politik-Amateuren und muss sich gegen eine gut ausgestattete professionelle Verwaltung durchsetzen. Das heißt, die Regierung sitzt am längeren Hebel. Und so musste die Hamburger Bürgerschaft in Sachen Elbtower immer wieder aufs Neue auf ihr Informations-, Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht pochen, während der Senat die Kleinen Anfragen von Abgeordneten jeweils mit großem rhetorischen Aufwand ins Leere laufen ließ oder arrogant abbürstete. Die Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels (FDP) beklagte deshalb bitter: „Es gibt eine stark zunehmende Tendenz des Senats, das Parlament zu ignorieren.“ Und Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken, polterte: „Weihnachtsgeschenke des Senats für den Investor: sieben Stockwerke mehr ohne Gegenleistung! Dieser Größenwahn muss gestoppt werden!“Um Größenwahn geht es auch beim vierten und letzten Einwand. Genauer gesagt: um politische Dienstleistungen für Größenwahnsinnige. Von Anfang an rieben sich viele Kritiker des Elbtower-Projekts an der Person des Investors. Die Methoden und Machenschaften des Immobilien-Tycoons René Benko waren ja schon vor der Projektvergabe bekannt. Im November 2017, zwei Monate vor der folgenschweren Elbtower-Entscheidung der Jury, hatte Benkos Signa-Gruppe in Hamburgs Innenstadt groß eingekauft. Benko übernahm das zentrale Einkaufszentrum Alsterarkaden und das noble Kaufmannshaus an der Bleichenbrücke. Das Alsterhaus am Jungfernstieg hatte er bereits, das Karstadt-Flaggschiff in der Mönckebergstraße und das Einkaufszentrum Gänsemarktpassage kamen noch hinzu. Die Stadt war stolz darauf, einen so potenten Investor an Land gezogen zu haben, aber mit jedem Kauf wurde sie abhängiger von den Launen und Wünschen des Milliardärs. Manche spotteten, Hamburgs Kern entwickle sich zur „Benko-City“.Benko und sein österreichischer Ex-Kanzler Alfred GusenbauerDas heißt natürlich auch, dass Olaf Scholz schon vor der überraschend schnellen Elbtower-Vergabe an Benko mit dem Österreicher zu tun hatte, und dass Benko – wie es der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Markus Schreiber ausdrückte – durch sein edles Hamburg-Engagement über ein „Drohpotenzial“ gegenüber der Stadt verfügte. Nur: Drohen war gar nicht nötig. Eine illustre Reihe von Ex-Politikern war Benko stets freiwillig zu Diensten, um hilfreiche Kontakte zu knüpfen.In Wien zum Beispiel saß der Ex-Kanzler der Republik Österreich, Alfred Gusenbauer (SPÖ), in Beirat und Aufsichtsrat von Benkos Signa Holding. Er sei dort nicht nur Chef des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses, prahlte er, „sondern vor allem auch des Investitionsausschusses. Jedes Projekt, jede Finanzierung, jede Kapitalmarktmaßnahme muss durch diesen Ausschuss.“ Während seiner Juso-Zeit in den späten 1980er Jahren hatte sich Gusenbauer in der Sozialistischen Jugend-Internationale (IUSY) engagiert. Dort arbeitete er als einer der Vizepräsidenten eng mit dem IUSY-Vizepräsidenten Olaf Scholz zusammen. Das freundschaftliche Verhältnis der beiden hat Scholz in seinem Buch Hoffnungsland beschrieben, während Gusenbauer in einem Gespräch über seine Lobbytätigkeit für Benko die Äußerung entschlüpfte: „Dann kann es schon sein, dass dich der Bürgermeister einer deutschen Großstadt anruft und sagt: ‚Ihr seid der Bestbieter bei diesem oder jenem Projekt, du garantierst mir aber schon, dass das nicht eine Ruine wird, die ewig mit meinem Namen verbunden sein wird!‘“ Die Vermutung, er habe damit seinen alten Kumpel Scholz gemeint, hat Gusenbauer später zurückgewiesen.Für die Consultingfirma des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust arbeiten Leute von SPD, CDU wie GrünenNicht nur in Wien, auch in Hamburg verfügte Benko über exzellente Kontakte in die Politik. Im April 2018 schloss die Signa Prime Selection einen Beratervertrag mit der Consultingfirma des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU). In der Selbstbeschreibung der Beust-Firma heißt es: „Im Umgang mit Behörden, Politikern, Medien, gesellschaftlichen Gruppen und in kommunikativen Sondersituationen bietet die Beratungsgesellschaft eine verlässliche Entscheidungsbasis und strategischen Rat für die souveräne Handlungsfähigkeit ihrer Mandanten.“ Im Beust-Team arbeiten sowohl Mitglieder des Wirtschaftsforums der SPD als auch Mitglieder des Wirtschaftsrats der CDU und des Grünen Wirtschaftsdialogs. Daneben altgediente Hamburg-Insider wie Knut Fleckenstein (SPD), der als ehemaliger Büroleiter des früheren Zweiten Bürgermeisters Alfons Pawelczyk über beste Kontakte zu den regierenden Genossen verfügt.Mehrfach versuchte der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Jörg Hamann mittels Kleiner Anfragen Licht ins Dunkel dieser Netzwerke zu bringen. Vergeblich. Am 7. September 2018 fragte er den Senat: „Gab es im Zusammenhang mit der Vergabe des Projekts Elbtower an Signa Kontakte wie Gespräche, Schreiben, Telefonate, E-Mails, SMS oder Ähnliches zwischen Olaf Scholz und Alfred Gusenbauer und/oder René Benko?