Ostfrauen Katharina Warda ist im Osten geboren. Als Schwarze Frau wird ihr ihre Herkunft oft abgesprochen. Die Soziologin und Autorin befasst sich eingehend mit der rassistischen Vergangenheit des Ostens
Die Journalistin und Autorin Katharina Warda in Berlin
Foto: Paulina Hildesheim/Laif
Es kommt nur selten vor, dass Katharina Warda „korinthenkackerisch“ wird. Zumindest sagt sie das über sich, mehrmals sogar. Aber ihr Tisch aus dunklem Holz, der ist etwas Besonderes: „Der ist ein Designerstück, und ich will ihn noch herrichten“, erklärt sie entschuldigend und schiebt einen blau-weiß verzierten Untersetzer unter das Wasserglas.
In ihrer Altbauwohnung ist es hell, die Kälte bleibt draußen. In allen Ecken und Winkeln des Wohnzimmers wuchert es klein und groß und vor allem grün, da steht ein orange-braun gestreiftes Sofa, das nicht mehr ganz neu ist, schwarz-weiße Fotografien hängen an den Wänden, ein weißes Bücherregal ist sehr prall gefüllt. Warda sagt beim Eintreten hastig, dass es
, dass es hier noch recht leer sei und sich das bald ändern werde.Aufgewachsen ist sie fernab von vollen Großstadt-Cafés, in Sachsen-Anhalt, in Wernigerode im Harz, vier Jahre vor der Wende. Heute hat die Stadt noch gut 32.000 Einwohner:innen, Tendenz nach unten. Warda lebte zuerst in einem baufälligen Einfamilienhaus am Rande der Stadt, später in einer Plattenbauwohnung, „Ghetto“ nennt sie es. Nachdem die Treuhand den Betrieb zerschlagen hatte, folgten für ihre Familie Zeiten der Arbeitslosigkeit und Kurzzeitanstellungen.Vom Punk geprägte JugendWarda hat es sich im schwarzen Drehstuhl bequem gemacht, es gibt Banana Bread vom Vortag. Angesprochen auf die Nachwendezeit und die Männer und Frauen von damals sagt sie: „Ich will ungern sagen: Ich habe ostdeutsche Männer immer als Aggressoren erlebt. Aber das habe ich natürlich, denn ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es unfassbar viel Gewalt gab, und die Hauptbedrohung ging von Männern aus.“ Generalisierende Identitätszuschreibungen lehnt sie allerdings ab. Dann wird sie spöttisch, sie verstellt die Stimme eine Oktave tiefer, presst ihr Kinn runter und deklariert polternd: „Der ostdeutsche Mann! Die ostdeutsche Frau!“ Ihre Gesichtszüge entspannen sich. Mit normaler Tonlage räumt sie ein: „Ich bin ehrlich: In meinem Aufwachsen haben Männer keine große Rolle, keine positive Rolle gespielt. Ich witzele immer, dass ich in einem kleinen Matriarchat aufgewachsen bin.“Dieses Matriarchat, das waren Wardas Mutter und Großmutter. Beide haben gearbeitet, beide haben die sozialen Funktionen übernommen. „Ja, es gibt diesen Mythos ,ostdeutsche Frauen‘, der ist sehr mythisch verklärt.“ Warda spricht in präzisen Sätzen, ihre Betonung liegt dabei auf „Mythos“. „So eine Idee von Frausein, also starke Frau, die alles schafft, die alles unter einen Hut kriegt. Ich merke auch, ich klammere mich auf eine gewisse Weise an diesen Mythos, weil er so positiv aufgeladen ist“, räumt sie ein und zieht ein Bein an den Oberkörper. In ihrer Kindheit gab es auch Schwarze Frauen als Vorbilder. Eine davon war eine US-amerikanische Bürgerrechtlerin: „Mit dem Mythos Angela Davis, damit bin ich in der DDR aufgewachsen.“ Zum ersten Mal hat ihre Mutter Warda von Davis erzählt, da war sie „vielleicht zwei?“ Jahre alt. „Sie hat damals zum Beispiel meine Haare mit denen von Davis verglichen. Und das war sehr positiv aufgeladen.“ Den südafrikanischen Vater hat Warda nie kennengelernt. Der alkoholkranke Stiefvater beging 2008 Suizid.Nach ihrem Abitur, sie zählt die Tage bis dahin, wollte sie in eine Großstadt und „so weit wie möglich weg“ – sie zog für das Soziologie-Studium ins gut 200 Kilometer entfernte Jena. „Hey, das war weit weg!