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Film In einer Perle von 1957 kämpfen Menschen aus aller Welt gegen eine tödliche Krankheit
Ausgabe 19/2020

Heute, wo der globale Zusammenhang vor allem mit Furcht besetzt ist, schadet es nicht, daran zu erinnern, dass er sich auch im Kino einmal mit der Hoffnung auf eine gedeihliche Vernetzung der Welt verband. So vergab die UNO zwischen 1949 und 1976 einen eigenen Filmpreis, der Völkerverständigung propagieren und Krieg, Rassismus sowie die atomare Aufrüstung geißeln sollte. Preisträger waren illustre Filme wie Dr. Seltsam, Schlacht um Algier oder Die Gärten der Finzi Contini. Die Jurys bevorzugten ein Kino der guten Absichten, was aber künstlerischen Wert nicht notwendig ausschloss.

1957 gab es einen unverhofften Preisträger: Si tous les gars du monde, ein heute obskurer französischer Abenteuerfilm, der in der BRD unter dem Titel TKX antwortet nicht herauskam und in der DDR Wenn alle Menschen der Welt ... hieß. In Frankreich ist er vornehmlich dank seines Titelliedes bekannt, einer schmissigen Hymne auf die Solidarität. Sporadisch ist diese filmische Perle im Programm von Arte zu entdecken. Ihre künstlerische Abkunft verblüfft: Regie führte Christian-Jaque, der dank Fanfan, der Husar nicht ganz vergessen ist; das Drehbuch schrieb Henri-Georges Clouzot.

Der Film handelt von einem bretonischen Fischdampfer, auf dem vor der norwegischen Küste eine rätselhafte Krankheit ausbricht. Nur der Marokkaner Mohammed (Doudou-Babet) bleibt verschont, weil er als Muslim kein Schweinefleisch isst. Als die Notrufe des Schiffes auf offiziellen Kanälen nicht gehört werden, weicht der Funker auf einen Kurzwellensender aus. Es lohnt, die Route genau zu verfolgen, die dieses Signal nimmt: Es wird von einem Amateurfunker im Togo empfangen.

Das ist der entlegenste Punkt im sonst auf Europa zentrierten Koordinatensystem des Films. Das Land besitzt einen schillernden historischen Hintergrund: ehemals deutsche Kolonie, seit 1916 Mandatsgebiet zunächst des Völkerbundes und danach der Vereinten Nationen, das während der Entstehung des Films unter französischer Verwaltung stand; die Amtssprache erleichtert die Kommunikation mit den bretonischen Fischern. Die fernmündliche Diagnose des herbeigerufenen Dorfarztes lautet auf Botulismus. Das Serum, das im Pasteur-Institut in Paris vorhanden ist, muss die Patienten binnen zwölf Stunden erreichen. In Paris hört ein junger Radiotechniker (Jean-Louis Trintignant in einer seiner ersten Rollen) die Nachricht aus Westafrika. Mithilfe einer desillusionierten Ärztin bekommt er die Medizin und bringt sie zum Flughafen Orly.

Nun nimmt die Strecke eine bemerkenswerte zeitgeschichtliche Wendung. Am Münchener Flughafen soll ein Amateurfunker das Päckchen entgegennehmen. Matthias Wieman spielt diesen Kriegsblinden, der sich für die Ehre bedankt, mitwirken zu dürfen. Er besiegelt nicht nur die private Versöhnung ehemaliger Kriegsgegner; sein Darsteller leistet damit auch Abbitte für seine Verstrickungen während der Nazizeit. Allerdings wurde derweil in Paris der Air-France-Flug nicht mehr erreicht. Stattdessen erklärt sich eine polnische Stewardess bereit, die Medizin nach Berlin-Schönefeld zu befördern. Es trifft sich, dass die Tochter des Münchner Amateurfunkers heimlich mit einem GI liiert ist, der einen Kameraden in Westberlin benachrichtigt.

Beherzt zerreißt der Film nun den Eisernen Vorhang: Der amerikanische Besatzungssoldat findet die Stewardess zwar in einem Hotel in Ostberlin, wird aber verhaftet. Ein sowjetischer Offizier, der ihn verhört, lässt sich aber von der Dringlichkeit der Mission überzeugen. Ein Militärflugzeug transportiert das Serum nach Kopenhagen. Als der sowjetische und der Air-France-Pilot bei der Übergabe salutieren, hat man kaum noch Zweifel am Gelingen des völkerverbindenden Unterfangens. Allerdings ist der Fischdampfer inzwischen in einen schweren Sturm geraten, weshalb sich zuletzt noch Mohammed todesmutig in die Fluten stürzen muss, um seine Kameraden zu retten.

Faszinierend ist die Mischung aus humanem Pathos und beiläufigem Heldentum, mit der der Film seinen Parcours des Engagements bewältigt. Er handelt nicht von Pflichteifer, sondern spontaner Bereitschaft. Die übernationale Initiative ist privat, inoffiziell, erst spät wird sie mitgetragen von behördlicher Unterstützung. Die einzelnen Glieder der Kette sind einander nie zuvor begegnet. Sie könnte in jedem Moment reißen, wird aber zusammengehalten von geistesgegenwärtiger Solidarität. Die Welt rückt ein wenig zusammen in diesem Film. Kleiner wird sie dadurch nicht.

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