Ukraine fordert Taurus-Lenkflugkörper: Was es mit der nächsten „Wunderwaffe“ auf sich hat

Meinung Der deutsche Marschflugkörper Taurus soll helfen, Russlands Nachschublinien zu unterbrechen. Doch die Waffe reicht weiter als bis zur Krim. Wolfgang Michal kommentiert die Forderungen aus der Ukraine
Ausgabe 33/2023
Ukrainische Waffenforderungen: Höher, schneller, weiter
Ukrainische Waffenforderungen: Höher, schneller, weiter

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die USA kennen das Problem aus Südkorea und Südvietnam. Die dortigen Regierungen unter Rhee Syng-man und Ngo Dinh Diem drohten stets mit ihrem Zusammenbruch, wenn die USA nicht endlich mehr Waffen und Soldaten in den Krieg schicken würden. Also mussten die USA liefern. Denn sie hatten die asiatischen Regionalkriege zu Entscheidungsschlachten zwischen der freien Welt und den kommunistischen Diktaturen hochstilisiert. Sie würden ihr Gesicht verlieren, wenn sie den Wünschen der bedrängten Regime in Seoul und Saigon nicht nachgeben würden. Dieses so unauflösbare wie selbst verschuldete Dilemma schildert der US-Historiker John Lewis Gaddis in seiner bemerkenswerten Studie über den Kalten Krieg. Die Androhung des eigenen Zusammenbruchs sei stets die bewährte „Waffe“ schwacher Staaten gegenüber Unterstützern gewesen.

Auch in der Ukraine ist das Muster erkennbar. Gerät die ukrainische Armee in die Defensive, werden umgehend Forderungen nach mehr Waffen laut. Zuerst sollten Kampfpanzer wie der US-amerikanische Abrams oder der deutsche Leopard 2 die Kriegswende bringen, dann Kampfjets wie die F-16, nun Mittelstreckenraketen wie der bunkerbrechende deutsche Lenkflugkörper Taurus. Das lässt sich gewiss noch steigern.

Allerdings handelt der Westen im Fall der Ukraine nicht moralisch, sondern zynisch. Er gesteht immer nur so viele Waffen zu, dass die Ukraine den Krieg nicht verliert und Russland ihn nicht gewinnen kann. Das angestrebte Dauerpatt nimmt die langsame Zerstörung der Ukraine in Kauf, um das übergeordnete Ziel des Westens, die Schwächung Russlands, möglichst risikolos zu erreichen.

Doch inkompetente Journalisten und politikberatende Pseudoexperten verbreiten nun erneut, wie beim Kampfpanzer Leopard 2, das Märchen, die Wunderwaffe Taurus werde die Rückeroberung der Krim ermöglichen. Die an vorderster Front kämpfende Bild fragt scheinheilig: „Kann unsere Super-Waffe den Krieg entscheiden?“ Die Taurus-Rakete, raunen Kriegserklärer bedeutungsvoll, sei in der Lage, die mächtigen Brückenpfeiler der mehrfach vergeblich angegriffenen Kertsch-Brücke zum Einsturz zu bringen und so die Hauptversorgungslinie der russischen Armee zur Krim endlich abzuschneiden. Die Entfernung zwischen der südukrainischen Stadt Cherson und der Kertsch-Brücke beträgt ziemlich exakt 500 Kilometer, das entspricht, wie überall zu lesen ist, der Reichweite der Taurus-Rakete. Allerdings wird gern vergessen, dass die Internetseite der Herstellerfirma als Reichweite „greater than 500 km“ angibt. Von der Nordostgrenze der Ukraine könnte das Geschoss auch Wladimir Putins „Führerbunker“ in Moskau erreichen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD), von vielen als „zögerlich“ gescholten, möchte eine derartige Eskalation, die im Extremfall auch eine atomare Antwort auslösen könnte, gern ausschließen. Er bringt deshalb eine technische Begrenzung der Raketen-Reichweite in die Diskussion. Aber das ist Augenwischerei, denn technische Begrenzungen lassen sich rückgängig machen. Die ukrainischen Armeetechniker haben inzwischen viel Übung darin, westliche Waffensysteme an ukrainische Notwendigkeiten anzupassen.

Bleibt die Frage: Welcher Kampfbomber soll die deutsche Rakete in die Luft bringen? Hierzulande verschießen nur Tornado und Eurofighter solche massiven Zerstörungswaffen mit ihrem durchschlagenden 500-Kilogramm-Gefechtskopf „Mephisto“. Man kann sich also denken, welche Waffengattung als Nächstes von der Ukraine gefordert wird.

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