“, protestiert Warda grinsend. Zwar hatte sie sich auch in Westdeutschland beworben, doch die meisten ostdeutschen Städte waren „einfach attraktiver“.Später ging es für Warda nach Leipzig, dann nach Schweden, irgendwann nach New York („Jet-Set-Ossi“, sagt sie lachend dazu). In einem Princeton-Seminar wurde über die Auflösung der Stasi geredet, dort merkte sie durch das Interesse ihrer Mitstudierenden, dass die DDR-Geschichte auch außerhalb Ostdeutschlands auf Interesse stößt. „Ich wusste aber schon vorher: Ich bin Ostdeutsche“, betont Warda. „Auch dadurch, weil es mir nicht zugestanden wurde.“ Als Schwarze Frau erfährt sie immer wieder „othering“,eine Andersmachung. Auch rassistische Gewalterfahrungen hat sie in ihrer von Punk geprägten Jugend erlebt, „aber ich bin noch gut davongekommen, gemessen an der Zeit“. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie sehr viel mehr körperliche Gewalt auf offener Straße erfahren, sagt die zierliche Frau nüchtern und nippt an ihrem Wasserglas. Doch Rache? „Ich hatte nie das Gefühl: Ich schlag’ euch jetzt alle zusammen. Da hätte ich ziemlich viel zu tun gehabt.“ Mit Sicherheit sei damals ganz viel Wut in ihr gewesen. Doch sie war lange Zeit „abgestumpft“, mutmaßt Warda.Trotz der Gewalterfahrungen sei ihr auch immer wichtig gewesen, „Ossi-Bashing zu kritisieren“. Als Kind verbrachte sie jeden Tag Stunden vor dem Fernseher. „So viel Fernsehen“, sagt sie, „aber es war ein Tor zur Welt. Und dort wurden immer Witze über Ostdeutsche gemacht.“ Sie fügt hinzu: „Später waren es zum Beispiel Westdeutsche, die sich in Berlin eingemietet haben und sich dann aufgeführt haben wie Kolonialherren.“ In ihrem grauen Strickpullover sitzt sie jetzt im Schneidersitz auf dem Drehstuhl, die Augen wirken kurz müde, das Smartphone liegt vor ihr. Jeden Tag postet Warda auf ihrem Instagram-Account zahlreiche kurze Storys, zeigt eine Zugreise durch Deutschland zu ihrem nächsten Termin, sie moderiert Podiumsdiskussionen, wieder ein Zugabteil, hält Vorträge, hier der Blick aus dem ICE, Warda spricht auf Demonstrationen, sie schreibt und der Zug rollt. Auch heute hat sie nicht so viel Zeit, räumt sie ein. Und erzählt dann von einer Beleidigung, die westdeutsche Burschenschaftler der christlich sozialisierten Ostdeutschen in Jena einmal an den Kopf geworfen haben: „Ihr Scheiß Ossis, ihr seid alle Atheisten!“ Katharina Warda lacht laut.Schaut sie auf ihren Wegzug aus Wernigerode zurück, sagt Warda heute, dass es auch eine bewusste Flucht aus ihren sozioökonomischen Verhältnissen war – Bildung als Ausweg aus allem. „Es war ein Wegzug in die Bürgerlichkeit. Ich wollte mir ein neues Leben aufbauen.“ Sie hält kurz inne und blickt auf den Tisch.Ganz weit weg, in New York, Warda hatte etliche Jahre keinen Kontakt zu Jugendfreund:innen gehabt, fällt ihr aber auf: Loslassen wird sie nur können, wenn sie nochmals zurückgeht. Mit ihrer Heimatstadt setzt sich die Autorin deshalb seit 2017 intensiv in ihrem Projekt „Dunkeldeutschland“ auseinander. Damit beleuchtet sie die 1990er in Ostdeutschland, mit all dem Chaos und der Gewalt auf den Straßen. Angetrieben habe sie vor allem die Wut darüber, dass dazu „medial nichts“ existiere. „Und ich möchte mit meiner Geschichte ein realistisches Bild der deutschen Wiedervereinigung geben.