Wagners Macht in Afrika: „Wie ein Virus, das sich ausbreitet“
Investigativ Gold, Diamanten und politischer Einfluss: Jewgeni Prigoschins Söldner bauen in Libyen, Mali und im Sudan ein lukratives Geschäftsnetz auf. Wird Wladimir Putin es nach Prigoschins Meuterei übernehmen und Russlands Macht ausbauen?
Collage: der Freitag; Material: iStock, Getty Images
Vier Tage nach dem Marsch der Wagner-Söldner auf Moskau flog ein russischer Botschafter nach Libyen, um dort einen besorgten Warlord zu beruhigen. Die Botschaft des Kreml an den selbst ernannten General Khalifa Haftar in Bengasi lautete: Nur ruhig, die mehr als 2.000 Wagner-Söldner, Techniker, politischen Funktionäre und Verwaltungsbeamten werden im Land bleiben. „Es sind hier keine Probleme zu erwarten. Möglicherweise gibt es Veränderungen an der Spitze, aber der Mechanismus bleibt gleich: die Männer vor Ort, die Geldgeber in Dubai, die Kontakte und die Ressourcen, die nach Libyen fließen“, versicherte der Gesandte in Haftars palastartiger Residenz. „Keine Sorge, wir verlassen das Land nicht.“
Von diesem Gespräch berichtete de
ichtete dem Guardian ein hochrangiger früherer libyscher Beamter, der direkte Kenntnis von dem Treffen hatte. Es zeigt, wie wichtig die Einsätze und das ausgedehnte Geschäftsnetz der Gruppe Wagner in Afrika inzwischen geworden sind. Welche Folgen könnte die Meuterei des Wagner-Gründers Jewgeni Prigoschin in Russland für Afrika haben? Experten beobachten, dass die Geschäfte der Gruppe Wagner seither ungestört weiterlaufen. Daraus ist zu schließen, dass das Regime von Präsident Wladimir Putin versuchen wird, Wagners Netz in Afrika zu übernehmen. Und das ist inzwischen sehr lukrativ und einflussreich.Westliche Geheimdienstmitarbeiter stufen die wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten Wagners in Afrika als zentrale Interessen für Putins Regierung ein. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Moskau aus Wagner in Afrika eine neue Marke macht, aber den Großteil seines Vermögens und seiner Organisation beibehält“, erklärt Nathalia Dukhan in ihrem Bericht über Wagner in der Zentralafrikanischen Republik, veröffentlicht bei der US-Investigativorganisation The Sentry. „Seit den ersten Einsätzen im Jahr 2017 hat sich Wagner stark verbreitet und ist viel bekannter geworden. Jetzt scheint der Kreml zu versuchen, die Kontinuität zu betonen, wenn nicht sogar eine unmittelbare Ausweitung“, sagt auch Julia Stanyard, Wagner-Expertin bei der Globalen Initiative gegen transnationales organisiertes Verbrechen.Wirtschaftlich ist Wagner bisher am stärksten in der Zentralafrikanischen Republik engagiert. Die Söldner kamen 2018, um das Regime von Präsident Faustin-Archange Touadéra zu unterstützen, das mit einer Rebellenoffensive zu kämpfen hatte. Von vielen Stützpunkten in und um die Hauptstadt Bangui aus baute Wagner Bergbauunternehmen im ganzen Land auf. Außerdem begann die Gruppe, Bier und härtere alkoholische Getränke herzustellen, und erhielt eine extrem profitable Lizenz zur Bewirtschaftung der Regenwälder im Süden des Landes.Gold, Diamanten, Edelsteine: Wagner holt sich allesDas größte Wagner-Projekt in der Zentralafrikanischen Republik ist die riesige Goldmine Ndassima. Die Gruppe überfiel auch kleinere Goldminen in der abgelegenen östlichen Grenzregion, Dutzende Menschen wurden dabei getötet. Nun werden die Minen von Wagner betrieben, das Gold von Wagner gehandelt.Placeholder image-1Diese Geschäfte gehen natürlich nicht an EU und USA vorbei, die immer wieder Sanktionen gegen Wagner-Unternehmen verhängen. Im vergangenen Monat nahm das