Ein „Paria der internationalen Politik“, wie ihn der frühere Merkel-Berater und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, nennt, erwartet am 27. Juli in Sankt Petersburg zahlreiche Gäste aus dem am schnellsten wachsenden Kontinent. Auf dem „Zweiten Summit“, dem „wirtschaftlichen und humanitären Forum Russland-Afrika“, wird die russische Führung Gesandten nahezu aller afrikanischen Staaten begegnen, vielfach den Staats- und Regierungschefs. Das ist recht viel Besuch für jemanden, der laut Heusgen „weltweit nahezu vollständig isoliert“ dasteht.
Das diesjährige Treffen schreibt eine Geschichte fort, die mit einem ersten Russland-Afrika-Gipfel im Oktober 2019 in Sotschi begann. Daran nahmen
an nahmen gut 6.000 Delegierte teil. Alle 55 Länder des Kontinents waren vertreten, darunter 43 mit ihren Regierungen. Die Teilnehmer nahmen seinerzeit eine Resolution an, die dafür plädierte, „dem globalen Wirtschaftssystem einen mehr sozial orientierenden Charakter zu geben“. Der Wille, etwas gegen die Ungleichheit zwischen Nord und Süd zu unternehmen, ist auch diesmal ein wesentliches Motiv für Politiker und Unternehmer, der Einladung zu folgen. Wladimir Putin griff die Bedürfnisse und Interessen der Afrikaner geschickt auf, als er sich 2019 in einem Interview zur „Unterstützung des Kampfes der Völker Afrikas gegen Rassismus, Kolonialismus und Apartheid“ bekannte. Er erwähnte dabei die „militärtechnische Zusammenarbeit mit mehr als 30 afrikanischen Ländern“. Diesen Ansatz dürfte er jetzt fortführen.Am 17. Juni traf der Präsident bereits in Sankt Petersburg eine Delegation afrikanischer Staaten, die sich für ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges einsetzten. Vage versprach Putin, er sei „offen für einen Dialog“, und verwies auf die derzeitige Ablehnung von Verhandlungen durch den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj. Die Gesprächspartner, darunter der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, sprachen von den „schrecklichen Folgen“ eines bewaffneten Konflikts, der ihre Staaten hart treffe. Der Kreml veröffentlichte danach die Statements der afrikanischen Politiker Auge in Auge mit Putin auf seiner Website.HochdekoriertDass der sich einer Debatte um die Forderung nach Frieden und Zugeständnissen stellt, liegt am wachsenden Gewicht Afrikas weltweit. In Moskau ist bekannt, dass viele Staaten des Kontinents auf eine vom Westen unabhängige Außenpolitik setzen. Den Ukraine-Krieg sehen sie ähnlich wie der in Südafrika regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC), der im Dezember 2022 in einer Parteitagsresolution formulierte: Man habe es mit einem „Konflikt zwischen den USA wie der US-geführten NATO und Russland“ zu tun.Putin nutzte die Gelegenheit, wie sie sich mit dem Gespräch am 17. Juni bot, um zu verkünden, Afrika sei eine Priorität seiner Außenpolitik. Dabei geht es um Handel und Aufträge für russische Großkonzerne. Das Staatsunternehmen Rosatom will Kernkraftwerke nach Afrika exportieren. Der Bau eines ersten russischen AKW im ägyptischen El Dabaa, einhundert Kilometer östlich von Alexandria, hat bereits begonnen. Gazprom unterhält ein Joint Venture mit der nigerianischen Ölgesellschaft Nigerian National Petroleum Corporation. Westafrika zeigt Bedarf an russischen Düngemitteln, auch an Getreidelieferungen. Und natürlich sind Algerien, Ägypten, Mali und die Zentralafrikanische Republik ein willkommener Absatzmarkt für russische Rüstungsausfuhren. Nach China und Indien ist