“Unterstellte ArroganzDass ihre Arbeit so persönlich werden würde, damit hatte Warda nicht gerechnet. Bereut sie es, in diesem Prozess so viel von ihrer eigenen Biografie sichtbar gemacht zu haben? „Nein. Aber es ist anstrengend“, sagt sie knapp. Draußen ist die Sonne bereits untergegangen. Warda holt tief Luft. „Es gibt teilweise eine krasse Übergriffigkeit, und ich glaube, das liegt auch daran, dass ich eine Schwarze Frau bin und mir keine Professionalität an der Stelle anerkannt wird“, führt sie aus. Die Autorin berichtet von sehr privaten Fragen, von mangelndem Feingefühl bezüglich ihrer Rassismuserfahrungen, von Sensationslust.Hinzu kommt: „Ich werde medial immer als ,die Weggezogene‘ stilisiert, obwohl ich das überhaupt nicht für mich beanspruche.“ Dass sie hier in Berlin immer noch in Ostdeutschland wohnt, darauf besteht sie. Auch privat werde sie wegen ihrer Karriere manchmal negativ beäugt, „da wird mir auch Arroganz unterstellt“. Die Gründe sieht sie unter anderem beim Klassenaufstieg, „vielleicht auch internalisiertes Ossi-Bashing“. Und dann sind da noch die negativen E-Mails und Kommentare, meist von Männern. „In diesen paternalisierenden Mails ist die Trias ,ostdeutsch‘, ,Frau‘, ,Schwarz‘ meistens sehr wichtig“, zählt Warda auf. In diesen Nachrichten wird sie unter anderem belehrt, dass sie „Ausländerin“ und „keine richtige Ostdeutsche“ sei. Dafür hat Warda keine Geduld.Genauso watscht die Autorin die Frage danach ab, ob die rechtsextremen Strukturen in Regionen Ostdeutschlands durch Verbitterung und Hilflosigkeit zustande kämen: „Das ist ja schon so alt wie der Osten selbst, das Argument. Das wird ja auch von Ostdeutschen getragen, um sich in Schuldlosigkeit zu baden. Das halte ich für absoluten Blödsinn. Das verkennt auch, dass es bereits rechte Gewalt in der DDR und der BRD gab. Das ist alles nichts Neues.“Die zwei Kuchenstücke sind weg, nur noch ein paar winzige Krümel liegen auf den muschelförmigen Glastellern. Fühlt sich Katharina Warda auch, aber nicht nur medial reduziert auf diese Identitäten? „Voll. Ja. Ja. Also … Ja.“ Die Situation wirkt unfreiwillig komisch, Warda muss über ihre eigene Antwort lachen. „Voll. Aber vor allem als Schwarze Person.“ Das Projekt „Dunkeldeutschland“ handele nicht von Schwarzen Menschen, sondern immer von Warda und ihrer Punk-Clique, erklärt sie. „Ich wurde auf einmal zur Expertin für Schwarze Ostdeutsche gemacht.“ Als Negativbeispiel nennt sie die Teilnahme an einem Gruppeninterview eines Fernsehsenders. Sie zieht die Augenbrauen nach oben. „Alle dort hatten einen Job, ich war ,Kind eines südafrikanischen Vaters und einer deutschen Mutter‘. Das war über zwei Stunden jedes Mal die Anmoderation für mich.“ Sie macht sich weiter Luft: „Alle sind Experten für irgendwas, aber ich habe keinen Beruf: Ich bin professionelles Opfer. Und es nervt.“Dennoch ist Warda optimistisch, was breiter akzeptierte Repräsentation betrifft. Sie glaubt, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung im Jahr 2020 etwas in Deutschland im gesellschaftlichen Bewusstsein verändert zu haben scheint, und auch präsente Stimmen in den sozialen Medien helfen. „Wenn andere dann auch noch die Geschichten machen und nicht nur sichtbar werden in den Geschichten, dann gibt es auch andere Fragen und Antworten.“ Und auch der Ostdeutschland-Diskurs in puncto rechte Gewalt ist seit einigen Jahren verschoben worden, differenzierter, meint sie. „Gerade der Hashtag #Baseballschlägerjahre oder das Buch ,Wir waren wie Brüder‘ von Daniel Schulz haben dazu beigetragen.“Kann sich Warda vorstellen, irgendwann wieder in eine kleine ostdeutsche Stadt zu ziehen? „Nein, weder im Osten noch im Westen. Ich will diesen ganzen deutschen Kleinstadtmief nicht haben.“
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