Neue Allianzen: Wie die österreichische Klimabewegung mit Gewerkschaften zusammen kämpft
Österreich Seit Anfang Oktober gibt es einen Zusammenschluss aus Klimabewegung und Gewerkschaft: Die Initiative „Menschen und Klima schützen statt Profite“ fordert unter anderem ein Recht auf Hitzefrei. Die Arbeitgeber antworten: Sonnencreme reicht!
Mitarbeitende auf der Baustelle leiden besonders unter höheren Temperaturen
Foto: Jochen Tack/Imago
Ein weiterer Sommer ist vorbei, die Hitze überstanden und wieder haben sich die Auswirkungen des Klimawandels verdeutlicht. Vor allem das Arbeiten wird in den Sommermonaten immer stärker zur Belastung – und so entstehen neuen Allianzen. Während Arbeiter*innenbewegungen und Klimaschutz lange als gegensätzlich betrachtet wurden, gehen immer mehr Gewerkschaften und Klimaaktivist*innen Bündnisse ein. So auch in Österreich: Dort hat die Arbeiterkammer Anfang Oktober zusammen mit Aktivist*innen von Fridays for Future, der Gruppe System Change not Climate Change sowie Vertreter*innen der Gewerkschaft Bau-Holz eine neue Allianz gegründet. Sie heißt: „Menschen und Klima schützen statt Profite“.
Gefordert wird eine Anpassung des Arbeitsre
t hat die Arbeiterkammer Anfang Oktober zusammen mit Aktivist*innen von Fridays for Future, der Gruppe System Change not Climate Change sowie Vertreter*innen der Gewerkschaft Bau-Holz eine neue Allianz gegründet. Sie heißt: „Menschen und Klima schützen statt Profite“.Gefordert wird eine Anpassung des Arbeitsrechts an die Klimakrise und Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur. Ersteres meint vor allem ein Recht auf hitzefreie Zeiträume (ganze Tage oder einzelne Stunden), in denen es aufgrund der Temperatur zu heiß zum Arbeiten ist. Dazu fehlt in Österreich sowie in Deutschland der legislative Rahmen: Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Hitzefrei. Werden die Forderungen nicht umgesetzt, soll es im nächsten Sommer zu Blockaden von Baustellen kommen. Allianzen zwischen Klimaaktivist*innen und Gewerkschaften standen lange nicht auf der Tagesordnung, mittlerweile findet man sie immer häufiger.Die Gewerkschaft Verdi organisiert zusammen mit Fridays for Future gemeinsame Aktionstage zugunsten der Angestellten im ÖPNV. Auch in Italien formierte sich das Collettivo di Fabbrica GKN und setzt sich simultan für Arbeitsplätze und eine ökologische Transformation ein. Weitaus größer ist das 2006 gegründete Bündnis Blue Green Alliance in den USA, das mehrere Gewerkschaften und Umweltorganisationen zusammenbrachte. Teil sind unter anderem die 400.000 Mitglieder starke Gewerkschaft United Auto Workers oder die Gewerkschaft der Stahlarbeiter*innen. Kann es sein, dass Arbeitskampf und grüner Aktivismus schon lange praktiziert werden? In Deutschland, Österreich, Italien und sogar in den USA?„Können die nicht mal die Richtigen blockieren?“„Das aktuelle Beispiel aus Österreich ist vor dem Hintergrund der Proteste der Letzten Generation entstanden“, sagt Lukas Oberndorfer im Gespräch mit dem Freitag. Er ist der Leiter der Abteilung Umwelt und Verkehr bei der Arbeiterkammer in Wien. Gewerkschafter haben angemerkt, dass sich viele Leute durch die Straßenblockaden vor den Kopf gestoßen fühlen. Autofahrer*innen fühlen sich durch diesen Protest als Problem abgestempelt, während das Profitstreben fossiler Konzerne und die Verantwortung der Politik ausgeblendet würden. Sinnvoller sei es, so Oberndorfer, die Protestform der Blockade anders einzusetzen. Zum Beispiel: Auf Baustellen zu demonstrieren, wo Bauarbeiter*innen auch bei hohen Temperaturen weiter arbeiten müssen.An diesem Punkt hakte der Vorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz in Österreich, Beppo Muchitsch, ein: „Können die Klimaaktiven nicht mal die Richtigen blockieren?