US-Finanzministerium vor allem Unternehmen in der Zentralafrikanischen Republik ins Visier, darunter Midas Ressources, Betreiber der Ndassima-Goldmine und Besitzer etlicher weiterer Konzessionen und Lizenzen für die Suche nach und den Abbau von Rohstoffen, Edel- und Halbedelmetallen sowie Edelsteinen. Ein zweites Unternehmen ist Diamville, eine Gold- und Diamanten-Firma, die „von Prigoschin geleitet“ wird, wie es in den US-Sanktionspapieren heißt. In der Zentralafrikanischen Republik geschürfte Diamanten liefert Wagner an Käufer in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Europa weiter. Diamanten sind nützlich, um Sanktionen gegen Russland zu umgehen: „Mit Diamanten kann man überall beliebige Waren kaufen“, erklärt die Analystin Dukhan. Wie gut, dass Afrikas Erde viele davon birgt.Auch in der sudanesischen Hauptstadt Khartum hat Wagner ein Büro. Lokale Beamte und Diplomaten erzählten 2022 dem Guardian, dass dort mit Goldbarren gehandelt wird, die von einem nahe gelegenen Luftwaffenstützpunkt in der Wüste ausgeflogen werden, um über die Vereinigten Arabischen Emirate oder Moskau auf den internationalen Märkten verkauft zu werden. Im Sudan arbeitet Wagner beim Schürfen und der Verarbeitung von Gold mit der paramilitärischen Organisation RSF, Rapid Support Forces, zusammen. Auch nachdem im April zwischen rivalisierenden Fraktionen im Sudan Kämpfe ausbrachen, hatte die kleine Wagner-Einsatzgruppe im Sudan laut lokalen Quellen sporadische Kontakte zu den RSF und könnte sie mit Waffen versorgt haben. Davon abgesehen mischte sich Wagner aber nicht bedeutsam in die Kämpfe im Sudan ein, „Priorität hatte schlicht, die Versorgung mit Gold am Laufen zu halten“, so eine westliche Quelle, die kürzlich von den Kämpfen gezwungen wurde, Khartum zu verlassen.In Mali sind Wagners wirtschaftliche Unternehmungen etwas weniger stark ausgebaut. Dort hatte die Gruppe seit dem militärischen Einsatz im Dezember offenbar Probleme, bedeutende Gewinne zu machen. Laut diplomatischen Quellen hatte Wagner Schwierigkeiten, Zugang zu den Goldminen zu erhalten, die sie laut dem Deal mit Militärchef Assimi Goïta bewirtschaften dürfen. Das Militärregime hatte sie aber großzügig bezahlt: Laut Informationen der USA hat Malis Übergangsregierung seit Ende 2021 mehr als 200 Millionen US-Dollar (181 Millionen Euro) an Wagner bezahlt, sagte der Sprecher für nationale Sicherheit des Weißen Hauses, John Kirby.Jewgeni Prigoschins Einfluss in MaliAuch die politischen Dividenden waren erheblich. Ende Juni beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig, seine Friedensmission in Mali nach einem Jahrzehnt zu beenden. Damit lässt er zu, dass das Land noch stärker unter den Einfluss Moskaus fällt. Anfang des Monats hatte Mali die UN-Friedenstruppen aufgefordert, „ohne Verzögerung“ das Land zu verlassen. Als Begründung wurde eine „Vertrauenskrise“ zwischen den malischen Behörden und der UN-Mission angegeben. Laut Kirby war Prigoschin bei der Planung des Abzugs der UN beteiligt: „Wir wissen, dass hohe malische Offiziere direkt mit Prigoschin-Mitarbeitern zusammenarbeiteten.“Placeholder image-2Offizielle US-Mitarbeiter sind überzeugt, dass Wagner in Mali Dokumente fälscht, um den Ankauf und den Transit von Minen, unbemannten Luftfahrzeugen, Radar- und Abwehrsystemen zum Einsatz in der Ukraine zu vertuschen. Seit der Meuterei in Russland änderte sich an dieser Wagner-Präsenz in Mali nichts: Laut lokalen Quellen sind Söldner weiter an gemeinsamen Operationen mit der malischen Armee zur Bekämpfung von Aufständischen im Zentrum und im Norden beteiligt.Neben der Zentralafrikanischen Republik, dem Sudan und Mali ist der östliche Teil Libyens ein bedeutendes Einsatzgebiet der Wagner-Truppe – eben dort, wo der Warlord Khalifa Haftar einen russischen Botschafter nach der Wagner-Meuterei empfing. 2019 nahm die Gruppe in Libyen an einer gescheiterten Offensive teil, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen, und hat seitdem Hunderte Millionen Dollar eingenommen. Durch Ölschmuggel verdient sie noch mal ähnliche Summen. Auch hieran scheint sich in den vergangenen Wochen nichts geändert zu haben. Experten beobachten in Libyen keinerlei ungewöhnliche Bewegungen von Wagner-Mitarbeitern.Arbeiten die Wagner-Söldner bald für Russland?Allerdings kursieren auf den Social-Media-Accounts der Wagner-Kämpfer in Afrika Spekulationen darüber, dass den Mitarbeitern der Gruppe neue Verträge mit dem russischen Staat angeboten würden. Solch eine „Nationalisierung“ der Gruppe könnte zu Spannungen führen. „Theoretisch sollte das problemlos laufen, schließlich wurde Wagner ursprünglich vom Kreml geschaffen“, erklärte Alia Brahimi, die Söldner-Expertin beim Atlantikrat. Andererseits aber würden führende Kommandeure wie Iwan Maslow in Mali nun „ihre persönliche Schuld gegenüber Prigoschin und ihre Identität als private Kämpfer abwägen müssen“ gegenüber ihrer Funktion als Soldaten einer Landesarmee, die stärker unter der zentralen Kontrolle des Kreml stehen: „Aus Sicht des Kreml war der ganze Sinn und Zweck davon, Wagner in Afrika von der Leine zu lassen, dass die Söldnergruppe so zu einer Kraft wurde, von der sich der Kreml distanzieren konnte. Von jetzt an haben die schrecklichen Verbrechen und Missbräuche ebenso wie die ökonomischen Beutezüge einen klaren Absender.“In der Zentralafrikanischen Republik führen Regierungsmitglieder öffentliche Diskussionen über die Rolle von Wagner im Land. Führende Politiker forderten Sicherheiten, dass Russland seine Unterstützung der Kampagne von Präsident Faustin-Archange Touadéra zur Änderung der Verfassung fortsetzt, die er braucht, um eine dritte Amtszeit antreten zu können. Ein Referendum dazu ist für kommenden Monat angesetzt. Laut Diplomaten plant Russland einen neuen großen Stützpunkt mit einer Kapazität von bis zu 5.000 Kämpfern, der als Sprungbrett für Moskaus geopolitische Interessen und Operationen in den umliegenden Ländern dienen kann.„Es ist wie ein Virus, das sich ausbreitet“Als zwei weitere für den Kreml interessante Ziele gelten Burkina Faso und der Tschad, aber der größte Preisgewinn wäre die ressourcenreiche Demokratische Republik Kongo. 2022 waren Wagner-Vertreter an deren Präsidenten Félix Tshisekedi herangetreten, der mit Unruhen im Osten des Landes zu kämpfen hat. Tshisekedi entschied sich letztlich dagegen, die Gruppe anzuheuern, gab ihr aber lukrative Minenkonzessionen.Die Afrika-Unternehmungen der Wagner-Gruppe stehen eng mit den längerfristigen außenpolitischen Zielen Russlands in Verbindung. 2019 erhielt der Guardian Einblick in geleakte Unterlagen, die belegen, dass der Kreml plante, durch geheime Einflussnahme in Afrika Beziehungen zu den Herrschern aufzubauen, Militärdeals abzuschließen und eine neue Generation von „Anführern“ und Undercover-Agenten in Afrika aufzubauen. Ein in den Dokumenten genanntes Ziel war, die USA und die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich aus der Region zu vertreiben und „pro-westliche“ Aufstände abzuwehren. „Es ist wie ein Virus, das sich ausbreitet“, so die Analystin Nathalia Dukhan. „Es sieht nicht so aus, als wollten sie gehen. Sie planen, weiterzumachen.“Placeholder authorbio-1