Verhaftung von Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette: Banalität des Wer-weiß-wie-Bösen
RAF Die Polizei brüstet sich mit einem Erfolg, an dem auch Podcaster beteiligt gewesen sein wollen – die Aufregung um die Verhaftung Daniela Klettes zeigt: Die Verfolgung der RAF in Zeiten von True Crime wird zum gespenstischen Spektakel
Hui Buh! Die Vergespensterung des Wirklichen funktioniert ebenso wenig wie die Verwirklichung des Gespenstischen
Montage: der Freitag / Material: BKA
Es gibt Ereignisse, deren Hauptfunktion es ist, um mit Michel Foucault zu sprechen, „gewisse Fragen aufzuwirbeln“. Das Aufwirbeln setzt eine bizarre Mischung von Impulsen und Gefühlen frei, Lust, Angst, Sadismus und Scham. Der Stoff, aus dem unsere Mediengeschichten gemacht sind. Eigentlich.
lturen, genügend nachbarschaftliche Freundlichkeit, nicht einmal politische Meinungen soll sie geäußert haben. Wer oder was hat zur Enttarnung dieser Hyper-Normalität beigetragen?Schon geht das Durcheinander los. Da sind Polizei und Politik, bei deren Selbstdarstellung das Wort „stolz“ verdächtig oft verwendet wird. Das Wort kommt meines Wissens bei den Verfolgungen rechter Straftäter eher nicht zum Einsatz. Die Selbstgefälligkeit von mehr oder weniger Beteiligten überschreitet hier und da die Peinlichkeitsgrenze: Die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) spricht von einem „Meilenstein in der deutschen Kriminalitätsgeschichte“, und Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, erklärt im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Klettes Festnahme ist ein beeindruckendes Beispiel für die gute Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden.“ Möglich machen das natürlich neue Fahndungsmethoden, DNA-Abgleiche, digitale Überwachung, Gesichtserkennung …Podcast „Legion“: TKKG auf Post-Terroristenjagd?Damit sind wir bei der zweiten Brigade der Verfolgung. Da gibt es eine Podcast-Gruppe unter dem unheilvollen Motto „Legion“, eher junge, hippe Leute, die bei ihren mehr oder weniger abenteuerlichen Recherche-Unternehmungen weniger datenschutzrechtlich zimperlich sein müssen als die Polizei. „Für Legion: Most wanted interviewen wir Expert:innen, nutzen KI-Tools, fürchten uns vor gewaltbereiten und zur Fahndung ausgeschriebenen Terroristinnen und tanzen Capoeira. Wir kommen RAF-Mitglied Daniela Klette ganz nah (…). Ein Podcast von rbb, NDR und Undone 2023“. TKKG auf Post-Terroristenjagd? Jedenfalls noch jemand, der offenkundig mächtig stolz ist. Die Kinder von iPhone, Netflix und True Crime sind auf der Jagd nach ihren terroristischen Eltern und Großeltern, die ihrerseits einst als „verlorene Kinder“ der Nachkriegsspießergesellschaft gehandelt wurden.Eine dritte Kraft beim Erfolg der Aktion zeigt vielleicht nicht ganz so viel Stolz, zumindest nicht öffentlich. Jemand nämlich habe „entscheidende Hinweise“ gegeben, heißt es. Und fehlen darf auch nicht die alte Garde der Publikumsfahndung: Aktenzeichen XY ungelöst – „250 Hinweise im Anschluss an die Sendung“. Staatsbürgerliche Pflichterfüllung? Verrat?Was, wenn Daniela Klette schweigt?Das Ganze verdichtet sich zu einem wohligen Spektakel von Wiederherstellung von „Ordnung“ und „Wahrheit“. Oder hätte es beinahe getan. Wenn man nur das zentrale Objekt von alledem, Daniela Klette, irgendwie in den mytho-moralischen Griff bekäme. Von der Terroristin ohne Agenda über die gewöhnliche Gewaltverbrecherin zur leicht verhuschten Post-Hippie-Oma – darin steckt schon eine Portion Banalität des Wer-weiß-wie-Bösen. Schlimmer noch: Klette schweigt. Und wenn sie das Schweigen aufrechterhält, dann war mehr oder weniger alles umsonst. Dann ist die Leerstelle der Erinnerung, das Loch im Gesellschaftsnarrativ, durch ihre Verhaftung nicht kleiner, sondern größer geworden.Das darf nicht sein! Deshalb erscheint die Berichterstattung um ihre Person und ihren tatsächlichen oder imaginierten Hintergrund noch obszöner, als wir es gewöhnt sind. Die Waffenfunde in ihrer Wohnung sind die ersten Störfaktoren in einer allzu glatten Geschichte vom Rückzug der Terroristin in die private Gewöhnlichkeit. Das erst gibt dem True-Crime-Aspekt noch ein wenig Würze, wie sie für die Verpodcastisierung unseres Informationssystems ebenso benötigt wird wie für die senile Serienproduktion von Bild: „Zieht sich die Schlinge um die flüchtigen RAF-Terroristen immer weiter zu?