Da sich westliche Politik in den vergangenen Jahrzehnten auf eigene moralische Prinzipien beruft, scheint es nicht angebracht, sich auf Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) zu beziehen. Denn der gilt als Anwalt politischer Unmoral par excellence, die Heuchelei verabscheut. So wandte er sich gegen die christliche Verbrämung von Machtkämpfen, denen in Wirklichkeit Interessenkonflikte zugrunde lagen. Seine politische Theorie zielte darauf, die Vorherrschaft des Vatikans über Italien zu beenden. Das sollte unter einem das Bürgertum fördernden Fürsten vereint und geführt werden.
Über Söldnerheere hinterließ Machiavelli eine Auffassung, die sich durch das jüngste Aneinandergeraten von Wagner-Gruppe und russischer Staatsmacht erneut be
erneut bestätigt hat. Wer sich auf Söldner und Hilfstruppen anstatt auf Streitkräfte motivierter eigener Anhänger stütze, sei – so Machiavelli – „niemals fest und sicher; denn sie sind uneinig, ehrgeizig, disziplinlos und untreu“. Die Ursache sei, „dass sie weiter keine Anhänglichkeit haben und keinen anderen Grund, der sie auf dem Schlachtfeld hält, als das bisschen Sold, das nicht ausreicht, um für dich in den Tod zu gehen. (…) Die Hauptleute der Söldner sind entweder begabte Männer oder nicht. Sind sie es, so kannst du ihnen nicht trauen; sie streben immer nach eigener Größe.“ Der „Fürst“ aber müsse „sein eigener Feldherr sein“ und das Handeln militärischer Führer unter sein Gesetz stellen. Rom und Sparta seien „viele Jahrhunderte durch ihre Heere frei geblieben“, dozierte Machiavelli, während „Karthago von eigenen Söldnern bedrängt“ wurde. Als damals schon vorbildliches Beispiel nannte er die Schweiz.Die USA kassierten 1973 die Wehrpflicht, weil sich der Blutzoll des Vietnamkrieges als politisch untragbar erwies. Bei ihren Feldzügen und Invasionen griffen sie danach neben Berufssoldaten auf zahlreiche private „Sicherheitsdienste“ zurück. Erinnert sei an die DynCorp International – ein Global Player des Söldnerwesens. Oder an das berüchtigte, im Irak exponierte Unternehmen Blackwater. Erik Prince, dessen damaliger Besitzer, warb 2018 bei den in Afghanistan engagierten Staaten vergeblich darum, die Besatzungsmacht von 23.000 regulären Soldaten durch seine 65.000 Söldner zu ersetzen, die mit Unterstützung der CIA angeblich eher in der Lage seien, die Taliban zu besiegen.Söldnertruppen wenden sich häufig gegen ihre AuftraggeberNicht zu vergessen ist, dass Ende der 1980er Jahre die Taliban vom Westen und von der Arabischen Halbinsel großzügig mit Geld und Waffen ausgerüstet wurden, um die mit der Sowjetunion verbündete Regierung des Präsidenten Mohammed Nadschibullāh zu beseitigen. Als das 1996 passiert war, emanzipierten sich die Taliban von ihren Gönnern und begannen, frei nach Machiavelli, gegen sie zu kämpfen. Ähnliches geschah im algerischen Bürgerkrieg (1991 – 2002). Als sich die islamistischen Aufständischen vom Westen nicht mehr ausreichend unterstützt sahen, rächten sie sich mit mörderischen Attentaten in Frankreich. Auch bei diversen in Syrien aktiven „Rebellengruppen“, die von etlichen Golfstaaten ausgehalten wurden, handelte es sich um Söldner, die für einen Regime Change in Damaskus sorgen sollten. Damit sich diese etwa 30.000 Besiegten nicht in die ehemaligen Helferstaaten aufmachen, werden sie heute in Idlib, der weitgehend von der Türkei kontrollierten Nordprovinz Syriens, festgehalten und dank hoher Hilfsgelder versorgt.Um Einberufungen für seine reguläre Armee zu begrenzen, entschloss sich auch Russland, privaten Militärdienstleistern Rekrutierungen im eigenen Land zu gestatten. 2021 stritt Außenminister Sergei Lawrow noch jede offizielle Verbindung zur Wagner-Gruppe ab. Sie war in afrikanischen Ländern und Syrien aktiv und stimmte ihre Einsätze gegen einen bewaffneten, zumeist islamistischen Widerstand mit den dortigen Regierungen ab. Das funktionierte offenbar besser als die Zusammenarbeit mit Hilfstruppen westlicher Länder, obgleich diese zum Teil von der UNO legitimiert waren.An der Ukraine-Front wurde offenbar, dass sich Wagner-Anführer Jewgeni Prigoschin zwar als „patriotisch“ darstellte, realiter aber immer offener als Rivale von Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow auftrat, die ihm während der Schlacht um Bachmut angeblich nicht die geforderten Mengen an Munition lieferten. Angesichts dieses sich monatelang hinziehenden Zwists zog Wladimir Putin die Reißleine erstaunlich spät. Dem Beschluss, dass sich Privatarmeen auflösen oder dem Oberkommando der Armee unterstellen müssen, stimmten zunächst nur die von Ramsan Kadyrow geführten tschetschenischen Einheiten zu. Prigoschin hingegen wagte den Aufstand.Ob dieser Warlord, der ein fähiger Militär sein mag, aber keinerlei politisches Talent besitzt, anderswo noch einmal Militärberater werden kann, ist fraglich. Die afrikanischen Staaten, in denen seine Legionäre bisher präsent waren, haben immerhin erkannt, dass sie der Herausforderung durch bewaffnete islamistische Gruppen nur durch enorme Motivierung und Mobilisierung der eigenen Bevölkerung erfolgreich entgegentreten können.