Benin: Die Nationalparks werden zu Refugien islamistischer Freischärler
Report Präsidenten Patrice Talon führt einen wirtschaftlich florierenden Staat, woran er selbst gut verdient. Ein Stabilitätsanker für Westafrika ist Benin aber nicht, eine marodierende Guerilla hat sich im Norden festgesetzt. Zu Besuch in Cotonou
Erst Mathe- und Physikstudent, dann staatsnaher Großkapitalist, heute Präsident Benins: Patrice Talon
Foto: Patrick Zachmann/Magnum Photos/Agentur Focus
Die zentrale Küstenstraße, die von der Grenze Togos in die Hafenstadt Cotonou führt, macht einen friedlichen Eindruck. An der Peripherie der 50.000 Einwohner zählenden Stadt Grand Popo verkaufen Händler an Marktständen unter Sonnenschirmen Kartoffeln, Orangen und Kochbananen. Einen auf den ersten Blick ruhigen Eindruck macht auch Cotonou, mit rund einer Million Menschen wirtschaftliches Zentrum des Landes. In Cotonou wird einer der größten Seehäfen Westafrikas betrieben. Und Benin, dessen Bevölkerung seit 1970 von 3,3 Millionen auf heute mehr als 13 Millionen gewachsen ist, lebt größtenteils von Exporten und Re-Exporten, die an den Kais von Cotonou abgewickelt werden. Benin führt vorrangig Spinnstoffe und ölhaltige Fr
üchte aus. Das Land verfügt über riesige Baumwollplantagen. Militärpatrouillen in der Hafengegend, die stichprobenartig die Fracht von Kleintransportern und Trucks kontrollieren, lassen erahnen, dass es mit der inneren Sicherheit nicht zum Besten steht.Der reiche Präsident: Patrice TalonDer gewaltige Markt, wie ihn das benachbarte Nigeria mit seinen 213 Millionen Einwohnern bietet, hat dem Agrarstaat Benin zuletzt einen bescheidenen Aufschwung ermöglicht. Wovon bislang hauptsächlich Teile der städtischen Bevölkerung profitieren. Mit neuen Handelszentren und großen Supermärkten, mit Boulevards und Bordsteinen im europäischen Stil unterscheidet sich Cotonou von Togos weniger entwickelter Hauptstadt Lomé, die den größten Containerhafen Westafrikas unterhält. Wie eng Wirtschaft und Politik in Benin verflochten sind, zeigt sich in der Person des Präsidenten Patrice Talon. Der immer lächelnde Mittsechziger zählt zu den reichsten Männern im subsaharischen Afrika. Er gilt als klassischer Repräsentant jener reifen und reichen Eliten, wie sie häufig an der Spitze armer und von der Bevölkerung her junger Länder stehen. Das Magazin Forbes schätzt Talons Vermögen auf gut 400 Millionen Dollar. Der einstige Student der Mathematik und Physik – Talon studierte im senegalesischen Dakar – bewies frühzeitig ein Talent im Berechnen von Chancen für sein Fortkommen.1985, mit 27 Jahren, gründete er eine Gesellschaft für interkontinentalen Handel, zunächst vor allem mit Zucker. Seinerzeit firmierte Benin als „Volksrepublik“ und pflegte enge Bande zur Sowjetunion. In der feuchtwarmen Seeluft von Cotonou wehten rote Fahnen. Der Marxismus-Leninismus galt als ideologisches Fundament einer „sozialistischen Orientierung“. Doch hinter dieser Fassade, die sowjetische Entwicklungshelfer beeindrucken sollte, verbargen sich Pfründe für Privatunternehmer, die das damalige Militärregime zugestand. Dessen Chef Mathieu Kerekou ließ Patrice Talon zum staatsnahen Großkapitalisten aufsteigen.Als die ökonomisch angeschlagene Sowjetunion die Subventionen für Benin stornierte, ließ Kerekou freie Wahlen ausschreiben, die er 1991 prompt verlor. Die folgende Privatisierung von Staatsunternehmen verschaffte Talon ab 1990 den Besitz großer Baumwollfabriken. Er erhielt in Westafrika den Spitznamen „King of Cotton“, als Großunternehmen für Logistik und Baumwollhandel zu seinem