Kult „The Simpsons“ sind mit nunmehr 35 Jahren Laufzeit eine der langlebigsten Animationsserien der Pop-Geschichte. Ausgestrahlt werden sie in den USA ausgerechnet bei Fox. Ist Springfield die Wiege des Trumpismus?
Wäre dies eine Szene aus der Folge am Tag nach den US-Präsidentschaftswahlen 2024 – welchem Gewinner würde Homers und Marges Entsetzen wohl gelten?
Foto: Imago Images
Donald Trump ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist in all seiner Vulgarität und Brutalität, in seiner Gier und Ignoranz eine Verkörperung des amerikanischen Traums. Erfolg, Macht, Popularität, Sex, Reichtum, Anhäufung von Dingen und Zeichen des erlesen schlechten Geschmacks. Von Europa aus gesehen. Und von da aus erscheint der amerikanische Traum auch vor allem als Albtraum. Ungefähr die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner der USA sehen das anders. Sie könnten, statistisch gesehen, mehrheitlich aus einer kleinen Stadt in der Mitte des Landes stammen. Aus Springfield vielleicht. Wenn Donald Trump die Essenz der rechten amerikanischen Seelenhälfte ist, dann ist Springfield die Essenz des provinziellen amerikanischen Lebensortes.
Das Land wär
d wäre nicht, was es ist, ohne Typen wie Donald Trump, und es wäre nicht, was es ist, ohne Städte wie Springfield. Die Heimat der gelbgesichtigen Familie Simpson, die der Cartoonist Matt Groening einst erfand und die mittlerweile eine der langlebigsten Animationsserien der Pop-Geschichte füllt. Amerika im Allgemeinen, seine sehr spezifische Mischung aus Kapitalismus und Liberalismus im Besonderen mögen in einer schweren Krise stecken; verloren ist US-Amerika indes, wenn es die Simpsons nicht mehr gibt. Was auch insofern verzwickt ist, als die Serie The Simpsons auf dem Sender ausgestrahlt wird, der sozusagen zum zentralen Propagandamedium des allgemeinen Trumpismus wurde. Ist das ein großes Missverständnis, diese geballte Ladung von Satire, Sarkasmus und Subversion zur besten Sendezeit hier und die Hetze, die Lügen, die Dummheiten des Trump-Lagers dort? Oder gehören die Simpsons und Donald Trump doch zusammen wie Sterne und Streifen?Ein Hauch Stephen King weht durch SpringfieldDer Vater Homer, dysfunktionaler Arbeiter in einem dysfunktionalen Atomkraftwerk, die Mutter Marge mit der gewaltigen Bienenkorbfrisur, die immer wieder auf eigene Karriere und eigenes Glück verzichtet, um ihre Pflichten im Haus zu erfüllen, die Kinder: Bart, ein Lausbub der übleren Art, aber in seinem Herzen schon ein ignoranter Spießbürger wie sein Vater, die Tochter Lisa, musisch begabt, interessiert und mitfühlend – eine geborene Demokratin, und in einer fantastischen Folge der Serie auch schon einmal Präsidentin der Vereinigten Staaten, die, vorhersehbarerweise, an der Ökonomie und den Machenschaften ihres miserablen Bruders scheitert –, und dann ist da noch die Jüngste, Maggie, die sich weigert zu sprechen. Wir ahnen die Gründe dafür.Und dann lebt in der Stadt Springfield eine gehörige Anzahl archetypisch-verkommener Modell-Amerikaner: der ausbeuterische Unternehmer und Kraftwerkbetreiber Burns, der neben Geldgier von einem narzisstischen Sadismus gegenüber seiner Umwelt angetrieben wird, und sein speichelleckender Adlatus Smithers. Krusty, der zynische Clown, der für Geld und Drogen alles, wirklich alles macht und der sein Publikum aus tiefstem schwarzen Herzen verachtet. Apu, der indischstämmige Supermarkt-Betreiber, der, ganz und gar trumpistisch, alle „schlechten“ Immigranten hasst, das heißt, alle, die nach ihm kamen. Mrs. Krabappel, die Lehrerin auf verlorenem Posten, und Rektor Skinner, sozial überambitioniert und psychisch unterentwickelt. Der Kneipenwirt Moe, der Comicverkäufer, der dauerbekiffte Schulbusfahrer, die bigotte Nachbarsfamilie, der Polizeichef, der zwischen Willkür und Korruption nach wahrer Freundschaft sucht (und sie für eine Folge in Homer Simpson sogar gefunden zu haben glaubt). Unter den Kindern gibt es die debilen Bullies, die Überangepassten und die geborenen Loser wie Millhouse. Und dann ist da der gespenstisch-komische Tingeltangel-Bob – immer mal wieder, und nicht nur in den Halloween-Specials, weht ein Hauch von Stephen King durch Springfield: Hinter den Tücken des Alltags lauert der Horror.In Springfield tauchen immer wieder Menschen aus der Politik, der Wissenschaft und dem Showbusiness auf, und manchmal spielen auch die echten Vorbilder insofern mit, als sie den Zeichentrick-Widerspiegelungen ihre Stimme leihen. Und dies ist der Punkt, an dem Donald Trump ins Spiel kommt. In der legendären Folge Barts Blick in die Zukunft unternehmen wir vom Jahr 2000 aus einen Zeitsprung, und da ist, in nicht allzu ferner Zukunft, Donald Trump tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten. Die Produzenten der Serie erklärten im Nachhinein, das sei nun eben das Absurdeste, was ihnen zum höchsten Amt eingefallen sei. Aber das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Denn tatsächlich gehen entsprechende Ambitionen Trumps bis aufs Jahr 1985 zurück. 