“ Die Antwort des Senats lautete ebenso kurz wie barsch: „Nein.“ Später hieß es etwas konzilianter: „Dem Senat liegen keine Erkenntnisse dazu vor, ob es diesbezügliche Gespräche zwischen dem damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz mit Herrn Gusenbauer gegeben hat.“René Benkos „Musterfall von Korruption“Fünf Wochen davor hatte Hamann gefragt: „Wie seriös ist die Signa Prime Selection?“ Schließlich war die „Realisierungssicherheit des Projekts Elbtower“ ein Hauptkriterium bei der Vergabeentscheidung gewesen. Bekannt war, dass Benko bei seinen Geschäften nicht zimperlich vorging. Ende 2012 war er in einem „Musterfall von Korruption“ zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Es ging um die versuchte Einflussnahme in einem Steuerverfahren in Italien. Für 150.000 Euro „Beraterhonorar“ sollte Kroatiens Premier Ivo Sanader seine Kontakte zu Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi spielen lassen. Der wiederum sollte Druck auf die italienische Justiz ausüben, um einen für Signa günstigen Abschluss zu erreichen. Die Richterin sprach von „lupenreiner Korruption“. Die Verteidigung Benkos übernahm Österreichs Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, der als Anwalt Jörg Haiders bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte.Auch gegenüber den Bedingungen, die Hamburgs Bürgerschaft an die Übergabe des Elbtower-Grundstücks knüpfte, verhielt sich Benkos Immobilienfirma ausgesprochen „kreativ“. Um die lästige Vorvermietungsquote erfüllen zu können, fädelte man hinter den Kulissen ein cleveres Dreiecksgeschäft ein. Die Hamburg Commercial Bank – Nachfolgerin der pleitegegangenen und mit vielen Steuermilliarden geretteten HSH Nordbank – verkaufte ihren Stammsitz am Gerhard-Hauptmann-Platz ganz plötzlich und weit über dem Marktpreis an Benko. Der lieh sich das Geld für den teuren Kauf ausgerechnet von der Verkäuferin, und diese unterschrieb, quasi im Gegenzug, einen Mietvertrag über 13.360 Quadratmeter Bürofläche im Elbtower. Ein Win-win-Geschäft, denn mit dem ersten Großmieter war das Eis gebrochen. Der teure Elbtower erschien nun auch anderen als begehrte Adresse. Als Heike Sudmann, der hartnäckigen Bürgerschaftsabgeordneten der Linken, das noch immer nicht reichte, blockte der Senat weitere Verzögerungen zugunsten der Immobilienfirma kurzerhand ab: „Um eine schnelle Realisierung sicherzustellen, wurde der Bauherrin mit dem Gestattungsvertrag zur vorzeitigen Nutzung die Möglichkeit eingeräumt, bereits freiwillig und auf eigenes Risiko vor Übergabe des Kaufgrundstücks mit der Erstellung der Gründung, Baugrubenumschließung und Bodenplatte zu beginnen … Dafür bedarf es keiner (Teil-)Baugenehmigung.“Oktober 2023: Das Signa-Kartenhaus stürzt einEs lief in Sachen Elbtower immer nach dem gleichen Prinzip: Erst Fakten schaffen und hinterher die Probleme wegdrücken. Doch irgendwann funktionierte das Modell nicht mehr. Mitte 2022 stiegen im Zuge der Leitzinserhöhungen der Notenbanken sowohl die Kreditzinsen als auch die Baukosten, während die Häuserpreise fielen. Die Signa-Immobiliensparte, deren Vermögenswert zuletzt auf 27 Milliarden Euro geschätzt wurde, musste die fantastischen Buchwerte ihrer Luxusobjekte nach unten korrigieren. Das wiederum erschwerte die Absicherung neuer Bankkredite. Die Investoren, die bis 2021 mit hohen Dividendenzahlungen ruhiggestellt worden waren und bei Zahlungsschwierigkeiten Geld nachschossen, fielen aus allen Wolken, als die Dividenden 2022 nahezu ausblieben. Das Benko-Imperium, dessen ineinander verschachtelte Firmen untereinander häufig verschuldet waren, erwies sich als Kartenhaus. Als die alarmierte Europäische Zentralbank Anfang 2023 eine Sonderprüfung jener Banken anordnete, die Benko Geld geliehen hatten, und ihnen vorsorglich Rückstellungen für den Notfall empfahl, taten sich die Investoren zusammen und forderten Benkos Rückzug. Im Oktober brach das Kartenhaus schließlich zusammen. Seither stehen die Bauarbeiten am Elbtower still.„Ich habe viele Stunden überlegt, wie ein solches Hochhaus aussehen könnte“, hatte Olaf Scholz bei seiner denkwürdigen Pressekonferenz am 8. Februar 2018 im Kaisersaal des Hamburger Rathauses gesagt. „Ich als Bürgermeister möchte, dass die Hamburger sagen, das hat Scholz gut gemacht (…) wenn das fertig ist.“ Doch nun steht eine Bauruine an den Elbbrücken, die eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Kanzlerschaft besitzt. Scholz wollte hoch hinaus und mindestens zehn Jahre regieren. Denn er hielt die Ampel-Koalition für eine hervorragende Konstruktion. Nun ist sie auf halbem Wege gescheitert. Warnungen und Einwände hat er in den Wind geschlagen. Er wusste ja immer alles besser. Auch Benkos Signa hielt er bis zuletzt für ein „hervorragendes Immobilienunternehmen“.
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