“ Das war der Ausgangspunkt für Vernetzungstreffen in der Arbeiterkammer, durch die das nötige Vertrauen für die neue Allianz und neue Aktionsformen geschaffen wurde.Die aktuellen Zusammenschlüsse in Europa werfen die Frage auf, wieso sie so spät zustande gekommen sind. Die globale Erderwärmung ist seit Jahrzehnten bekannt, Fridays for Future geht seit vier Jahren regelmäßig auf die Straße und erst als die Klimakrise beginnt, sich in voller Wucht bemerkbar zu machen, entstehen erste Kooperationen zwischen Aktivist*innen und Gewerkschaften. Was lange negiert wurde, rückt mittlerweile in den Mittelpunkt der Debatte: Das Klima ist eine soziale Frage.Bis in die jüngste Vergangenheit wurden Klimadiskussionen als elitär und von oben herab wahrgenommen. Dieses Framing der Klimafrage nütze vor allem rechten und konservativen Parteien, die einen „Wir-gegen-sie“-Diskurs führten. Simultan wurde Klimaschutz als individualistisches Problem betrachtet, dessen Lösung nur Konsumanpassungen und Selbstoptimierung benötigt. Oberndorfer spricht in diesem Zusammenhang von „Klima-Klassismus“: Während Arbeiter*innen oft ein niedriges Klimabewusstsein attestiert wird, würden reiche Menschen verhältnismäßig viel mehr klimaschädlichen Emissionen verursachen. Ausschließend wirke auch, dass viele ökologische Maßnahmen marktwirtschaftlich geregelt seien. „Statt dem teuren und auch nur bedingt klimaschonenden Elektroauto, braucht es daher eine Mobilitätsgarantie durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.“Erst in den letzten Jahren fand eine Wende in der Debatte statt. Diskussionen wurden diversifiziert, so drängten mehr Menschen mit unterschiedlicheren Perspektiven in die Klimabewegung und der soziale Aspekt des Themas konnte sich im Mainstream-Diskurs verankern. Einige Probleme bleiben aber bestehen: Während es sich in Berlin leicht über die Verkehrswende reden lässt, bedeutet ein Ausstieg aus dem Individualverkehr für Städte wie Wolfsburg oder Braunschweig einen de facto eine Minimierung des Wohlstandes.In einer Stadt, wo etwa jede zweite Person in der Automobilindustrie arbeitet, werden Diskussionen über emissionsneutrale Industrie anders geführt, weil sie direkte ökonomische Folgen mit sich bringen. Diese Beispiele lassen sich auf verschiedene Industrien und Regionen ummünzen, denn viele Orte profitieren immer noch von klimaschädlichen Produktionsweisen und hier gibt es besonders viele, teilweise auch gut-bezahlte, Arbeitsplätze. Das zeigt auch, dass ein Drehen an dieser Schraube alle, vom Fließbandarbeiter bis zum Abteilungsleiter, treffen kann.In Wolfsburg arbeitet etwa jede zweite Person in der AutomobilindustrieDaran lässt sich das Problem vieler Gewerkschaften ablesen. Sie müssen einerseits die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder sichern und sind primär deren Vertreter. Das bestätigt auch Oberndorfer aus den Gesprächen mit der Gewerkschaft Bau und Holz: „Diese habe klargemacht, dass sie bauen wollen und dass hier ein Hauptinteresse der Mitglieder steckt, schließlich gehe es um Jobs. Wenn möglich, bevorzugt man allerdings klimafreundliche Projekte.