Honoré Daumier im Städel Museum: Von Bürgern und Birnen
Ausstellung Der Karikaturist und Maler Honoré Daumier kommentierte die Verwandlung der feudalen in eine bourgeoise Herrschaft im 19. Jahrhundert. Seine boshafte Genauigkeit tut heute noch weh, wie im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen ist
„Le Passé – le présent – l’avenir“ (1834) und „La lecture du Charivari“ (1840)
Foto: Privatsammlung
Honoré Daumier, das war doch dieser geniale französische Karikaturist aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der politische Gestalten seiner Zeit ebenso schonungslos demaskierte wie die Vertreter der neuen bürgerlichen Herrschaft in ihren Justizpalästen, Banken, Kontors und nicht zuletzt im Familienleben. Und hat er nicht die ideale Allegorie der Birne für den „Bürgerkönig“ Louis Philippe erfunden, die wir später bei der langen Regierung des Kleinbürgerkanzlers Helmut Kohl wieder aufnahmen? Hat er nicht. Daumier ging in seinen Birnen-Variationen nur besonders fantasievoll mit einer allgemein populären satirischen Verfremdung um.
Daumier war Chronist und Kritiker der ereignisreichen Verwandlung einer feudalen in eine bourgeoise Herrs
oise Herrschaft. Die Karikatur, die in dieser Zeit, bevor die Fotografie das hegemoniale Bild-Medium wurde, eine Blüte erlebte, war stets beides zugleich, ein Kommentar zu Personen und Ereignissen, und ein rasches, direktes Medium der Information. Nur dass bei Daumier etwas aus einer ungewöhnlichen Tiefe kam. Wie bei seinem Zeitgenossen und ersten Interpreten Charles Baudelaire, so entwickelte sich auch bei Daumier der anti-bourgeoise Furor aus der Enttäuschung darüber, dass die großen Ideen der Revolution, der Geist der Commune, die Versprechungen von Freiheit und Gerechtigkeit immer wieder von der neuen Klasse gebrochen wurden, die sich nun gegen die Forderungen des Proletariats und der aufmüpfigen Teile des ästhetisch und politisch progressiven Kleinbürgertums wandte, um ihre neuen Privilegien zu verteidigen.Die Heuchelei in KrisenzeitenDie boshafte Genauigkeit, mit der Daumier die Juristen, Bankiers, Unternehmer, die „Bonhommes“ des „Juste Milieu“ wiedergab, tut heute noch weh. Aus den konkreten Situationen treten nämlich stets die wiederkehrenden Charakter-Deformationen von Heuchelei, Lüsternheit und Niedertracht hervor, die in Krisenzeiten so dramatisch aufzubrechen pflegen. Bei Daumier gibt es den hässlichen Menschen der Macht, den leidenden und geschundenen Menschen, und den schönen Menschen der Revolte. Nichts dazwischen, nichts darüber hinaus. Der Bürgerkönig Louis Philippe war für dies alles die ideale Gestalt. Die Birne, das war nicht nur die Karikatur der charakteristischen Kopfform eines scheinbar so jovialen Herrschers, sie war zugleich Sinnbild für die neue maßgebende Klasse, das Herabsacken der Physiognomie vom Kopf in die Backenpartie, die Verbreiterung und Verlagerung des Schwerpunkts, die absurde Stabilität eines Stehaufmännchens. In späteren Zeiten genügte Daumier die Gegenwart einer „realen“ Birne unter seinen Bürgern, und man wusste Bescheid über den Geist, der hier herrschte.Wenn wir Heutigen die Karikaturen von Honoré Daumier betrachten, geht es neben der Bewunderung für Dynamik, Komposition und Effekt vor allem um die historische Entschlüsselung: Welches Ereignis ist da gemeint? Welche Person wird hier zur Kenntlichkeit verzerrt? Auf welche Verhältnisse spielt diese Szene an? Die Suche nach der „Bedeutung“ in den Bildern lässt leicht übersehen, dass es in ihnen auch um mehr geht. Die Karikatur war für ihn nicht nur ein Instrument des politischen Kampfes (und wohl, nebenbei, auch gezeichneter Racheakt), sondern immer auch Experimentierfeld für neue Sichtweisen, Perspektiven, Kompositionen. Er suchte nach dem Menschen und nach dem, was ihn so schrecklich deformiert.Was das Leben der Kleinbürger anbelangt, wusste Daumier, wovon er da erzählte. Seine Eltern gehörten zum Heer der kleinen Handwerker aus der Provinz, die durch die Industrialisierung Frankreichs ihre Lebensgrundlage verloren und nach Paris strömten, wo alle Träume von einem besseren Leben rasch zerstoben. An eine Schulbildung war deshalb nicht zu denken; Honoré arbeitete in Kindertagen als Laufbursche in den Gerichten, möglicherweise blieb da einiges von Posen und Fratzen in Erinnerung. Die Wende kam für ihn mit der Lehre bei einem Lithografen. Daneben reichte es gerade für den Besuch einer billigen Kunstschule, auf der vor allem Anatomie und Komposition im Sinn des vorherrschenden Klassizismus