Eigentum wurden. Schließlich avancierte er zum Monopolisten für den Export von Baumwollfäden und wurde zudem 2003 Mehrheitsaktionär von Novotel Benin. Diese Pfründe spornten ihn 2016 an, nach der Macht im Staat zu greifen. Talon bewarb sich bei der Präsidentenwahl als unabhängiger Kandidat, der Lasten der Vergangenheit abschüttelte und eine unabhängige Justiz wollte. Das machte im Wahlvolk, besonders in der jungen Generation, Eindruck. Talon gewann am 20. März 2016 die Stichwahl um das höchste Staatsamt mit 65,4 Prozent.Um seine Macht zu stützen, ließ er zwei Parteien aufbauen, eine Union der Fortschrittlichen und einen Republikanischen Block. Bei der Präsidentenwahl im April 2021 wurde der Staatschef mit 86,3 der Stimmen wiedergewählt, auch wenn die Wahlbeteiligung nur bei gut 50 Prozent lag. Menschenrechtsaktivisten monierten, dass führende Oppositionspolitiker zu Haftstrafen von 20 bis 25 Jahren verurteilt wurden, wegen „Terrorismus“ und Drogenhandel.Er sehe sich in der Kontinuität der Volksrepublik Benin, bekennt der heutige Präsident. So weihte er 2022 mit einer pathetischen Ansprache vor Anhängern mit dunklen Sonnenbrillen und muskulösen Militärs ein Denkmal für Mathieu Kérékou ein. Talon verband das mit einer Verbeugung vor „den Unsrigen“, womit er auch die als Soldaten im Zweiten Weltkrieg für Frankreich gefallenen Männer aus der damaligen Kolonie Benin meinte. Kritisch bewertete er bei seinem Auftritt Frankreichs Verhältnis zu den afrikanischen Kriegsopfern. Dabei griff Talon die derzeit Paris gegenüber kritische Stimmung im frankophonen Afrika auf, ohne sich in heftiger Polemik zu verlieren.Dass er stets ein Gespür für den Zeitgeist hat, bewies Talon im selben Jahr bei der Einweihung des imposanten „Amazonen-Denkmals“ in Cotonou. Das Kunstwerk, das überlebensgroß eine Frau mit Schwert in der rechten und einem Gewehr in der linken Hand zeigt, ehrt die weiblichen Soldaten des Vorgängerstaates von Benin, des Königreiches Dahomey. „Mut, Tapferkeit und Kampfbereitschaft“, so der Staatschef, seien „nichts Exklusives für das männliche Geschlecht“. Längst hätten die Frauen „den Mythos der weiblichen Schwäche verwehen lassen“.Wiederaufnahme des Handels mit dem NigerDie jetzige Schwäche Frankreichs in Afrika hingegen weiß Talon virtuos zu nutzen. Auf französischen Druck hatte sich Benin nach dem Militärputsch in Niger im Juli 2023 zunächst im Rahmen der westafrikanischen Staatengruppe ECOWAS an einer Handelsblockade gegen den inkriminierten Staat beteiligt. Dann aber, bei seiner Rede zur Lage der Nation am 21. Dezember, verkündete Talon, Benin werde „schnell die Beziehungen wiederherstellen“ zum Nachbarn im Norden. Man müsse jetzt „einen Punkt setzen“. Die Zeit, „sich aufzuregen“, sei vorbei, widmete sich Talon der künstlichen Empörung in Paris. Zum Jahresende ließ er den Seehafen Cotonou wieder für Waren aus und für Niger öffnen und setzte zugleich auf die Transiteinnahmen aus der 1.950 Kilometer langen Ölpipeline Niger-Benin. Diese längste Energietrasse Afrikas haben die Chinesen errichtet, deren Ölkonzern CNPC für das Projekt vier Milliarden Dollar investierte.Dass China für Benin ein Partner von wachsender Bedeutung ist, zeigte Ende August und Anfang September ein Staatsbesuch Talons bei seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Kurz zuvor, Ende Juli, hatte Benins Außenminister Adjadi Bakari in Sankt Petersburg auf Einladung von Wladimir Putin am Russland-Afrika-Gipfel teilgenommen. Nicht überhört wurde, dass der Vorsitzende der Nationalversammlung Benins zuvor erklärt hatte, die Kooperation