Algerien der drittgrößte Kunde russischer Waffenexporteure. Russland findet in Afrika auch als Anbieter von militärischen Dienstleistungen zur Aufstandsbekämpfung Interesse.Wie es den Anschein hat, konnte der in Afrika präsente Teil des Wagner-Netzwerkes die Turbulenzen der Prigoschin- Rebellion vom 24. Juni unbeschadet überstehen. Wagner-Instrukteure erhielten kürzlich bei einer offiziellen Zeremonie hohe militärische Auszeichnungen der zentralafrikanischen Regierung. Mit dem Scheitern der französischen „Barkhane“-Mission in Mali und dem rasant sinkenden Einfluss Frankreichs wächst im frankofonen Afrika offenkundig das Interesse an den rauen Methoden der Dschihadismus-Bekämpfung, wie sie Moskau in Syrien vorgeführt hat – brachial, aber machtpolitisch erfolgreich. In mehreren Telefongesprächen versicherte Putin dem Chef der Militärjunta von Mali, Oberst Assimi Goïta, seine Sympathie und Unterstützung – auch Goïta wird in Sankt Petersburg erwartet.Als enger Partner Frankreichs ist in Mali Deutschland ebenfalls gescheitert, dessen Truppenkontingent im Rahmen der UN-Mission MINUSMA nunmehr auf Druck der Militärregierung in Bamako das Land verlassen muss. Als wirkungslos haben sich die Reisen von Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock nach Westafrika erwiesen. Nicht das Prinzip einer „feministischen Außenpolitik“ hat in Afrika Konjunktur, eher das Konzept männlicher Warlords mit dem Segen Moskaus. Dennoch warnen abgewogen urteilende Moskauer Experten wie Fjodor Lukjanow, Leiter der Forschungsprogramme im internationalen Diskussionsklub „Waldai“, ihre Landsleute im Blick auf Afrika vor Euphorie. In einem Interview für die Wochenzeitung Argumenty i Fakty meinte Lukjanow, man könne die Länder der „nichtwestlichen Welt“ in Afrika „nicht prorussisch nennen“, denn sie wollten „nur nicht mehr nach der amerikanischen Pfeife tanzen“.Dieser Wunsch führt viele afrikanische Politiker und Geschäftsleute nach Sankt Petersburg. Hinzu kommt eine kulturell konservative Note. Die Agenda des Afrika-Russland-Forums wirft den USA vor, sie würden „traditionalistischen Gesellschaften ihnen fremde neoliberale Werte aufdrängen“. Dies klingt teils nach einer Anspielung auf die in Afrika verbreitete negative Haltung gegenüber der LGBT-Community. Bei der Entfremdung Afrikas gegenüber dem Westen haben nicht zuletzt atmosphärische Belange ihr Gewicht. In den sozialen Netzen des Kontinents fanden Videos viel Interesse, die zeigten, dass die Briten bei der Beerdigung der Queen alle afrikanischen Staatschefs in einen Bus zwängten, während Europäer und Amerikaner in Limousinen vorfuhren.Koordiniert vom russischen Präsidentenberater Anton Kobjakow, einem früheren Vizegouverneur der Bergbau-Region Kemerowo, sollen auf dem Gipfel in Sankt Petersburg in 30 Panels vorrangig wirtschaftliche und humanitäre Fragen diskutiert werden. Afrika sei „der Welt-Führer im Bevölkerungswachstum“, heißt es im Programm des Summits. Russland könne zu dessen „Ernährungssicherheit“ beitragen. Das Moskauer Kalkül im Umgang mit Afrika reflektiert, dass die Afrikaner nicht auf Almosen aus sind, sondern auf Handelsverträge und mutige Investitionen. Afrika braucht mehr Kooperation, keine Sanktionen. Es ist daher anzunehmen, dass sich die afrikanischen Staaten auch weiterhin allen Versuchen des Westens verweigern, für ökonomische Strafmaßnahmen der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland vereinnahmt zu werden. Die Konferenz an der Newa wird dies wohl unterstreichen.