An Vorschusslob für den neuen Minister mangelt es nicht. Rustem Umerow, so die Washington Post, habe „ein Ansehen als erfahrener Verhandler“ und als Korruptionsbekämpfer. Eine „tadellose Reputation“ bescheinigt ihm der Kiewer Politologe Wladimir Fessenko. Umerows Ernennung, so der Atlantic Council, eine Denkfabrik in Washington, zeige ein „symbolisches Niveau“ der ukrainischen Staatsführung. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte den bisherigen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow Anfang September entlassen. Dem Rauswurf vorausgegangen waren Korruptionsskandale um überteuerte Kartoffeln, Eier und Winterjacken für die Armee. Dafür war zwar Resnikow nicht persönlich verantwortlich, aber er hatte die Bereicherung nicht
leksij Resnikow Anfang September entlassen. Dem Rauswurf vorausgegangen waren Korruptionsskandale um überteuerte Kartoffeln, Eier und Winterjacken für die Armee. Dafür war zwar Resnikow nicht persönlich verantwortlich, aber er hatte die Bereicherung nicht verhindert.Das Verteidigungsministerium, so Selenskyj, brauche „neue Ansätze und andere Formate des Zusammenwirkens, sowohl mit den Militärs als auch mit der Gesellschaft als Ganzes“. Um das zu erreichen, setzt er nun auf Umerow. Der 41-Jährige gehört zur ethnischen Gruppe der Krimtataren und war ab 2007 als Berater für deren Wortführer Mustafa Dschemiljew tätig. Umerows Familie wurde 1944 während der deutschen Okkupation auf Geheiß der sowjetischen Führung zusammen mit rund 200.000 anderen Krimtataren nach Usbekistan deportiert. Der sowjetische Geheimdienst beschuldigte die Krimtataren der Kollaboration mit den Besatzern. Die Nazis hatten die Halbinsel Krim 1942 bis 1944 beherrscht und sich dabei auch eines Bataillons aus Krimtataren bedient.Geboren in SamarkandIn der Diaspora also, nahe der Stadt Samarkand, wurde Umerow 1982 geboren. Ende der 1980er Jahre zog er mit seiner Familie auf die Krim nach Aluschta, wo seine Vorfahren bis 1944 gelebt hatten. Nach dem Abitur auf einem krimtatarischen Gymnasium, das der Bewegung des in den USA lebenden muslimischen Geistlichen Fethullah Gülen gehörte, nahm Umerow in Nordamerika am Programm Future Leaders Exchange (FLEX) teil, das vom State Department unterstützt wird. Ab 2002 dann war er für das ukrainische Mobilfunkunternehmen Lifecell tätig, zunächst in der technischen Direktion, später dann im Marketing. Ab 2007 gehörte er der Landsmannschaft der Krimtataren und deren Parlament – dem Kurultai – an, das nach der Annexion der Halbinsel vom Obersten Gericht Russlands als „extremistische Organisation“ verboten wurde.Bekanntlich gab es am 27. Februar 2014 auf der Krim ein umstrittenes Referendum, nachdem die Region der Russischen Föderation beigetreten war. Umerow verurteilte diesen Vorgang als Annexion und exponierte sich in der liberalen Partei „Holos“, deren Führer Swjatoslaw Wakartschuk auf der kalifornischen Stanford-Universität ausgebildet worden war.Auf Empfehlung von Francis FukuyamaMichael McFaul, 2012 bis 2014 US-Botschafter in Moskau, und der Politologe Francis Fukuyama empfahlen Umerow der Partei – eine Karriere als Parlamentarier biete sich an. Und so kam es, bei der Parlamentswahl 2019 gewann Umerow ein Mandat für „Holos“ und saß fortan in der Kiewer Rada.Im September 2022 beförderte ihn Präsident Selenskyj zum Vorsitzenden des Fonds für Staatseigentum, der die Mehrzahl der gut 3.000 Staatsunternehmen verwaltet. Diese Behörde – sie gilt in der Ukraine als „Kloake der Korruption“ (FAZ) – führte Umerow skandal- und unfallfrei. Über Details seiner Arbeit wurde wenig bekannt. Dass unter seiner Ägide spektakuläre Enthüllungen über Korruptionsfälle ausblieben, spricht nicht dafür, dass Umerow Firmen und Behörde wie mit einem Zauberstab von Vetternwirtschaft befreite. Wahrscheinlicher ist, dass er jene pragmatische Methode anwandte, die auch Selenskyj bevorzugt: den vorhandenen Apparat benutzen, ohne sich von dessen Vergangenheit stören zu lassen.Er verhandelte mit den USA über WaffenFür das Vertrauen des Präsidenten in Umerow spricht, dass dieser First Lady Olena Selenska im März in die Vereinigten Arabischen Emirate begleiten und im Mai an Selenskyjs Seite sein durfte, als der überraschend zum Gipfel der Arabischen Liga in Saudi-Arabien reiste. Zudem verhandelte er im Auftrag Selenskyjs in den USA, um weitere Waffenlieferungen zu besiegeln. Diplomatisches Gespür zeigte Umerow bei Sondierungen mit Russland über den Austausch von Gefangenen und ukrainische Getreideexporte.Der neue Verteidigungsminister spricht Ukrainisch, Russisch und Krimtatarisch, Englisch und Türkisch – eine in Kiew wahrlich seltene Kombination. Derzeit kommt ein heikles Anliegen gegenüber westlichen Partnern auf Umerow zu. Seine Regierung will etliche Länder dazu drängen, wehrpflichtige Ukrainer auszuliefern. In Deutschland ist die Rechtslage hierzu allerdings diffizil – Umerow steht wohl vor einer „Mission impossible“.Auf den Verlauf von Frontoperationen dürfte der Zivilist Umerow auch künftig wenig Einfluss haben. Über die entscheidet nicht der Verteidigungsminister, sondern der Generalstab unter General Walerij Saluschnyj. Der ist seit Juli 2021 im Amt und hält sich nicht zuletzt dank viel Rückendeckung aus Washington. Der Posten des Verteidigungsministers hingegen gilt in der Ukraine als Schleudersitz.