1988 bewarb er sich vergeblich für den Posten des Vizepräsidenten unter George Bush, und eben 2000 kandidierte er für eine „Reform Party“, mit dem erklärten Ziel, der erste Präsidentschaftskandidat der US-Geschichte zu sein, der seinen Wahlkampf nutzt, um Geld zu verdienen. Viel Geld. Alles verwandelt sich unter den Händen Trumps in ein Mittel zum Geldverdienen. Natürlich hinterlässt bei den Simpsons ein Donald Trump, bevor er das Amt verliert, ein politisches und vor allem finanzielles Desaster. Daran – und an Barts Machenschaften – muss auch seine Nachfolgerin scheitern: Lisa Simpson. (Beinharte Simpsonisten behaupten, Kamala Harris würde sich in Kleiderfragen am Vorbild der ersten Präsidentin im Weißen Haus, Lisa Simpson, orientieren …)„Die Simpsons“ ist besessen von Donald TrumpKurz nachdem Trump tatsächlich Präsident geworden war, schrieb Bart Simpson im Running Gag seiner Strafarbeit wiederholt die vieldeutigen Worte „Being right sucks“ an die Tafel. Ob es sich dabei ums Rechthaben oder ums Rechtssein handelt, bleibt offen. Homer Simpson jedenfalls hat eine innigere Beziehung zu Donald Trump. Zunächst lässt er sich gegen Bezahlung als Trump-Begeisterter anheuern; gleich darauf ist er von dem Gedanken besessen, Trumps Haare berühren zu müssen, um den eigenen Haarwuchs zu fördern. Er taucht buchstäblich in dieses Medusengebilde ein und begegnet darin Monstern und Mythen wie dem Bigfoot. Im Übrigen hat Trump, der Mediensüchtige, den Machern von The Simpsons angeboten, wie andere Prominente vor ihm seinem gezeichneten Abbild für Gastauftritte die Stimme zu leihen. Trump ist der bislang Einzige, dem dieses Ansinnen abgeschlagen wurde. Kaum schien der Albtraum Trump vorüber zu sein, als in Springfield schon wieder Plakate auftauchten, die eine erneute Trump-Kandidatur im Jahr 2024 ankündigten. Einmal mehr erwies man sich in Springfield als prophetisch.Aber all diese konkreten Anspielungen und Vorhersagen sind nicht mehr als der Punkt auf dem i. Bedeutender ist, wie sehr Springfield das gesellschaftliche und politische Klima abbildet, aus dem der Trumpismus erst erwachsen konnte. Matt Groening hatte vor den Simpsons eine Cartoon-Serie mit dem treffenden Titel Life in Hell publiziert, in der knollennasige Fez-Träger mit stupidem Grinsen den Wahnsinn der amerikanischen Gesellschaft kommentierten. Das wahrhaft Grausame an diesen Cartoons war eben dieser stumpfe Gleichmut, die Unbeweglichkeit der Figuren.Auch in Springfield geht es eigentlich um ein Leben in der Hölle. Nur dass die meisten Menschen sich irgendwie in dieser Hölle eingerichtet haben, vor allem auf Kosten der anderen. Von Solidarität und Freundschaft kann man dabei nicht wirklich reden, stattdessen von einem ausgeprägten System der Komplizenschaften, der Korruptionen und der gegenseitigen Abhängigkeiten. Ignoranz und Opportunismus machen die Einwohner von Springfield immer wieder zu willfährigen Opfern von Scharlatanen, Betrügern und Wahnsinnigen. Und für jemanden wie Lisa ist auch die Familie weniger Rückzugsort als vielmehr Fortsetzung der Hölle ins Innere hinein. Wenn man sich den Kapitalismus als ein Geschehen vorstellt, bei dem eine unsichtbare Hand den Egoismus und die Betrugsabsichten jedes Einzelnen ins Wohl der Allgemeinheit umformt, dann ist Springfield das Modell einer trumpistischen Demokratie: Aus dem Mit- und Gegeneinander von lauter psychotischen Individuen wird die heimelige Hölle der Normalität. Wir müssen uns die Simpsons als glückliche Menschen vorstellen. Und, was noch schwerer fällt, vielleicht müssten wir uns auch Trump-Wählerinnen und -Wähler als glückliche Menschen vorstellen. Sie leben in der Hölle, gewiss. Aber es ist ihre Hölle.Ein Präsident Trump ist idealer Schutzheiliger und ebenso ideale Spottfigur für diesen Un-Ort. Denn darin ist Trump ein klassischer Springfield-Charakter: Er macht niemandem was vor. Er ist nicht nur das verlogene, egomane, beschränkte und gierige Arschloch, sondern auch noch stolz darauf. Und mit so jemandem kommt man in Springfield besser zurecht als mit einer idealistischen und rationalen Person wie Lisa Simpson, die nicht einmal als Präsidentin aufhören kann, unter ihren nächsten Mitmenschen zu leiden.
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