Seinen Anfang verdanken wir der Befreiung vom NS-Regime durch die alliierten Streitkräfte. Sein Vorbild war die britische BBC. Rundfunk (von Fernsehen redete noch niemand), so der Gedanke, solle unabhängig sein – und staatsfern.
Seit Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) 1950 gab es zahllose politische Versuche, den Status der Staatsferne zu untergraben. Dem gröbsten verdanken wir die Gründung des ZDF, nachdem Konrad Adenauers Versuch, einen Staatssender zu etablieren, am Verfassungsgericht gescheitert war. Rundfunk sei Ländersache, entschieden die Verfassungsrichter. Später fügten sie hinzu, Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei die Grundversorgung.
Darum wird seit Jahrzehnten gestritten, sowohl was den Grund als auch was die Versorgung betrifft. Als Helmut Kohl dem Privatfernsehen den Weg frei machte, wurde in den Abstimmungen zwischen Bund und Ländern etwas Wichtiges versäumt: die Gründung einer nationalen Mediathek, in der die gebührenfinanzierten Produktionen aus Funk und Fernsehen dauerhaft dem Publikum zur Verfügung gestanden hätten. Einwände, das sei zu teuer und mit geltenden Verträgen nicht möglich, wären durch eine eigens errichtete Verwertungsgesellschaft zu beheben gewesen.
Durch die digitale Revolution sind alle Axiome, die der bisherigen rechtlichen Fundierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugrunde lagen, gegenstandslos geworden. Gefunkt wird heute weltweit. Damit ist die Territorialität als Berufungsgrundlage durchlöchert. Auch der Verweis auf knappe Frequenzen kann nur noch als Realfiktion gelten. Weder sind Rundfunkräte und Landesmedienanstalten in der Lage, das in den nationalen Raum hineinschwappende Angebot so zu bewerten, dass den gesetzlichen Kontrollansprüchen Genüge getan würde, noch können sie von ihnen beanstandete Verstöße so ahnden, dass sie auch dauerhaft aus dem Netz verschwinden würden. Ihre symbolischen Hürden erinnern an innerdeutsche Zollgrenzen im 18. Jahrhundert.
Das wären Gründe genug, für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einen Akt der Neugründung ins Auge zu fassen, der an die Anfänge von 1945 erinnert, also eine neue Befreiung wagte, die ohne auswärtige Militärhilfe zustande käme, die Staatsferne auf neue Füße stellte und der Zivilgesellschaft durch repräsentativ besetzte Organe Mitwirkungsmöglichkeiten erschlösse. Das wäre die Chance, das öffentliche Gerede und die Schmähkritik besonders vom rechten Rand, von dessen üblen Ahnen die Briten uns 1945 schon einmal befreiten, zu neutralisieren. Staatsferne und die Unabhängigkeit wären wiederhergestellt. Regionale Fenster würden flächendeckend den Repräsentanzgeboten Ausdruck verleihen.
Keine Demokratie abzugeben
So viel Utopie muss sein, ehe wir uns dem aktuellen Thema zuwenden: Die Regierungskoalition des kleinsten Bindestrichbundeslands verweigerte der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihre Zustimmung. Die letzte Erhöhung des Rundfunkbeitrags war 2009. Man stelle sich Gewerkschaften vor, die für über elf Jahre darauf verzichteten, Tarifverhandlungen zu führen. Man stelle sich Apple vor, das darauf verzichtete, immer neue Mondpreise für seine Produkte zu verlangen. Preise sind nicht in den Fels gehauen.
Man braucht sich auch nicht mehr daran zu erinnern, mit welchen Gründen ein Programmdirektor des Westdeutschen Rundfunks vor acht Jahren für die „Demokratieabgabe“ warb. Demokratie ist weder bezahlbar noch abzugeben. Ein erneuter Anlauf im vergangenen Jahr suchte Hilfe bei einer Beratung, welche den inzwischen zur „Haushaltsabgabe“ aufgenordeten Rundfunkbeitrag als „Beteiligung“ des Publikums verzierte und „die Anderen“, das heißt die private Konkurrenz, in ein delegitimiertes Niemandsland wegschob.
