Erst DDR, dann Wende – jetzt Klima: Marion Dorn rettet das Land
Ostfrauen Marion Dorn gehört zu den wenigen Frauen in Deutschland, die einen Agrarbetrieb gründeten. Sie brachte ihn durch die turbulenten Zeiten nach 1990, in denen kaum einer in der Landwirtschaft blieb. Heute steht ihr Dorf vor neuen Wendezeiten
Auf der Abschlussurkunde von Mafrion Dorn steht „Diplomagrarökonom“. Für das Tattoo im Nacken war das zu lang.
Illustration: Avon Comic
Es ist nicht einfach, Marion Dorn zu treffen. Immer unterwegs: als Bürgermeisterin, als Chefin der Pflanzen- und Tierproduktion, als Vorsitzende des Geflügelwirtschaftsverbandes Mecklenburg-Vorpommern, als eine von zwei Vorstandsfrauen im zuständigen Bundesverband, als Mutter und Großmutter. Und als Geschäftsführerin der Landboden und Agrarprodukte GmbH, gegründet im November 1991. Sie wirkt sportlich, in Jeans und Pullover. Die Haare pragmatisch kurz.
In ihrem Büro fällt ein gerahmter Spruch ins Auge: „Du musst nicht immer einen Plan haben.“ Hatte die heute 63-Jährige je einen? „Nie“, sagt Marion Dorn. „Ich wollte einfach nur, dass das hier alles bestehen bleibt.“ Mit dem „hier“ meint sie die
t sie die gegenwärtigen landwirtschaftlichen Standbeine. Das Geflügel, die Kühe, die Pflanzenproduktion, die Biogasanlage. Neu aufgebaut, hinübergerettet in die Nachwendezeit. Tierhaltung gab es schon immer im Dorf, auch zu DDR-Zeiten, die eigene Pflanzenproduktion und die Stromerzeugung kamen nach der Vereinigung dazu. Green Energy, die Biogasanlage, ist das jüngste Unternehmensstandbein. Das klingt nach Zeitgeist, macht das Unternehmen vor allem energetisch unabhängig. Aber hat auch das Dorf etwas davon? Mal schauen, sagt Marion Dorn. Im Moment wird an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet. Die Dorfbevölkerung wurde nach gegenwärtigen Heizungsformen befragt und ob überhaupt Interesse an einer gemeinsamen Anlage besteht.Was zählt, ist das GeflügelMarion Dorn ist eine Frau mit einer Ost-West-Biografie. Jahrgang 1960, aufgewachsen im Speckgürtel von Berlin. In Zeuthen, einem Ort mit viel Wasser und Wald. Nach der Schule lernte sie Zootechnikerin für Geflügelproduktion. Heute sagt man dazu Tierpflegerin oder Tierpfleger. Das Federvieh sollte ihre berufliche Karriere bestimmen. Doch wie kommt man auf Henne und Hahn, wenn man städtisch aufwächst? Marion Dorn lacht über diese Frage und sagt, „nö“, sie selbst sei ja auch gar nicht auf die Idee gekommen. Das war ihr Vater. Der fand, das KIM, das Kombinat für industrielle Mast in Königs Wusterhausen, sei ein moderner Ausbildungsort. Ein staatlicher Betrieb, gegründet schon 1967 und berühmt geworden durch den sogenannten Goldbroiler. Ein absolutes Lieblingsessen in der DDR.Die Tochter lernt alles über Rassen, von der Brüterei über Aufzucht, Elterntier- und Legehennenhaltung bis hin zur Schlachtung. Gleich danach geht’s weiter mit einem Studium zum Veterinäringenieur. Diesen Beruf gibt es heute gar nicht mehr. Das war so eine Art Vorstufe zum Tierarzt, das Wissen half sehr im Alltagsumgang mit Tieren. Dann noch einmal zweieinhalb Jahre Betriebswirtschaft pauken.Auf der Abschlussurkunde steht „Diplomagrarökonom“. Die männliche Berufsbezeichnung. Das war so, auch in der DDR, trotz weitgehender beruflicher Gleichstellung der Frauen.LPG WoldeDrei Ausbildungen, zwei davon akademisch, damit geht Marion Dorn in den Norden, aufs platte Land. Sie ist 24 Jahre alt, hat längst ihren Man kennengelernt. In der kleineren deutschen Republik war es üblich, dass studierte Leute für drei Jahre dorthin gehen mussten, wo der Staat sie brauchte. Für das Ehepaar Dorn bedeutete das im Jahr 1984 Umzug nach Wolde, ein Dorf nahe Altentreptow. Was hat sie gewusst über diesen etwa 500-Seelen-Ort? „Nichts“, das sei auch „nicht wichtig“ gewesen, sagt sie. Was zählte, war das „Geflügel“. Die damalige LPG Wolde hatte reichlich davon. Marion Dorn wird Chefin über Tausende Masthähnchen, ihr Mann übernimmt die Milchkühe. Was beide allerdings nicht ahnten, dass sie auf Ställe aus den 1950er Jahren treffen. Irgendwie war die Zeit in Mecklenburg stehengeblieben. Was blieb, war Ärmel hochkrempeln, Stück für Stück umbauen. Wände mauern, die alten Holztröge und Eisentränken raus, neue Heizung rein. Kein leichtes Unterfangen in einem Land mit ständigem Materialmangel.Aber 1989 war alles geschafft. Und dann kam die Wende.Da war Marion Dorn gerade zu Hause, im „bezahlten Babyjahr“. Ihre dritte Tochter war geboren, Mitte Oktober, knapp drei Wochen