Der Tod des Oppositionellen Alexej Nawalny in einem Straflager am Polarkreis erweist sich in mehrfacher Hinsicht als Tragödie. Die Stimme eines streitbaren Videobloggers und scharfen Kritikers der Staatsmacht ist verstummt. Es wird sich in nächster Zukunft kaum klären lassen, woran der 47-Jährige gestorben ist. War es ein Anschlag, waren Folgen der Haft und der quälenden Prozesse ausschlaggebend? Nawalny hatte noch für die am 17. März anstehende Präsidentenwahl zu demonstrativen „Besuchen“ von Wahllokalen aufgerufen. Was Exiloppositionelle wie Tatjana Stanowaja und Jekaterina Schulman vermuten lässt, im Moskauer Machtapparat sei Nawalny wieder mehr als Sicherheitsrisiko wahrgenommen worden.
Russland: Repressionen gegen Bürgerrech
52;rgerrechtlerDafür spricht die Reaktion der Staatsmacht auf Trauerbekundungen. Bürgerrechtler berichten von gut 400 Festnahmen und Arrest in Moskau und St. Petersburg. Der russische Staat fällt reflexhaft zurück in repressive Reaktionen im Stil des Realsozialismus. Für einen möglichen Mord an Nawalny ist das jedoch kein Beweis. Was westliche und ukrainische Politiker dennoch nicht daran hindert, Wladimir Putin für den Tod Nawalnys verantwortlich zu machen. Joe Biden hat keinen Zweifel, dass Russlands Präsident daran die Schuld trägt. Olaf Scholz sekundiert, man wisse nun „ganz genau, was das für ein Regime ist“. Und Wolodymyr Selenskyj bekundet auf der Münchner Sicherheitskonferenz, es sei für ihn klar: „Er wurde getötet von Putin.“Teilnehmer dieses Treffens gaben sich sogar überzeugt, Nawalny sei gezielt getötet worden, um sie damit zu konfrontieren. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Trommlerin für die Lieferung von Taurus-Flugkörpern an Kiew, empfahl die Rakete als adäquate Reaktion auf den Tod Nawalnys. Ein eher fragwürdiges Unterfangen – welches Interesse konnte Putin haben, den Fall Nawalny zum Thema der Münchner Konferenz zu machen? Die Lieferung deutscher Taurus-Systeme an die Ukraine wäre ein Verzweiflungsakt, aber keine Strategie. Mit Rache-Raketen kommt man einem Kriegsende nicht näher.Heilsbringer-HoffnungenUnd wer in Russland keinen Polizeistaat wünscht, kann bei nüchterner Betrachtung kein Interesse daran haben, dessen Führung noch mehr auf den Weg der Eskalation zu treiben. Kommentatoren nutzen den Fall Nawalny, um den Toten – wie der Exilaktivist Michail Sygar – als „Messias“ zu verklären. Das verkennt nicht nur die Widersprüchlichkeit Nawalnys, der jahrelang zwischen brillanter Korruptionskritik, vagen Wunschvorstellungen und xenophoben Auftritten mäanderte. Eine solche Sicht ignoriert im Übrigen russische Geschichte. Es ist wirklichkeitsfremd, anzunehmen, ein Heilsbringer könne historisch begründete paternalistische Strukturen per Handstreich verschwinden lassen. Auch der unternommene Versuch, die Witwe Nawalnys als Exilpolitikerin zu profilieren, dürfte in Russland kaum Wirkung hinterlassen. Seit Längerem schwelen in der Exilgemeinde des Nawalny-Anhangs Führungskämpfe.Bereits im März 2023 musste Leonid Wolkow, der ambitiöse Organisationsleiter des von Nawalny gegründeten Fonds zur Bekämpfung der Korruption, im litauischen Vilnius auf internen Druck zeitweilig zurücktreten. Er hatte in Briefen an die EU-Kommission dafür plädiert, mehrere russische Oligarchen von der Sanktionsliste zu streichen. Dass Wolkow nun den Führungsanspruch der Witwe widerspruchslos hinnimmt, ist nicht zu erwarten.