Die Finanzierung der ÖR-Sender wird durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten ermittelt (KEF). Die Controller der Sender sind gestandene Menschen, aber wenn sie ihre Zahlen und Hochrechnungen der KEF vorstellen, fühlen sie sich vielleicht ähnlich wie eine in Not geratene Bürgerin bei der Abgabe eines Offenbarungseides. Ich erinnere mich an einen renommierten Radio-Intendanten, der stets sorgenvoll über die KEF sprach und es nie versäumte, seine Besuche im Rhein-Main-Gebiet um Termine mit Landräten zu ergänzen, damit sein Sender weitere Sendemasten im unterversorgten Rheingraben fände.
Das alles wäre kein Thema mehr, wenn wir uns nur der Tatsache folgenreich bewusst würden, dass die technischen und rechtlichen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Realfiktionen geworden sind. Es gibt keinen Mangel an Frequenzen und es gibt keine Medienaufsicht, die in der Lage wäre, territoriale Kontrollbefugnisse wirksam auszuüben.
Auch andere Mantren der ARD-Gewaltigen muss ich entzaubern. Etwa die Talkshows: Ob sie tatsächlich wesentlich zu den gesellschaftlichen Debatten in Deutschland beitragen, kann bezweifelt werden. Das liegt nicht nur an manchen Dauergästen oder dem kaum widersprochenen Unfug, den sie verbreiten dürfen. Das liegt besonders an einer Dramaturgie, die aus falsch verstandenem Interesse an Tagesaktualität vor lauter Gegenwart gern den Verstand verliert. Nach dem Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe in Dresden lud Sandra Maischberger eine Juwelenexpertin ein, die sonst im ZDF-Format Bares für Rares Familienklunker unter die Lupe nimmt. Ihre Aussagen über die gestohlenen Schätze können als ferndiagnostische Beihilfe zur Hehlerei gewertet werden. Die Täter werden sich gut beraten gefühlt haben.
Und wer den Rundfunkbeitrag mit Strom-, Wasser- und Abwassergebühren vergleicht, liefert seinen Feinden die Maßstäbe für unangemessene Vergleiche frei Haus. Rhetorisch sind sie also schwächer als gedacht. Sie verkaufen sich unter Wert. Sie klammern sich an einen Status quo, dem die materiellen Berufungsgrundlagen abhandenkommen. Zu der Idee eines Neugründungsaktes lassen sie es gar nicht erst kommen, weil sie in das Siechtum des Bestehenden zu sehr verwoben sind.
Nun gibt es einen Staatsvertrag, den 16 Regierungschefs unterschrieben haben. Die meisten regionalen Parlamente haben ihn inzwischen gebilligt. In Sachsen-Anhalt kettet sich die CDU an eine Verabredung ihres Koalitionsvertrags mit der SPD und den Grünen, derzufolge der Rundfunkbeitrag stabil bleiben solle. Wenn wir diese Bestimmung mit den Augen des Statistischen Bundesamtes betrachteten, dann gälte eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages nach elf Jahren von 17,50 auf 18,36 Euro (4,65 Prozent) durchaus als stabil. Aber die dortige CDU hat sich (unterstützt durch eine besonders unerfreuliche AfD) in einen Hartholzbolzen verbissen, sodass sie bei Lösung des politischen Kieferkrampfs Gefahr liefe, alle Zähne zu verlieren. Wer will das schon? Es gehört nicht viel Fantasie dazu, die baldige Auflösung der Krise vorherzusagen. Die Klagen von ARD, ZDF und dem Deutschlandradio sind beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Das wird nach Maßgabe der KEF-Dokumente den Staatsvertrag als rechtlich bindend bewerten und damit billigen.
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