“ Worauf die bahnbrechende Mutmaßung folgt, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg hätten sich „im Umfeld der inzwischen gefassten Daniela Klette (65)“ bewegt. Noch etwas irgendwie „Brisantes“ verlautet der Spiegel: „Nach der Festnahme von Daniela Klette meldet sich der Sohn des prominenten RAF-Opfers Hanns Martin Schleyer zu Wort. Die Morde der Terroristen dürften nicht ungesühnt bleiben, sagte Jörg Schleyer. Er fordert Konsequenzen der Politik.“ Darauf springt auch die NZZ an: „Die deutsche Regierungskoalition will den Einsatz von Informanten massiv einschränken. Für die Ermittlungsbehörden hätte das schwere Konsequenzen, sagt der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt warnend.“Rainer Werner Fassbinder sah die Utopielosigkeit des TerrorsDer dritten Generation der deutschen Terroristen widmete Rainer Werner Fassbinder 1979 einen durchaus bösen Film. „Ein Kommissar trifft einen Unternehmer, der sagt zu ihm: Sie haben keinen Humor. Da antwortet der Kommissar, natürlich habe ich Humor. Ich habe geträumt, dass das Kapital die Terroristen erfunden hat, um den Staat besser zu schützen“, erklärte er damals die Idee. Er wollte „eine Gesellschaftskomödie über Terroristen, die keine Utopie als Voraussetzung für ihre terroristischen Handlungen haben (…)“.Darin sind Fassbinders Terroristen denen von Claude Chabrol sehr ähnlich, der in Nada 1973 die Dynamik einer anarchistischen Zelle untersuchte, die den amerikanischen Botschafter entführt hat und von der Polizei in einem blutigen Massaker nahezu vollständig aufgerieben wird. Am Schluss versuchen Staat, Justiz und Polizei, sich die Geschichte nach eigenem Interesse zurechtzulegen. Erzählen, was passt, verschweigen, was nicht passt. So geht Macht.Das aber funktioniert im Zeitalter von Podcast und X nicht mehr. Der Staat kann seine Geschichten nicht mehr nach Belieben gestalten. Ganz im Gegensatz zur allgemeinen „Schlussstrich“-Auffassung, was den Nationalsozialismus anbelangt, blieb in der deutschen Gesellschaft eine seltsame Hassliebe zu „ihren“ Linksterroristen bestehen. Sie waren die Gespenster einer bleiernen Zeit, in der sich vieles änderte und die Periode des biedermeierlichen Wohlfühlkapitalismus vorüberging.Zwischen Bomben und BlumenDas Ergebnis beider Filme war weder Rückkehr noch Neuanfang nach dem blutigen Geschehen, sondern eine besondere Art von Nihilismus: Die Terroristen und der Staat, beide gleich gewalttätig, terroristisch und, tatsächlich, anarchistisch. Spätere Filme zu dem Thema waren mild und menschlich, sie halfen wie Schlöndorffs menschelnde Stille nach dem Schuss oder Uli Edels und Bernd Eichingers übervorsichtiger Der Baader Meinhof Komplex eher dem „Absackenlassen“, als noch einmal Verzweiflung und Empörung zu aktivieren. In Bruce LaBruces The Raspberry Reich ging es 2004 schon um den „terrorist chic“ einer selbst ernannten „6. Generation“ unter der Führung einer gewissen „Gudrun“, die mit Erkenntnissen aufwarteten wie der, dass Madonna, Cornflakes und Masturbation allesamt gleich „konterrevolutionär“ seien.Seitdem gibt es von der RAF und ihren Generationen nur noch Gespenster-Bilder. Gespenster sind, wie wir wissen, immer mit Lust und Schuld gleichermaßen besetzt und eines befeuert das andere. Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969, der Roman von Frank Witzel aus dem Jahr 2015, erzeugte noch einmal ein solches Gespensterbild. Und ein wenig wirkt Christian Petzolds Film Die innere Sicherheit von 2001 über ein untergetauchtes Terroristenpaar, das ein privates Familienleben führen will, nun wie eine Vorahnung. Doch die Vergespensterung des Wirklichen funktioniert ebenso wenig wie die Verwirklichung des Gespenstischen.Ein Mensch, der wahrscheinlich Schuld auf sich geladen hat, wurde Jahrzehnte später „gefasst“. Jetzt ist der Rechtsstaat dran, einerseits. Aber wenn der, außer einem Urteil, nichts „herausbringt“? Kein Geständnis, keine öffentliche Reue, keine Wahrheit, nicht einmal ein „Manifest“? Dann stehen wir da mit disparaten Bildern, gespenstischen Erinnerungen, faktischen Splittern und mehrdeutigen Symbolen, so zwischen Bomben und Blumen. Dann ist der Terror, den man vermeintlich doch noch besiegte, nichts als ein trüber Spiegel, in den eine Gesellschaft mit schweren Gedächtnislücken glotzt. Und Podcasts, Fernsehen, Zeitungen, soziale Netzwerke und Alltagsgespräche erblinden am aufgewirbelten Staub des Ereignisses. Das Gespenst des alten, „linken“ Terrorismus und die Realität des neuen, rechten und religiösen Terrorismus haben eines gemeinsam: Staat und Gesellschaft versuchen sie in ihrem Sinn zu verarbeiten. Und müssen daran scheitern.
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