vor dem Jubel, Trubel am Brandenburger Tor in Berlin. Ihr war nicht danach. Unsicherheit drängte sich in den Alltag. Was wird aus uns? Aus der LPG? Aus den 200 Leuten, die in der Tierproduktion in Lohn und Brot stehen? Was wird aus dem Dorf, wenn die Landwirtschaft den Bach runtergeht? Und immer wieder die Frage, wie geht Landwirtschaft in der Marktwirtschaft?Sie fing an, sich zu kümmern. Hätte viel mehr Zeit gebraucht, um die Vor- und Nachteile einer EG, einer eingetragenen Genossenschaft, zu verstehen. Oder den Unterschied zwischen einer GmbH und einer Co. KG. Auch wie man was gründet und mit welcher Haftung? Die Zeit war nicht. Die Berater aus dem Westen gaben sich die Klinke in die Hand. Nicht immer mit den besten Tipps. Und das Komplizierteste: Vor dem Neuen stand das Alte. Die Auflösung der LPG, Leute entlassen zu müssen, sie in die Arbeitslosigkeit, ins Altersübergangsgeld, in die berühmten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu schicken. Das war „emotional nur schwer auszuhalten“, sagt Marion Dorn.Am Ende kamen fast alle irgendwie und irgendwann unter. Einige ehemalige Genossenschaftsmitglieder ließen sich auszahlen oder nahmen ihre acht oder zehn Hektar Land zurück, machten sich selbstständig.Das, was Marion Dorn im Kleinen erlebte, war in der gesamten ostdeutschen Landwirtschaft eine Art Erdbeben. Angela Merkel, die Ex-Bundeskanzlerin, erzählt in einem Interview in der Zeit von 2019, dass von den „einst rund elf Prozent in der Landwirtschaft Beschäftigten“ nach dem gesellschaftlichen Umbruch „gerade mal 1,5 bis 2 Prozent übrig geblieben“ wären.Nach der Wende: „Marion soll es machen“Marion Dorn ist so eine „Übriggebliebene“. Sie hätte längst gehen können, die drei Pflichtjahre nach dem Studium waren vorbei. Aber das Dorf war ihr Zuhause geworden, auch das der Kinder, und die Dorns hatten als Paar angefangen, ein Haus zu bauen. Gute private Gründe fürs Bleiben. Wichtiger aber war: Sie wollte nicht hinschmeißen. Hatte doch etwas aufgebaut im Dorf, für das Dorf, mit dem Dorf. War sie zu DDR-Zeiten „nur“ Chefin der Geflügelwirtschaft, nimmt Marion Dorn Ende 1991 den ganzen Laden in die Hand. Vorgesehen war das nicht, der Ehemann sollte Geschäftsführer werden. Versprochen vom alten Vorsitzenden. Die Mitstreiter und Mitstreiterinnen der neu gegründeten Landboden GmbH entschieden anders: „Marion soll es machen.“ Ein schönes Gefühl, dieses Urvertrauen zu bekommen.Heute gehören zur Landboden GmbH 18 Angestellte. Ideen werden im Team besprochen und entschieden. Auch wenn Marion Dorn das endgültige Sagen hat, für Fehlentscheidungen dann auch hin und wieder den Kopf hinhalten muss. Im August dieses Jahres ging beispielsweise die letzte Milchkuh vom Hof. Die Haltung rechnete sich nicht mehr, dazu fand sich weit und breit kein einziger Melker, der sieben Tage die Woche und halb in der Nacht melken wollte. Da hätte sie früher aussteigen sollen, sagt die Geschäftsführerin.Ein konventioneller Betrieb, aber mit Blühstreifen und Tierwohl-LabelVeränderungen auch im Dorf. In alte, leer stehende Häuser zogen neue Besitzer. Viele Großstädter. Da prallen schon mal unterschiedliche Sichten auf Ackerbau und Viehzucht aufeinander. Die Landboden GmbH sei „kein Bio-Betrieb, sondern ein konventioneller“. Aber auch dafür gebe es Auflagen und Kriterien. An den Dorfrändern ziehen sich breite „Blühstreifen“ hin, „erst dahinter wird geackert“. Sie haben sich der privaten Initiative Tierwohl angeschlossen, die Einhaltung wird unangekündigt kontrolliert, muss von den jeweiligen Unternehmen auch bezahlt werden.Aber neue Einwohner bringen auch neue Ideen. Wolde ist eine Gemeinde mit sieben angeschlossenen Ortsteilen. Im ehemaligen Gutshaus gibt es das Gemeindezentrum, einen Kulturverein. Im Frühjahr tummeln sich die Leute auf dem Pflanzenmarkt, im Dezember auf dem Adventsmarkt, zwischendurch gibt es das Erntefest. Dem einst eingeschlafenen Fußballverein hauchten hundert Kinder neues Leben ein. Und was wäre eine Gemeinde ohne freiwillige Feuerwehr. Für sie ist ein neues Haus in Planung.Verantwortung als Bürgermeisterin, als Geschäftsführerin. Mario Dorn sagt: „Ich habe immer gearbeitet, war nie reich, werde auch nie reich sein.“ Sie sei „eine von vielen“, besitze am Unternehmen auch nicht mehr Anteile als die anderen Mitinhaber und Mitinhaberinnen. Was kommt? Fürs Dorf, für die Landboden GmbH? Schauen wir mal, sagt sie lächelnd.Placeholder authorbio-1
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