gelehrt wurde. Der Honoré Daumier, der neben seinen Karikaturen auch als Maler und Skulpteur arbeitete, wenn auch ohne nennenswerten Erfolg, hatte eben dieses Ziel: Die Kunst von diesem sterilen Klassizismus und der gefälligen Salonmalerei zu befreien. Seinen Lebensunterhalt verdiente Daumier bei den Zeitschriften La Caricature und Le Charivari, die sich der Verleger (und selbst Karikaturist und Journalist) Charles Philipon für seinen Privatkrieg gegen Louis Philippe, den französischen Klerus und die Justiz leistete, während er seinen Reichtum mit Publikationen ganz anderer Art, mit Mode, Klatsch und Sensationen verdiente. Niemand verkörperte so sehr das Doppelgesicht der neuen bürgerlichen Klasse zwischen dem Revolutionären und dem Reaktionären. Seinen Mitarbeitern ließ er kaum etwas durchgehen, was nicht seinen eigenen Ansichten entsprach. Charivari befürwortete schließlich das Massaker, das General Cavaignac 1848 an den aufständischen Proletariern in Paris anrichtete. Nicht die erste und nicht die letzte Gelegenheit, bei der Daumier zum Schweigen verurteilt wurde. Daumier hat zeit seines Lebens mit diesem Despoten gehadert; sein grandioses Spätwerk als Karikaturist und Zeichner, als so scharfer wie mitfühlender Chronist von Europas Kriegen und Bürgerkriegen, konnte er erst nach Philipons Tod im Jahr 1861 verwirklichen. Die Arbeiten dieser Zeit, etwa von 1866 bis 1870, handeln von nichts Geringerem als vom selbst verschuldeten Untergang einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung.20.000 Menschen-Charaktere hat Daumier, so errechneten es eifrige Historiker, in seinen Bildern festgehalten. Vieles davon in erschreckender Aktualität: Wie oft gerät man an Charaktere oder in Situationen, die einem vorkommen, als fehle hier ein Daumier, sie zu durchschauen. Weder die Kritik noch die Satire unserer Tage ist auf der Höhe von Daumiers Wagemut.Aber natürlich war auch er zerrissen in einer zerreißenden Klasse. Das zeigt sich besonders deutlich in seinen Karikaturen zum bürgerlichen Ehe- und Familienleben und zu den Anfängen der Frauenbewegung. Den kleinbürgerlichen Revolutionären waren die Frauen offenbar gute Kameradinnen, wenn es um den Bau der Barrikaden ging, und sie mussten als Sinnbilder der Revolutionen herhalten, doch wenn es zurück in die Privatsphäre ging, sollten sie wieder Kochlöffel und Nähnadel in die Hand nehmen. Daumier mag man zugute halten, dass seine bürgerlichen Männer in Nachthemden und Schlafmützen mindestens so komisch sind wie die Frauen, die sich von ihrem Lamento nicht in ihrer George-Sand-Lektüre stören lassen. Doch das immer wiederkehrende Motiv von der Unfähigkeit der Frauen, sich „ordentlich“ zu organisieren (und sei’s durch eine Regel wie die, dass nicht mehr als fünf bei einer Versammlung gleichzeitig sprechen dürfen), wäre durch einen genaueren Blick auf die Verhältnisse zu widerlegen gewesen. Der Kampf der „Blaustrümpfe“ um sehr konkrete Ziele, wie etwa das Scheidungsrecht, hätte mehr Solidarität verdient.Daumiers Entdeckung des Grotesken und „Hässlichen“ im Menschen aber ging über die politische Rhetorik weit hinaus. Er sah Menschen, wie sie weder zuvor noch von seinen Zeitgenossen gesehen wurden, und von da führen die Spuren zu den nächsten Schritten der modernen Kunst, zum Surrealismus, zum Kubismus, zum Expressionismus. Vieles von dieser inneren Modernisierung findet sich auch in seinem malerischen Werk. Wenn Daumier etwa, wie in seinen Tagen durchaus üblich, die Revolution als Frau wiedergibt, an deren Brüsten sich ihre Kinder nähren und in deren Schutz sie lesend ein Bewusstsein entwickeln, dann scheint sich da jeder Pinselstrich dagegen zu sträuben, dieses Bild zum reinen Denkmal zu machen. Das Ergebnis ist eine organische Unschärfe, die das Bild immer noch lebendig erscheinen lässt. Wenn Daumier als Karikaturist unter der Despotie seines Verlegers zu leiden hatte, dann als Maler und Skulpteur unter der neuen Macht der Kunst-Organisation, dem Markt. Die Galerien und Museen, die Wettbewerbe und Auktionen lehnten Daumiers Kunst weitgehend ab. So wurde er zum „Artist’s Artist“; es ist aufschlussreich, welche Künstler sich Werke von ihm verschafften: Toulouse-Lautrec, Van Gogh, Picasso, Liebermann … Es wäre wohl der Mühe wert, genauer zu untersuchen, welche Spuren Daumier in dieser Kunst-Moderne hinterlassen hat. Dem Künstler Daumier hat es nicht viel gebracht. Honoré Daumier starb, wie er begonnen hatte, im Elend.Placeholder infobox-1
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