mit Moskau sei „ein wichtiger Faktor der internationalen Zusammenarbeit“. Dies widersprach erkennbar der von Frankreich und anderen westlichen Ländern betriebenen Sanktionspolitik gegenüber Russland. In Moskau wiederum gaben Experten des Afrika-Institutes der Russischen Akademie der Wissenschaften in einem Papier zu verstehen, dass man „die relative politische Stabilität in Benin“ zu schätzen wisse.Islamisten gewinnen im Norden junge Leute für sichHinsichtlich eines sanktionsfreien Handels und flexibler Diplomatie ist sich die Führung in Benin mit der ihres Nachbarn Togo einig. Auch dessen Regierung und Außenministerium setzen auf Dialog sowohl mit Moskau als auch mit den drei Militärregierungen in Mali, Niger und Burkina Faso. Gerade aus diesem Nachbarland dringen immer wieder islamistische Verbände in den Norden Benins ein, teilweise auch nach Togo und in den Nordosten Ghanas. Nach Angaben des Militärführung in Benins Hauptstadt Porto-Novo kam es allein zwischen Januar und April 2023 im Norden des Landes zu fast 60 bewaffneten Angriffen auf Sicherheitskräfte.Die Anschläge gingen auf Kombattanten des Islamischen Staates (IS) und der mit al-Qaida verbundenen „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ zurück. Sicherheitsexperten sagen unumwunden, dass die Islamisten in der Bevölkerung des Nordens nicht völlig isoliert seien. Armut und Analphabetismus würden ihnen junge Leute zutreiben, denen sie sich als Kämpfer für Gerechtigkeit und den wahren Islam empfehlen. Die Terrorismus-Expertin Estelle Djanato analysiert, ihr Land führe „einen Kampf um nationale Integrität und gegen einen schwer zu identifizierenden Feind“. Zwar habe die Regierung in den Jahren 2021/22 mehr als 1.800 Polizisten eingestellt und 2.000 Soldaten rekrutiert, doch gelinge es den Extremisten nur allzu oft, Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern um den Zugang zu den Wasserreservoiren für sich zu nutzen.Löwen als kostenlose LeibgardeIn Cotonou spricht der Politologe Emmanuel Odilon Koukoubou von einer „neuen Ära der Gewalt“, die ihren Höhepunkt noch nicht erreicht habe. Staat und Zivilgesellschaft wüssten zu wenig über die Organisation und soziale Infrastruktur des extremistischen Untergrunds. Dessen Kämpfer wüssten sich im Schutz der Natur abzuschotten. Noch werben in Hotels von Cotonou Plakate für Ausflüge in den Norden, auch wenn derartige Exkursionen längst nicht mehr stattfinden. Gegenden wie der Pendjari National Park wurden zum Rückzugsraum von Freischärlern. Wo Touristen aus Europa vor nicht allzu langer Zeit in einer lichtüberfluteten Savanne Giraffen, Elefanten und Löwen in freier Wildbahn beobachten konnten, wurde das baumreiche Reservat mit seinen Wasserquellen zum Refugium für nicht etwa versprengte, sondern organisierte Untergrundkämpfer. Selbst Drohnen helfen wenig, eine verdeckte Konspiration mitten in der Wildnis auszumachen. Benins Sicherheitskräfte jedenfalls sind weder ausgebildet, geschweige denn ausgerüstet für solcherart Anti-Terror-Operationen. Und die Islamisten lassen streuen, sie könnten sich auf Löwen als kostenlose Leibgarde verlassen.Der praktisch nicht kontrollierbare Nationalpark umfasst 10.300 Quadratkilometer im Grenzraum zwischen Benin, Burkina Faso und Niger. Begegnungen mit nomadisierenden Viehzüchtern als ihren Glaubensbrüdern brauchen die Militanten nicht zu fürchten. Zwar gibt es neue Polizeistationen in den Städten am Rand des Parks. Vom Alltag in den Dörfern freilich sind diese einsamen Ordnungshüter meilenweit entfernt.
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