“ Dass Gewerkschaften primär als Erhalter von Arbeitsplätzen eintreten ist verständlich, gleichzeitig wird die Klimakrise Arbeiter*innen viel stärker als Akademiker*innen treffen.Während Büroinfrastruktur durch die Implementierung technischer Lösungen klimafit gemacht werden kann, wird das in vielen Handwerksberufen nahezu unmöglich werden. Eine Baustelle kann nicht durch Ventilatoren gekühlt werden, genauso wenig wie die Arbeitsplätze von Gärtnern, Försterinnen oder Müllwerkern. Diese Berufsgruppen sind folglich auch anfälliger für klimabedingte Erkrankungen wie Hautkrebs oder Nierenschäden als Folge von Dehydrierung. In diesen Debatten braucht es von Gewerkschaften ein großes Maß an Weitsicht, Arbeitskämpfe langfristig zu interpretieren. Der Erhalt jedes einzelnen Arbeitsplatzes in seinem heutigen Zustand wird im Zuge einer Dekarbonisierung der Wirtschaft nicht möglich sein. Die daraus resultierende soziale Frage zu lösen, zählt zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Deutschland und Europa müssen in den nächsten Jahren ihren CO₂-Ausstoß reduzieren – komme, was wolle. Gesteuert werden kann nur das „Wie“. Und das wird, wenn man Zusammenhalt für wichtig hält, nicht ohne einen großen gesellschaftlichen Umbau zustandekommen. Dieser muss sozial stattfinden, um ein weiteres Abrutschen großer Menschengruppen in den Populismus zu verhindern. Hier liegt eine der Schlüsselaufgaben von Gewerkschaften, da diese immer noch breit in der Gesellschaft verankert sind und einen direkten Zugang zu deren Anliegen aber auch Sorgen haben. Gleichzeitig wird sich zeigen, wie Gewerkschaften reagieren, wenn es ums Eingemachte, also das Schließen von Fabriken und Industriezweigen, geht. Damit einher geht auch ein Machtverlust mancher Organisation: Denn wenn Jobs wegfallen, geht das mit einer Mitgliederreduktion (und somit mit einem schwindenden politischen Gewicht) einher.Was die Gewerkschaften tun könnenMöglich ist eine frühe Kooperation und ein großes Angebot an Umschulungsmaßnahmen oder ein langer Kampf um jeden Arbeitsplatz. Lukas Oberndorfer bleibt hierbei allerdings positiv: „In der Produktion von nachhaltiger Infrastruktur, unter anderem im Zuge der Verkehrswende, steckt ein großes nachhaltiges und industriepolitisches Potenzial. Zusätzlich sind Umschulungen innerhalb der Industrie sozial-funktionaler, als dass zum Beispiel der Industriearbeiter zur Pflegekraft wird. Das funktioniert einfach nicht.“Welche Maßnahmen Oberndorfer und seine Mitstreiter*innen im nächsten Sommer ergreifen müssen, ist ungewiss. Die Forderung nach Hitzefrei bei einer Temperatur von 30 Grad oder höher wird mit der österreichischen Industrie nur schwer zu vereinbaren sein. Laut der zentralen Anstalt für Meteorologie wurde dieser Wert 2023 in Wien 37-mal überschritten, was für Baustellenbetreiber*innen eine steigende Planungsunsicherheit bedeutet.Die Wirtschaftskammer als Arbeitgebervertretung wehrt sich bereits im Sommer gegen die Forderung. Anstelle schlägt sie eine bessere Versorgung von Bauerbeiter*innen mit Wasser, Sonnenschutz und der nötigen Kleidung vor. Die Kampagne zeigt allerdings, dass die Klimafrage eine sehr fluide Debatte sein kann und zu kreativen sowie sozialen Lösungsansätzen einlädt. Sie macht auch sichtbar, dass sich ihre Lösung nicht auf einzelne Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beschränkt, sondern dass die Anstrengungen gesamtgesellschaftlich sein werden. „Dazu braucht es eine breite Debatte, wo man große Bevölkerungsteile mitnimmt, um den vielen eine soziale und ökologische Lebensweise zu ermöglichen. Darauf muss unser Augenmerk liegen“, so Oberndorfer.
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