Von überflüssigen Sport-Dokumentationen und der Wohltat des Scheiterns

Kolumne Chillen in Kabinen, Karten spielen im Bus, Beine rasieren: Dok-Filme über Sportler und Vereine sind selten interessant und noch seltener objektiv
Ausgabe 35/2023
Kein Grund zur Trauer
Kein Grund zur Trauer

Foto: Stuart Franklin/Getty Images

Der Sportreporter

Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

„All or Nothing“, Alles oder Nichts, heißt die Serie, bei der man schon weiß, wie sie endet: ohne Happy-End, im großen Nichts. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wurde während der Dezember-Weltmeisterschaft in Katar von Dokumentarfilmern begleitet, in der Erwartung, es werde mehr Stoff geben als drei Vorrundenspiele und das bisschen Vorbereitungs-Drumherum und Quartiers-Einblick. Es war also damit zu rechnen, dass Auftraggeber Amazon das Material im Giftschrank verschwinden lassen würde nach dem erfolglosen Kurztrip. Doch trotzig hat Amazon einen Vierteiler von insgesamt zwei Stunden zusammengeschnitten. Und will ihn ausgerechnet am Tag vor dem Testspiel Deutschland gegen Japan am 9. September online stellen – was nach der enttäuschenden WM-Niederlage gegen dasselbe Land schlimme Erinnerungen wecken dürfte.

Vielleicht ist das aber eine Wohltat für alle, die von der Flut an Sportdokumentationen erschöpft sind. Denn sie sind inflationär geworden und alle irgendwie gleich. Längst weiß man, wie es in Fußballkabinen aussieht, man kennt den Tisch mit den Bananen und den isotonischen Getränken, man ist zigmal im Mannschaftskreis gestanden, wenn heute mal der Ersatzkeeper dran ist, die Motivationsrede des Spieltags zu halten und sie mit einem „Männer“-Schrei zu beenden, wir saßen in diversen Teambussen, in denen gekartelt und der Co-Trainer ein wenig auf den Arm genommen wurde. Wir haben fast jeden Verein von innen gesehen und gesagt bekommen, welche einzigartigen Werte er lebt. Die pathetische Musik zur Untermalung könnten wir inzwischen selbst komponieren.

In den meisten Fällen ist die Sport-Doku ein Ärgernis

Die „eigene Doku“ ist zum Prestigeobjekt des modernen Sports geworden. Und sie ist trotz schöner Bilder und professionellster Machart in den meisten Fällen ein Ärgernis, weil man ihr ansieht: Sie ist entweder eine Auftragsarbeit – oder der Regisseur ist angewiesen auf die Gunst dessen, der ihm Einlass gewährt. Der FC Bayern München hat sich schon vor zehn Jahren zum Triple-Gewinn einen Kinofilm geschenkt, den es den TV-Kommentator René Hiepen anfertigen ließ – und der Streifen war dermaßen peinlich anbiedernd, dass der Vereinschef Karl-Heinz Rummenigge bei der „Weltpremiere“ ergriffen ausrief: „René, du hast das Bayern-Gen!“ Und selbst das Tour-de-France-Epos „Höllentour“ des preisgekrönten Filmers Pepe Danquart war nur ein Einblick, den die Telekom mit dem Hausrecht über ihre Radfahrer filterte. Man erfuhr, dass Erik Zabel sich täglich die Beine rasiert, doch dass für das Tempo andere Methoden förderlicher sind, wurde nicht angeschnitten. Der Erkenntniswert von Sportdokumentationen ist unterm Strich gering.

Besser als die Doku, die die Nähe nur vortäuscht, ist die nachträgliche Verfilmung von Sportereignissen oder Karrieren. Mit Schauspielern. Weil es dann auch Kunst ist. Wie wunderbar war Daniel Brühl als Niki Lauda in „Rush“, der das große Formel-1-Duell mit James Hunt nachzeichnet. Wie amüsant ist „Gute Freunde“, mit dem auf RTL demnächst die Aufstiegsgeschichte des FC Bayern nachgezeichnet wird – Regie: David, der Sohn des großen Helmut Dietl. Oder man erfindet eine Geschichte und ihre Figuren komplett: wie „Ted Lasso“, den Football-Trainer aus Amerika, der im Fußball in England landet. Es steckt natürlich viel Anspielung auf die Realität drin. Und man weiß nicht, ob am Ende All oder Nothing steht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden