Sahelzone: Eine panafrikanische Jugend befreit sich vom Neokolonialismus
Westafrika Eine ECOWAS-Intervention ist vom Tisch, in Niger, Mali, Guinea und Burkina Faso haben sich die Militärregierungen stabilisiert. Sie stützen sich auf ein junges, intellektuelles Umfeld, das Frankreichs Ende als regionale Ordnungsmacht feiert
Ein weiterer Gewinner der Kämpfe bei Kidal genoss seinen Erfolg mehr als 5.000 Kilometer nördlich: Präsident Wladimir Putin, denn bei den Gefechten zuvor waren auch Kom
20 in Mali regierenden Oberst Assima Goïta.Ein weiterer Gewinner der Kämpfe bei Kidal genoss seinen Erfolg mehr als 5.000 Kilometer nördlich: Präsident Wladimir Putin, denn bei den Gefechten zuvor waren auch Kombattanten der vom russischen Staat finanzierten Gruppe Wagner im Einsatz, vorzugsweise als Ausbilder. Mit kaum einem anderen afrikanischen Staatschef telefoniert Putin so häufig wie mit Goïta, der in Moskau inzwischen den Ruf eines afrikanischen Che Guevara genießt, weil er westlichen Einfluss auf dem Kontinent zurückdrängen will.Thomas Sankaras VermächtnisNach einem Treffen mit dem Staatschef aus Bamako beim Russland-Afrika-Summit Ende Juli tauschte sich Putin mit diesem regelmäßig über die Lage in der Sahelzone aus. Bei einem Telefonat Anfang September sicherte er laut Kreml-Website Goïta „praktische Maßnahmen“ zu im „Kampf gegen den Terrorismus“. Es ist nicht zu übersehen, dass Russland Frankreich als Sicherheitspartner Malis verdrängt hat. Für Moskau scheint das Engagement eine Art Referenzprojekt zu sein nach der Devise: Empfiehlt man sich in der Sahelzone durch Hilfe im Anti-Terror-Kampf, kann das als Beispiel für ganz Afrika Schule machen.Dabei stabilisiert der militärische Erfolg für die malischen Autoritäten nicht nur deren Macht. Er ermutigt ebenso die Militärregierungen in Burkina Faso, Niger und Guinea, wo seit 2021 unter Colonel Mamady Doumbouya ebenfalls ein Militärkabinett das Sagen hat. Mit einem im August geschlossenen Vertrag zum gegenseitigen Beistand haben Mali, Burkina Faso und Niger eine Allianz formiert, die mehr als 69 Millionen Menschen umfasst. Diese Länder verfügen über durchweg junge Völker, angeführt von populären Offizieren. Das Durchschnittsalter liegt bei 15 Jahren in Niger und bei 18 in Burkina Faso. Ihre Reputation beziehen die herrschenden Obristen hauptsächlich aus der verbreiteten Abneigung gegenüber der einstigen Kolonialmacht Frankreich.Die Liste der Vorwürfe gegen die Pariser Politik auch in anderen frankophonen Staaten Westafrikas ist lang: gescheiterte militärische Eingriffe, die nicht mehr, sondern weniger Sicherheit brachten, französische Unterstützung für korrupte, überalterte Eliten und deren Wahlmanipulationen, das Fehlen einer effektiven Entwicklungsstrategie. Anders als bei manch früherem Staatsstreich in Afrika, wenn zuweilen eher schlichtes, geltungshungriges Personal die Macht ergriff, stützen sich die neuen westafrikanischen Regime auf ein intellektuelles Umfeld, das sich auf die breit gefächerte Bewegung des Panafrikanismus beruft. Und dessen Ressentiment gegen Neokolonialismus ist bekannt. Hauptmann Ibrahim Traoré, der 35-jährige Staatschef von Burkina Faso, gilt als gut vernetzt mit der panafrikanischen Jugendbewegung. Er setzt sich mit einem roten Barrett wie eine Reinkarnation des legendären revolutionären Staatschefs Thomas Sankara in Szene. Der Mann, der zehn Millionen Bäume gegen die Ausbreitung der Wüste pflanzen ließ, orientierte sich einst an Kuba und Fidel Castro. Im Oktober 1987 wurde er Opfer eines Mordanschlages und Putsches unter mutmaßlicher Beihilfe des französischen Geheimdienstes. Jahrzehnte später bekennen junge Afrikaner in den sozialen Netzen massenhaft, sie wollten einen Partner „mit dem Charisma eines Thomas Sankara“.Ein echter Diplomat: Robert Dussey aus TogoAnteil am schwindenden Ansehen Frankreichs in Westafrika hatte nicht zuletzt die Reaktion der Pariser Führung auf den Militärputsch in Niger am 26. Juli. Außenministerin Catherine Colonna, die bei afrikanischen Kollegen den Ruf einer realitätsfernen Rechthaberin genießt, drängte die Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zum Militärschlag gegen Niger. Was afrikanische Politiker vom Quai d’Orsay zu hören bekamen, ähnelte mehr Telefonterror als Telefondiplomatie, doch hatte man sich in Paris verkalkuliert. Die Invasionsdrohung machte die neue Führung in Niger noch beliebter. Sie mobilisierte in der Hauptstadt Niamey jubelnde Anhänger zu Protesten gegen die Pariser Politik.Frankreich musste letztlich wie zuvor schon in Mali seine Truppen abziehen, bald auch den Botschafter. Eine Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) befand, die Rückzüge aus dem Sahel stellten „das französische Selbstverständnis als regionale Ordnungsmacht infrage“. Die Aussicht auf einen von der einstigen Kolonialmacht angezettelten Krieg von Afrikanern gegen Afrikaner stieß auch bei prowestlichen Regierungen des Kontinents auf wenig Begeisterung. Zunächst schworen Mitglieder des Senates in Nigeria ab. Anfang November knickte auch einer der folgsamsten Pariser Partner in Westafrika ein: Allasane Ouatarra. Der Präsident der Elfenbeinküste räumte öffentlich ein, in Niger zu intervenieren, das sei keine Option mehr.Seither stehen die Zeichen auf Diplomatie und Dialog mit Niamey, ein klare politische Niederlage für Emmanuel Macron und seine Außenministerin, die auf einen gewaltsamen Sturz der Exekutive um General Abdourahamane Tiani gesetzt hatten. Dass es nicht dazu kam, ist auch das Ergebnis einer taktisch geschickten Politik des Außenministers der Republik Togo, Robert Dussey. Der Diplomat – seit 2013 im Amt und zuvor acht Jahre Präsidentenberater – ist Experte für friedliche Lösungen von Konflikten, dazu Autor eines Buches über dauerhaften Frieden in Afrika. In einem Interview mit Jeune Afrique bezog Dussey jüngst Position: „Wir ziehen den Dialog jeder bewaffneten Operation vor.“ Die Militärregierungen in Mali, Burkina Faso, Niger und Guinea nennt er „Regime des Übergangs“ und ist sich sicher, dass deren Führungen Wahlen organisieren werden. Für Paris hat Dussey den Vorschlag parat, mit diesen neuen Führern zu sprechen, statt sie zu maßregeln.Verstehen statt anklagenDass der Chefdiplomat des zehn Millionen Einwohner zählenden Togo damit das französische Außenministerium vor sich hertreibt, dokumentiert einen Paradigmenwechsel, auf den Paris nicht vorbereitet war. In den 1960er- und 1970er-Jahren regierten Präsidenten wie Charles de Gaulle und George Pompidou afrikanische Länder inklusive Togo quasi mit dem Telefonhörer. Im kollektiven Gedächtnis haftet die Erinnerung an den dafür zuständigen Präsidentenberater Jacques Foccart, genannt „Monsieur Afrique“. Der „Manipulateur“ (Le Monde) beherrschte als „Frankreichs graue Eminenz“ (Spiegel) virtuos ein Repertoire, das von Wahlfälschungen über Putsche bis zum Vergiften von Oppositionspolitikern in Kamerun reichte. Allein dass es diese Machenschaften gab, nährte in der Sahelzone den Wunsch nach einer grundlegenden Abkehr von den Gebaren der „Afrika-Zelle“ des Élysée-Palastes.Togos Außenminister wurde inzwischen in der malischen Kapitale Bamako häufig gesehen. Er trug entscheidend dazu bei, dass die ECOWAS-Staaten Sanktionen gegen Mali aufhoben. Die regierungskritische togolesische Zeitung Le Correcteur nennt ihn „eine Vertrauensperson von Oberst Goïta“. Malis Außenminister Abdoulaye Diop sagt in einem Interview mit der togolesischen Zeitung Depeche, der Unterschied zwischen Togo und anderen ECOWAS-Staaten bestehe darin, dass man versuche, „Länder in der Krise zu verstehen, statt zu versuchen, sie anzuklagen“ – das ging an die Adresse Frankreichs.Togo veranstaltete Ende Oktober ein „Friedens- und Sicherheitsforum“ in der Hauptstadt Lomé. Dabei gab die Regierung auch Vertretern der neuen Macht in Mali, Burkina Faso und Niger Gelegenheit, sich zu äußern. Den Versuch, in Afrika als politischer Trendsetter in Erscheinung zu treten, will die Diplomatie Togos 2024 fortsetzen, wenn in Lomé ein panafrikanischer Kongress anberaumt ist, bei dem jetzt schon feststeht, dass Außenminister Robert Dussey dort auftreten wird.Placeholder infobox-1
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