„Halb zog sie ihn, halb sank er hin“, dieses Motiv aus Goethes Gedicht Der Fischer beschreibt den derzeitigen Entscheidungsstand der EU im Umgang mit den seit gut zwei Jahren beschlagnahmten Devisenreserven der russischen Zentralbank. Darauf Einfluss genommen wird im Format G7 vornehmlich von den USA. Denen fällt es leicht, mit nur etwa fünf Milliarden Dollar beschlagnahmten Vermögens für den Grundsatz zu plädieren, diese Ressourcen hätten mit dem Angriff auf die Ukraine den Anspruch auf Schutz verwirkt.
Für die Europäische Union stellt sich das anders dar. Hier geht es um sehr viel Geld. Man kalkuliert mit mehr als 200 Milliarden Euro, die bei europäischen Clearing Houses (auf Deutsch: „Zentralverwahrer“) liegen, davon al
„Zentralverwahrer“) liegen, davon allein 141 Milliarden bei Euroclear in Belgien. Dieses Geld existiert in einer mit dem Euro nicht unbedingt robusten Währung, könnte aber vom Stellenwert her deutlich steigen. Damit wäre zu rechnen, wenn die EU dringend mehr Geld zur Unterstützung der Ukraine benötigt, sollten die USA als Geber ganz oder vorübergehend ausfallen. Unabhängig davon hat sich der Finanzbedarf ohnehin erhöht.Sollten die staatlichen Strukturen in der Ukraine kollabieren, wäre Europa unmittelbar tangiert. Es träfe weniger die USA jenseits des Atlantiks. Aus Haushaltsmitteln der EU sowie der Mitgliedsstaaten ist das benötigte Geld nicht annähernd in der erforderlichen Dimension zu bekommen. In dieser Situation sorgt ein „Güldener Schatz“ von 200 Milliarden Euro aus der Zentralbank Russlands für Begehrlichkeiten. Die Erwägungen laufen auf die Formel hinaus: Auf diesen „Schatz“ müsse man zugreifen können, ohne rüde zu „enteignen“. Der Schutz des Eigentums gehört immerhin zu den Grundwerten des Westens. Und wenn doch enteignen, dann dank einer Salamitaktik.Im Augenblick wird die nächste Scheibe präsentiert, die der Europäische Rat am 12. Februar abgeschnitten hat, als man sich vergewisserte, wie der Stand im EU-internen Ringen um das russische Geld ist. Dem Beschluss der EU-Regierungschefs ist mit einigem Erstaunen zu entnehmen, dass die sogenannte Immobilisierung russischer Vermögenswerte bei „Zentralverwahrern“ wie Euroclear dazu geführt habe, dass der Verwahrer „außerordentliche Erträge erhält“, was dem Sinn des „Verwahrens“ klar widerspricht.Konflikt mit BelgienWenn jemand sein Geld einer Bank anvertraut, und dieses Depot beschlagnahmt wird, so werden die Erträge in der Regel weiter diesem Konto gutgeschrieben – auch wenn darüber befristet nicht verfügt werden kann – und nicht dem verwahrenden Bankhaus.Der Europäische Rat hat nun am 12. Februar so getan, als seien die Erträge, zumeist Zinsen, russischer Devisenguthaben bereits enteignet und dem Verwahrer zugeflossen. Dem allerdings dürften sie nicht überlassen bleiben, sondern seien vielmehr abzuführen. Am 12. Februar wurde demnach eine Enteignung beschlossen, und zwar der europäischen Clearing Houses. In der offiziellen EU-Diktion heißt das, mit jenem Beschluss werde „der rechtliche Status der Einnahmen, die die Zentralverwahrer aus der Verwahrung immobilisierter russischer Vermögenswerte erzielen, präzisiert“. Im Ergebnis müssten „Zentralverwahrer, die … Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahren, außerordentliche Barbestände, die sich aufgrund restriktiver Maßnahmen der EU akkumulieren, gesondert verbuchen und die entsprechenden Einnahmen getrennt verwahren“. Darüber hinaus sei es Zentralverwahrern untersagt, „über daraus resultierende Nettogewinne zu verfügen“.Die Ukraine erhält Kredite, keine GeschenkeDer Sinn der Sache besteht offenkundig darin, den Weg zu ebnen, um die erwähnten „Nettogewinne“ in den EU-Haushalt fließen zu lassen. Die so doppelt enteigneten Erträge aus den konfiszierten russischen Devisenreserven können später über den EU-Haushalt in die Ukraine-Fazilität gelangen, über die der Rat und das Europäische Parlament am 6. Februar eine Einigung erzielt haben. Deren Volumen liegt bei 50 Milliarden Euro, wovon gut ein Drittel, 17 Milliarden, als Zuschüsse – der Rest, 33 Milliarden, als Kredit vergeben werden. Der Ertrag der Clearing Houses dürfte in diesem Jahr bei mehr als vier Milliarden Euro liegen, sodass es möglich sein sollte, das Zuschussvolumen von 17 Milliarden Euro zu finanzieren, ohne die EU-Mitgliedsländer über Gebühr zu belasten. In der Konsequenz besteht die umstrittene Unterstützung der Ukraine seitens der EU aus Krediten und weitergeleitetem russischen Staatsgeld. Geschenkt wird Kiew wenig, die Kredite sind zurückzuzahlen.Bei alldem bleibt ein Konflikt mit Belgien, das bei Euroclear bereits auf Vermögenserträge zugegriffen und in nationaler Initiative einen Fonds aufgelegt hat, dessen Erträge der Ukraine bilateral zugesagt sind. Dieses Geld will die EU nun abschöpfen. Wenn das gelingt und Belgien der Ukraine wie versprochen weiter beistehen will, bleibt nur das Konfiszieren russischen Privatvermögens, was dann freilich den klassischen Enteignungsfall bedeuten würde. So zu verfahren, läge in der Logik der mittlerweile 13 gegen Russland verabschiedeten EU-Sanktionspakete.